Mülheim/Essen. Zu 2023 erhöhen hunderte Stromversorger ihre Preise drastisch. Ist bei Grundversorger Eon der Rettungsanker zu suchen? Wir haben nachgeforscht.
Mitte November dürften etliche Bürgerinnen und Bürger unerfreuliche Mitteilungen ihrer Stromversorger erhalten haben: mit der Ankündigung saftiger Preiserhöhungen. Viele Kunden dürften versucht sein zu kündigen, um etwa bei Grundversorger Eon von einem niedrigeren Preis profitieren zu können. Doch so einfach ist es nicht.
Hier ein Beispiel eines Bürgers: Bislang zahlte er noch einen vergleichsweise niedrigen Strompreis bei einem Stadtwerk aus Hessen, das überregional Strom vertreibt. Nun aber kam es per Mail: Der Bruttopreis pro Kilowattstunde Strom wird sich zum 1. Januar nahezu verdoppeln – auf 49,03 Cent.
Verbraucherschützerin: Nicht kündigen ohne alternatives Angebot
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Was nun? Diese Frage stellen sich derzeit viele, die mit immensen Preissteigerungen konfrontiert sind. Nicht vorschnell kündigen – das bleibt der Rat von Verbraucherschützern. Erst einmal sollten Verbraucher alternative Angebot einholen, um zu sehen, ob es überhaupt noch etwas Günstigeres gebe, so Christina Wallraf, Energiemarkt-Referentin bei der Verbraucherzentrale NRW.
Unser Musterkunde bemühte das Netz, ging auf die Seite der örtlichen Grundversorgerin Eon – und war zunächst einmal ernüchtert: Zwei Tarife bietet Eon dort zur Anmeldung an, jeweils zu kWh-Preisen jenseits von 65 Cent (mit bis zu zwei Jahren Preisgarantie und Mindestlaufzeit). Bei jeweils einem Grundpreis von jährlich 171,31 Euro wäre der Musterkunde bei einem Jahresverbrauch von 2500 kWh bei mindestens 1815,30 Euro pro Jahr. Keine Alternative für ihn. Bei seinem bisherigen Versorger würde er trotz des Preissprungs immer noch knapp 430 Euro weniger im Jahr zahlen.
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Eon bietet aktuell noch sehr günstigen Tarif in der Grundversorgung
Aber was bietet Eon als Preis in der Grundversorgung? Den Tarif auf der Eon-Seite zu finden: umständlich, wenig kundenfreundlich. Doch, siehe da: Aktuell wird der Preis in der Grundversorgung mit 30,85 Cent/kWh (jährlicher Grundpreis: 190,448 Euro) angegeben. Auf das Jahr gerechnet käme der Musterkunde mit diesem Tarif satte 850 Euro günstiger weg als bei den von Eon angebotenen Sondertarifen.
Aber wie reinkommen in den Tarif? Ein Anruf bei der kostenfreien Eon-Hotline sollte helfen. Die automatische Ansage zu Beginn des Telefonats deutete schon auf die Überlastung der Hotline hin. Zunächst wurde eine Wartezeit von 80 Minuten angekündigt, tatsächlich vergingen dann 110 Minuten, bis ein Eon-Berater das Gespräch aufnahm.
Eon-Hotline aktuell überlastet: Aber persönlicher Kontakt bringt bessere Angebote
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„Der wird hier nicht angeboten“, lautete die freundliche, aber bestimmte Antwort des Kundenberaters auf die Frage nach einem Wechsel in den Grundversorgertarif. „Aber Sie bekommen hier einen anderen Tarif als im Internet“, fragte er die Postleitzahl für eine genaue Preisangabe ab. Wir machten den Versuch mit einer Mülheimer und einer Essener Adresse. Ergebnis: zwei nahezu identische Angebote mit Brutto-Arbeitspreisen, von denen Kunden nur erfahren, wenn sie die Tortur der Hotline-Warteschleife durchstehen. Statt mehr als 65 Cent/kWh in den Sondertarifen sollten es nun nur 51,37 (Mülheim) oder 51,85 (Essen) sein. . .
Nach dem Beharren darauf, in Erfahrung bringen zu wollen, was ein Verbraucher tun muss, um in den viel preisgünstigeren Grundversorgertarif zu kommen, leitete der Kundenberater das Gespräch nach zwei Stunden in „eine Fachabteilung“ weiter. Dort wies eine Dame darauf hin, dass man als Hauseigentümer eigentlich nicht mehr tun müsse, als bei seinem alten Versorger zu kündigen. Dann starte automatisch die Ersatzversorgung und Eon werde die Kunden ein, zwei Wochen später anschreiben mit den Informationen zur Ersatz-, sprich Grundversorgung. Mieter müssten zusätzlich bei Eon anzeigen, dass sie es sind, deren Stromzähler nun in die Ersatzversorgung fällt. Ansonsten würde Eon auf den Vermieter als Hauseigentümer zugehen.
Problem in der Grundversorgung: Es gibt keine Preisgarantie
Ein wichtiger Hinweis kam dazu: Der Preis in der Grundversorgung könne sich bis dahin geändert haben, es gebe für den Tarif weder eine Preisgarantie noch eine Mindestvertragslaufzeit. Die auf der Eon-Homepage veröffentlichten Preise seien „allgemeine Preise“, hieß es. „Seine persönlichen Preise bekommt man erst bei der Bestätigung der Grundversorgung durch Eon.“
Kommt der Wechsel in die Grundversorgung also einer Wette mit unvorhersehbarem Ausgang gleich? Offenbar schon, denn preispolitische Entscheidungen der Versorger lassen sich nicht vorhersehen. Verbraucherschützerin Christina Wallraf geht mit Blick auf den hier geschilderten Musterfall Eon aber doch so weit zu empfehlen, es auf einen Wechsel in die Eon-Grundversorgung ankommen zu lassen.
Verbraucherschützerin hält Grundversorger-Tarif für „sehr attraktiv“
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Dafür spreche die hohe Preisdifferenz von nahezu 20 Cent/kWh und der Umstand, dass der Tarif einen Kilowattstunden-Preis biete, der gar noch 25 Prozent unter der vom Bund in Aussicht gestellten Strompreisbremse liege. Demnach soll der Preis für 80 Prozent des letzten Jahresverbrauchs ab Januar auf 40 Cent/kWh gedeckelt werden. „30,85 Cent/kWh sind schon sehr günstig, im Moment sehr attraktiv“, sagt Wallraf, mahnt aber auch, dass Verbraucher im Grundversorgertarif keine Preissicherheit haben, im Fall Eon noch zum 1. Februar oder 1. März eine Preiserhöhung kommen könne.
Ein anderer Fallstrick sei für andere Grundversorger wie Erenja bekannt, so Wallraf: Die Tochter der Gelsenwasser AG sei zuletzt dadurch negativ aufgefallen, dass sie Kunden, die in die Grundversorgung rutschen, nicht den günstigen Grundversorgertarif gewähre, sondern für die Ersatzversorgung deutlich mehr verlange. Ein solches Gebaren sei für Eon aber nicht bekannt.
Eon-Sprecher weist Kritik an Intransparenz entschieden zurück
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Generell rät Wallraf allen Stromkunden, in der Tarifrecherche bei Grundversorgern auf jeden Fall auf den persönlichen Kontakt zu setzen, weil Versorger dann häufig bessere Angebote machten als im Internet ausgewiesen – was der Test bei Eon ja auch eindrucksvoll gezeigt hat. Dass der Eon-Grundversorgertarif nicht gleich zu finden ist, sieht Wallraf dabei weniger kritisch („anderswo sind die Angaben noch mehr versteckt“) als 110 Minuten Wartezeit in der Hotline.
Auch ein Eon-Sprecher äußerte sich zur Sache. Er wies die Kritik an Intransparenz zurück. Da Ersatz- und Grundversorgung nicht, wie andere Eon-Tarife, deutschlandweit gölten, seien sie auf einer gesonderten Seite ausgewiesen und erläutert. „In beiden Fällen handelt es sich nicht um klassische Tarife, in die man wie bei einem Sondervertrag aktiv wechselt. Wer sich für unsere Grundversorgung interessiert, erhält online – und natürlich über alle unseren anderen Service-Kanäle – aber selbstverständlich jegliche Informationen, die er oder sie dazu benötigt“, so der Sprecher.
Eon spricht von „beunruhigenden Tendenzen“ am Markt der Stromversorgung
Er verwies zudem auf besondere Herausforderungen, denen sich Eon derzeit stelle, weil das Unternehmen seine gesellschaftliche Verantwortung als Grundversorger ernst nehme. Seit Beginn der Energiekrise springe Eon „noch häufiger als verlässlicher Versorger“ ein, wenn sich Wettbewerber aus dem Geschäft zurückzögen oder Kunden kündigten. „In diesem Zusammenhang sehen wir aktuell beunruhigende Tendenzen am Markt: Wenn Stadtwerke ihre Kunden außerhalb ihrer Stammgebiete kündigen – wie zuletzt in NRW geschehen –, müssen wir als Grund- und Ersatzversorger einspringen und entsprechend umplanen, um diese Kunden weiter zu versorgen.“