Mülheim. Für den späteren Chemie-Nobelpreisträger Karl Ziegler war Mülheim anfangs eine Notlösung. Von seinem Ruhm und Reichtum zehrt die Stadt bis heute.

Neben Otto Pankok ist der Chemiker Karl Ziegler der zweite Mülheimer Namensgeber eines hiesigen Gymnasiums. Seit 1974 trägt das ehemalige Städtische Gymnasium den Namen des 1963 ausgezeichneten Chemie-Nobelpreisträgers.

Als der aus Hessen stammende Karl Ziegler 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, als Direktor des damaligen Kaiser-Wilhelm-Institutes für Kohlenforschung nach Mülheim kam, hatte er bereits eine glänzende wissenschaftliche Karriere hinter sich. Als Chemieprofessor hatte der damals 45-Jährige zuvor an den Universitäten von Halle an der Saale, Chicago, Frankfurt am Main und Heidelberg gelehrt.

Berufung nach Mülheim empfand Karl Ziegler erst als Abstieg

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Seine Berufung als Institutsleiter nach Mülheim empfand Ziegler zunächst als Abstieg. Weil sich Karl Ziegler aufgrund seiner zahlreichen jüdischen Freunde in den Augen der herrschenden NSDAP als „Judengenosse“ verdächtig gemacht hatte, verweigerte man ihm einen Professoren-Ruf nach Karlsruhe und drängte ihn stattdessen, die Leitung eines Forschungsinstitutes zu übernehmen. So wollte man seinen Einfluss auf Studierende begrenzen. Auch seine der staatlichen Repression geschuldete Fördermitgliedschaft in der SS konnte an diesem Argwohn gegen seine Person nichts ändern.

Chemie-Professor Karl Ziegler bei einem Vortrag im Hörsaal der Mülheimer Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung.
Chemie-Professor Karl Ziegler bei einem Vortrag im Hörsaal der Mülheimer Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung. © Stadtarchiv Mülheim

Doch Ziegler freundete sich mit seiner neuen Aufgabe in Mülheim schnell an, weil ihm die 1948 in Max-Planck-Gesellschaft umbenannte Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft eine absolute Forschungsfreiheit gewährte, wozu ab 1945 auch die Übernahme von Gastprofessuren und Präsidentschaften zahlreicher Fachgesellschaften gehörte. Diese Freiheit ebnete ihm den Weg zum wissenschaftlichen Weltruhm.

Mit Zieglers Forschungsarbeit begann die Kunststoff-Ära

Ein Ergebnis seiner Grundlagenforschung war ein 1953 von ihm entwickeltes Verfahren, mit dessen Hilfe thermoplastische Kunststoffe und biologisch abbaubare Waschmittel industriell hergestellt werden konnten. Mit Ziegler begann das Kunststoffzeitalter. Es machte ihn zu einem reichen Mann, der seinen Reichtum mit seinem Forschungsinstitut und seiner Wahlheimat Mülheim teilte.

1963 erhielten Karl Ziegler und sein im gleichen Forschungsbereich tätiger italienischer Kollege Giulio Natta für ihre wissenschaftliche Grundlagenarbeit den Nobelpreis für Chemie. Zieglers Nobelpreis war damals mit 100.000 D-Mark dotiert.

Fackelzug zu Ehren des Nobelpreisträgers

Nachdem die Nobelpreisverleihung im November 1963 bekannt wurde, ehrten Mülheimer Schüler den Chemie-Professor mit einem Fackelzug. Bundespräsident Heinrich Lübcke lud Karl Ziegler und seine Ehefrau Maria in seinen Bonner Amtssitz, die Villa Hammerschmidt, ein. Und nachdem Ziegler am 10. Dezember 1963 in Stockholm den Nobelpreis aus der Hand des schwedischen Königs Gustav VI. Adolf entgegengenommen hatte, wartete in Mülheim auf ihn die Verleihung des Ruhrpreises, der Ehrenbürgerschaft und der Jobs-Ehrengabe der Bürgergesellschaft Mausefalle.

Wie 58 Jahre später sein Mülheimer Chemie-Nobelpreis-Nachfolger Benjamin List, wurde auch Karl Ziegler nach der Rückkehr an sein Institut von dessen Mitarbeitenden gebührend gefeiert. Sie hatten die Nobelpreisverleihung am Fernsehen verfolgt und diese aufwendig mitgeschnitten, um sie für die Nachwelt zu sichern.

Den durch seine Forschung erworbenen Reichtum nutzte der Nobelpreisträger auch dafür, um mit einem millionenschweren Ziegler-Fonds die Arbeit seines Institutes für die nachfolgenden Jahrzehnte abzusichern. Auch 42 von ihnen erworbene Gemälde der klassischen modernen Meister des 20. Jahrhunderts ließen Karl und Maria Ziegler in Form einer Ziegler-Stiftung der Stadt Mülheim und ihrem Kunstmuseum zugute kommen. Bis heute wird Mülheim von der Kunstwelt um die inzwischen unbezahlbaren Schätze der Sammlung Ziegler beneidet.

Mülheimer Ehrenbürger wurde 1973 auf dem Hauptfriedhof beigesetzt

Auch nachdem sich Karl Ziegler 1969 in den Ruhestand verabschiedet hatte und mehr Zeit für sein geliebtes Bergwandern und die Beschäftigung mit der Astronomie fand, nahm er weiterhin regelmäßig an Veranstaltungen des von ihm über zweieinhalb Jahrzehnte lang geführten Institutes teil. Am 11. August 1973 starb er in seiner Wahlheimat an den Folgen eines Herzinfarktes. Er wurde auf dem Hauptfriedhof beigesetzt. Seine Frau Maria überlebte ihn um sieben Jahre.

Ziegler-Zitate

Am 11. Dezember 1963 schrieb diese Zeitung: „In Professor Zieglers Arbeiten liegt etwas Revolutionäres!“

Angesichts seiner Auszeichnung mit dem Chemie-Nobelpreis sagte Karl Ziegler am 5. November 1963 gegenüber dieser Zeitung: „Vor allem aber bin ich stolz darauf, dass die jüngere Generation mehr und mehr zur wissenschaftlichen Forschung drängt. Daher freue ich mich über den Nobelpreis, auch besonders, weil ich ihn als Auszeichnung all meiner Mitarbeiter in Büros Laboratorien und Werkstätten entgegen nehme. Ich gebe die Ehrung weiter an sie alle.“

1966 schrieb Karl Ziegler über sein Lebenswerk: „Ich habe angefangen wie der Wanderer, der in ein unbekanntes Land eindringt und der wohl ahnt, dass vor ihm viel Schönes und Interessantes liegen mag, der auch hin und wieder ein Stück des Weges überschauen kann, der aber doch nicht weiß, wohin die Reise schließlich führt.“

Posthum gründete seine Tochter Marianne Witte zu seinem 100. Geburtstag (1998) eine Karl-Ziegler-Stiftung, die den nach ihm benannten und seit 1975 vergebenen Karl-Ziegler-Preis der Gesellschaft Deutscher Chemiker übernommen hat. Das war sicher im Sinne Zieglers, der von 1946 bis 1951 Gründungspräsident dieser Gesellschaft gewesen war.