Mülheim. Vor 50 Jahren kamen viele philippinische Krankenschwestern zum Arbeiten nach Mülheim. Beim Wiedersehen ging es auch um Schnee und Kartoffeln.

Es war ein ganz besonderes Wiedersehen: Vergangenen Samstag trafen sich 22 philippinische Krankenschwestern und Hebammen nach vielen Jahren wieder. Sie alle verbindet eine Geschichte, die vor 50 Jahren begann: Die Frauen kamen zwischen 1970 und 1974 von den Philippinen nach Deutschland und arbeiteten in Mülheim im Marienhospital und im Evangelischen Krankenhaus.

Schon damals gab es in Deutschland einen Pflegenotstand, weshalb fertig ausgebildete Fachkräfte von den Philippinen angeworben wurden. Ganze Flugzeuge voller Krankenschwestern und Hebammen sind zu der Zeit nach Deutschland geflogen, sie kamen für ein besseres Gehalt und um ein neues Land kennenzulernen. Es war eine spannende Reise für die Filipinas, die damals noch kaum ein Wort Deutsch sprachen.

Filipinas erlebten Kartoffeln und den ersten Schnee in Deutschland

„Die einzigen Wörter bei unserem ersten Dienst waren ,Guten Morgen‘ und ‚Auf Wiedersehen‘“, erinnern sich die Frauen lachend. Doch die anderen Krankenschwestern waren hilfsbereit, nahmen die Filipinas liebevoll und herzlich auf: „Wir wurden Lotusblumen genannt.“ Gemeinsam erinnern sie sich beim Wiedersehen im asiatischen Restaurant „Wok of Fame“ an alte Zeiten, zu denen sie alle gemeinsam im Schwesternheim lebten.

Hier in Mülheim haben die Filipinas, die plötzlich nur noch Kartoffeln statt Reis zu essen bekamen, ihren allerersten Schnee erlebt – in den Philippinen kannten sie Schnee nur aus Kinofilmen oder im Kühlschrank. Es gab kein Halten mehr, begeistert rannten die jungen Frauen damals im Schlafanzug und Pantoffeln nach draußen, um die Schneeflocken zu bewundern. Doch die kahlen Bäume verwunderten sie: „Wir hatten schon Angst, die seien alle tot“, lachen die Frauen beim Wiedersehen.

Lesen Sie auch:

Sie schwelgen in Erinnerung, denken mit leuchtenden Augen zurück an die damalige Zeit – und wollen gar nicht mehr aufhören, gemeinsame Erlebnisse wieder aufleben zu lassen. Bushaltestellen kannten sie von den Philippinen nicht, riefen anfangs immer ‚Halt!‘, wenn sie aussteigen wollten. Eine weitere skurrile Erfahrung: Joghurt im Restaurant. „Wir dachten, das wäre geschmolzenes Eis. ‚Ist kaputt!‘, riefen wir und wollten es dem Kellner zurückgeben.“

Viel Geld floss in Telefonate in die Heimat

Doch so aufregend die Zeit auch war, die philippinischen Krankenschwestern und Hebammen hatten auch großes Heimweh. „So oft es ging, riefen wir zu Hause an – und haben dafür unheimlich viel Geld ausgegeben“, erinnern sie sich. Denn ein Ferngespräch damals war teuer: 12 DM pro Minute. Aber die Familie ist den Filipinas wichtig, viele schickten ihr erstes Gehalt in die Heimat, um die Liebsten zu unterstützen, weiß Mary Agnes Urban. Sie kam damals als Sozialarbeiterin nach Deutschland, um die anderen Filipinas zu unterstützen und ihnen zu helfen.

„Sie ist unsere Mami gewesen“, lächelt Juileta Quiskamp, die heute mit ihrem Mann in Essen wohnt und als Medizinisch-Technische Assistentin arbeitet. „Aus ursprünglich drei Jahren in Deutschland sind 50 geworden.“ Denn der Vertrag für die Krankenschwestern und Hebammen ging erstmal nur drei Jahre, viele verlängerten aber.

Mülheim, USA, Philippinen: Die Lebenswege sind verschieden

Beim 50-jährigen Wiedersehen stellt sich heraus: Jede hat ihr Leben anders gestaltet. Benedicta Stolpe kam 1970 mit gerade Mal 22 Jahren als Hebamme nach Deutschland, wollte ursprünglich weiter reisen in die USA, um ihre Familie nachholen zu können. Doch stattdessen hat sie „hier die Liebe gefunden“, bekam zwei Kinder und lebt noch heute glücklich in Mülheim. Fely Luciano, Mitorganisatorin des Wiedersehen-Treffens, lebt inzwischen wieder auf den Philippinen. „In Deutschland haben wir Sicherheit – aber Geborgenheit ist zu Hause“, sagt sie. Regelmäßig kommt Fely Luciano aber immer noch nach Deutschland, um ihre Kinder zu besuchen.

Josephine Leum hat sich nach 16 Jahren in Deutschland gefragt, ob das schon alles im Leben sein kann. Sie ist nach Kalifornien gezogen, wo sie noch heute lebt. Und trotz der unterschiedlichen Lebenswege: Sie alle haben es geschafft, sich 50 Jahre nach ihrer ersten Ankunft in Deutschland in Mülheim wieder zu treffen. Beim Wiedersehen wird gelacht, getanzt, gesungen und gegessen – die Stimmung ist gelöst und herzlich. Man spürt, dass die Frauen sich freuen, einander nach all den Jahren wiederzusehen.

Auch heute kommen noch Philippiner nach Deutschland

Auch heute kommen immer noch viele Krankenschwestern und Hebammen aus den Philippinen nach Deutschland, der Flug wird für sie bezahlt.

Heutzutage sprechen sie jedoch bei ihrer Ankunft nicht nur zwei Wörter deutsch, sondern bekommen noch auf den Philippinen einen Deutschkurs bezahlt.

Mittlerweile leben hier im Ruhrgebiet Philippiner in der dritten Generation.