Mülheim. Sohaib Nasir ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Als Jugendlicher entschied er sich, Imam zu werden. Wieso er diese Wahl getroffen hat.

Wäre Sohaib Nasir nicht gläubiger Muslim, dann wäre sein Leben vermutlich ganz anders verlaufen. Angefangen mit seinen Eltern: Die beiden flüchteten 1978 aus Pakistan, als sogenannte Ahmadi-Muslime waren sie in ihrer Heimat Anfeindungen ausgesetzt, ihr Glaube per Gesetz verboten. „Religion hat in unserer Familie immer eine große Rolle gespielt“, sagt der 28-Jährige. „Als Kind spürt man einfach, wenn etwas so einen hohen Stellenwert für die Eltern hat.“ Das habe ihn und seine drei Brüder geprägt, sagt der gebürtige Iserlohner. Imam geworden ist aber nur er. Wieso?

Nachrichten aus Mülheim – lesen Sie auch:

Diese Frage höre er häufig. Es leid, sie zu beantworten, sei er nicht. „Mein Glaube hat mir oft im Leben geholfen“, erklärt Sohaib Nasir. Sein Denken und Handeln seien davon geprägt. „Es gibt mir einfach eine große Ruhe, eine Zufriedenheit.“ Nach dem Realschulabschluss fasst der damals 15-Jährige den Entschluss, Imam werden zu wollen. „Ich hatte den Wunsch, meine Glaubens-Praktik zum Beruf zu machen.“ Viel Zeit habe Nasir ohnehin schon in das Leben als gläubiger Muslim investiert. Mindestens fünf Gebete am Tag, das Studium des Korans und das Auseinandersetzen mit anderen Schriften – „so wie ich esse, brauche ich meine spirituelle Energie“, zieht er den Vergleich zu einem körperlichen Bedürfnis.

Imam in Mülheim: Ausbildung im hessischen Riedstadt

Dem Realschulabschluss folgt die allgemeine Hochschulreife. „Meine Eltern haben sich gewünscht, dass ich auch etwas Weltliches in der Hand habe“, erklärt er. Zusätzlich habe ihm das bessere Chancen bei der Bewerbung um einen Platz am Imam-Institut im hessischen Riedstadt verschafft. „Wer die allgemeine Hochschulreife oder das Abitur hat, wird bevorzugt. Aufnahmekriterium ist das aber nicht.“ Das Institut in Riedstadt gehört zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft, es wurde 2012 gegründet. Die Ausbildung zum Imam dort dauert sieben Jahre. „Pro Jahrgang gibt es 15 bis 20 Schüler, insgesamt so um die 115“, sagt Sohaib Nasir.

Auch interessant

Von 2013 bis 2020 lebt und lernt er in Riedstadt mit Jungs und jungen Männern aus anderen Teilen Deutschlands, die meisten von ihnen mit asiatisch-muslimischen Wurzeln wie er sie hat. Montags bis samstags gibt es von 8 bis 14 Uhr Unterricht: Koran-Studium, Arabisch, vergleichende Religionswissenschaften, deutsche Geschichte. „Der Fokus liegt schon auch sehr darauf, dass wir in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und auch hier als Imame praktizieren“, erklärt Nasir. Der Zugang, nicht nur zum Islam, sondern auch zu anderen Religionen, sei ein offener gewesen. „Es wurde viel Wert auf einen erweiterten Blick gelegt.“

Familie Nasir lebt nun in Mülheim-Styrum

Der Hauptsitz der Ahmadiyya liegt in London, durch die Historie des Commonwealth leben viele asiatisch-muslimische Menschen in Großbritannien. Nach dem Abschluss des Imam-Studiums hätte Sohaib Nasir dort einen Monat verbringen sollen – „aber wegen Corona ging das leider nicht.“ So wurde er ab August 2020 in Kassel als Imam eingesetzt, lernte dort das Leben und die Arbeit als Geistlicher kennen. „Als Imam bist du nicht nur Imam. Du bist auch Seelsorger, Helfer und Freund.“ Der Abschied nach Mülheim sei ihm schwer gefallen, „die Leute wachsen einem so schnell ans Herz“. Die Aufnahme in Mülheim war eine herzliche, sagt Nasir, der Bedarf nach einem Imam groß. „Vorher hat ein Kollege aus Neuss die Gemeinde betreut, aber das ist natürlich schwierig mit der Distanz.“

Auch interessant

Mit seiner Frau und der 16 Monate alten Tochter lebt Sohaib Nasir seit rund einem Monat in Styrum. „Wir fühlen uns hier sehr wohl“, sagt er. In die Mülheimer Ahmadiyya Muslim Jamaat-Gemeinde kehrten laut Nasir Gläubige aus der ganzen Region ein, „aus Duisburg, Oberhausen, Essen“. Der überwiegende Teil der Gemeindemitglieder habe pakistanische Wurzeln, aber auch türkische, albanische und deutsche. „Die Gemeinde ist sehr aktiv, das gefällt mir.“ Als junger Imam suche er auch immer wieder den Kontakt und die Verbindung zu jungen Gemeindemitgliedern, ein Nachwuchsproblem habe die Ahmadiyya-Gemeinde nicht. „Wir pflegen hier ein freundschaftliches Verhältnis, ich gehe auch gerne mit den Kindern und Jugendlichen Fußball spielen oder frage sie nach dem Gebet, wie so ihr Tag war“, erzählt Nasir. „Ja, ich bin auch der Imam. Aber ich bin auch ich, bloß ein Mensch.“

>>> Ahmadi-Muslime

  • Ahmadi-Muslime sind Gläubige der Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ), einer Reformbewegung des Islams, die ihren Ursprung in Indien hat. Laut Sohaib Nasir gibt es in Deutschland rund 50.000 Ahmadi-Muslime, im Ruhrgebiet schätzungsweise 400. Bundesweit gebe es rund 60 Ahmadiyya-Moscheen.
  • Die AMJ ist als sogenannte Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. „Wir finanzieren uns ausschließlich durch Spenden und sind unabhängig“, erklärt Nasir.“
  • „In Pakistan werden Ahmadi-Muslime verfolgt und für ihren Glauben bestraft“, so der Imam. „Deswegen leben viele von ihnen überall auf der Welt verteilt.“
  • Sohaib Nasir ist für die Beantwortung von Fragen und einen Austausch offen, der Kontakt ist per E-Mail an sohaib.nasir@ahmadiyya.de oder mobil unter 0176 42934680 möglich. „Ich bin nicht nur Imam für unsere Gemeinde, sondern für alle Bürger in Mülheim.“