Mülheim. Der Jahreshitzerekord liegt bei 37,7 Grad – noch. Denn Mülheim stehen heißere und vor allem längere Hitzeperioden bevor. Wo die Probleme liegen.
- Eine Klimaanalyse des Regionalverbands Ruhr zeichnet ein alarmierendes Bild.
- Bis 2050 soll die Zahl der Hitzetage drastisch ansteigen, besonders in der Innenstadt.
- Neben der City sind voraussichtlich Dorf Saarn, Heißen Mitte, Styrumer und Broicher Mitte stark betroffen.
Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Manchem ist es bereits zu viel. Mit gemessenen Temperatur von 37,7 Grad hat die Ruhrstadt im Juli ihren bisherigen Jahreshitzerekord aufgestellt. Seit Wochen ist es heiß und knochentrocken im gesamten Stadtgebiet. Und dabei wird es nicht bleiben, wie Prognosen einer Klimaanalyse des Regionalverbands Ruhr (RVR) für Mülheim zeigen. Die jährliche Zahl der heißen Tage mit mehr als 30 Grad Celsius steigt bis 2050 dramatisch an, besonders in der Innenstadt, aber auch in den Stadtteilzentren. Es wäre höchste Zeit, mal richtig ,cool’ zu handeln gegen ein Schwül-heim an der Ruhr.
Denn der Klimawandel ist mit Riesenschritten unterwegs: „Wir haben 2018 bereits rund 86 Sonnentage gezählt“, sagt Umwelt- und Stadtentwicklungsdezernent Felix Blasch. Das mag bislang noch als extremer Wert gelten. Die Klimaanalyse des RVR geht jedoch davon aus, dass es in den kommenden 30 Jahren im Durchschnitt 57,9 solcher Sommertage mit mehr als 30 Grad Celsius geben wird – das wären im Mittel gut 16 Tage mehr als bislang. Und selbst moderatere Tage mit Temperaturen von wenigstens 25 Grad werden weiter ansteigen auf rund 63 im Jahr. 1961 bis 1990 waren es noch 45,7 Tage.
Wie die Tropenhitze in den Innenstädten zunimmt
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Und dies ist nur die eine Seite der Hitze. Denn auch für die Nacht versprechen die Berechnungen des RVR noch weniger Abkühlung als bislang. Besonders den hochverdichteten und -versiegelten Stadtkern mit nur wenig Belüftung, hohen Schadstoffbelastungen und mit wenig Zustrom von Kaltluft-Flächen über die Ruhr und im geringen Maße über das Rumbachtal stehen noch mehr Tropennächte bevor, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinken wird. Durchschnittlich 2,3 Tage zählte man noch im Vergleichszeitraum von 1961 bis 1990. Künftig werden es wohl mehr als zehn Mal so viel sein – rund 29 Tage.
Die Mischung aus heißen Tagen und tropischen Nächten treibt das Hitzeproblem in der Stadt weiter an. Eine Prognose der Wärmeinselbereiche in der Stadt verdeutlicht das Ausmaß: Beschränken sich solche Flächen mit hoher und sehr hoher Hitze bislang noch auf die Innenstadt und kleine Bereiche in den Stadtteilzentren wie etwa das Dorf Saarn, Heißen Mitte, Styrumer und Broicher Mitte, werden sich diese Inseln bis in Jahr 2100 nicht nur massiv ins Umfeld der Zentren ausdehnen, sondern auch an Intensität deutlich zunehmen.
Aus Inseln, die derzeit noch etwa fünf Prozent der Mülheimer Wohngebiete (5,5 Quadratkilometer) einnehmen, werden ,Kontinente’ mit einer Fläche von 16,7 Quadratkilometern oder auch 15,3 Prozent. Und darin sind nicht die Gewerbe- und Industriebereiche eingeschlossen, die ebenfalls einen guten Teil der Stadt ausmachen.
Fatale Verdichtung trifft Ältere, Kranke und Kinder am härtesten
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Was den Handlungsdruck verstärkt: Ausgerechnet in der hochversiegelten Innenstadt – den Stadtteilen Altstadt I und II – ist die Bevölkerungsdichte nicht nur besonders hoch, hier leben gerade auch viele der sogenannten vulnerablen Gruppen: ältere Menschen und kleine Kinder, Kranke. Die Hälfte der Seniorenwohnheime liegt in den hitzebetroffenen Stadtbereichen, etwa 48 von 83 Kitas, die zwei Mülheimer Krankenhäuser, therapeutische Einrichtungen, Schulen.
Und nun? Mehr Ausgleichsräume müssten geschaffen werden, um die „Lasten“ der verdichteten Flächen zu kompensieren. Und das heißt mehr Park- und Grünanlagen, Gewässer, Freiland und Wald. 44,3 Prozent zählen zu den sogenannten Freiflächen, wovon der größte Teil der Landwirtschaft gehört, rund 19 Prozent umfasst der Wald. Solche Bereiche liegen jedoch hauptsächlich im Süden und Südosten der Stadt, aber selten dort, wo sie mehr Entlastung brächten: zwischen den Siedlungsbereichen.
55,7 Prozent des Mülheimer Gebiets dagegen bestehen aus Siedlungs- und Verkehrsflächen, die sich zudem konzentrieren. Innerhalb davon machen gerade einmal 8,4 Prozent die Erholungs- und Friedhofsflächen aus. Der Verkehr nimmt 13,9 Prozent der Flächen ein.
Was der RVR empfiehlt: Entsiegeln und begrünen
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Konkrete Handlungsanweisungen empfiehlt der RVR für die stark verdichteten Stadtbereiche wie der Altstadt I und II: Hier sollte „keine weitere Versiegelung erfolgen, sondern Entsiegelungs- und Begrünungsmaßnahmen angestrebt werden. Insbesondere im Bereich hochversiegelter Innenhöfe, wie beispielsweise zwischen der Brück- und Sigismundstraße sowie im gesamten Innen- und Altstadtbereich, sind entsprechende Maßnahmen zu fördern“.
Dazu können auch Fassaden- und Dachbegrünungen zählen, besonders Bäume für Schattenzonen auf öffentlichen Plätzen, Parkflächen und Schulhöfen. Sogar Rückbaumaßnahmen schlägt der RVR vor, „als Chance zur Integration von mehr Grün in das Stadtbild“.
Das Dilemma von Mülheims Stadtplaner ist nicht nur das liebe Geld
Umweltdezernent Felix Blasch steht deshalb vor einem Dilemma: „Wir haben kein Konzeptproblem. Wir wissen, wie sich das Klima entwickelt, wir wissen, was dagegen zu tun ist. Wir haben aber ein Umsetzungsproblem. Wir können bestehende Gebäude, Plätze und Straßen, die technisch völlig in Ordnung sind, nicht einfach entsiegeln oder gar abreißen und neu bauen.“ Ein Grund: das Loch im städtischen Haushalt. So fehle bisweilen selbst das Geld für einen Eigenanteil, um sich auf Städtebauförderprojekte bewerben zu können.
Doch selbst wenn Mülheim noch eine reiche Stadt wäre, die sich das leisten könnte, hätte sie noch wenig Einfluss auf die Bebauung von Grundstücken, die ihr nicht gehören. Und das sind nicht wenige. Die Ursache: der berüchtigte Bauparagraf 34. Er legt fest, dass eine „Nachverdichtung“ etwa durch Wohnbebauung dann nicht durch die Stadt verwehrt werden darf, wenn sie der ortsüblichen Bebauung entspricht.
Und auch kein Bebauungsplan vorliegt, der anderslautende Richtlinien für ein Gebiet festlegt. In Mülheim, sagt Blasch, aber auch in vielen anderen Ruhrgebietsstädten gebe es kaum solche Bebauungspläne. Denn die erfordern Gutachten, Analysen, Personalaufwand – sind also teuer. Doch damit fehlt der Stadt jenes Steuerungselement, um eine Nachverdichtung zu verhindern oder dafür besondere Klima-Auflagen zu bestimmen.
So will die Stadt auf Hitze reagieren: mehr Grün und Wasser, Schwache schützen
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Dort hingegen, wo sie direkten Einfluss hat, will die Stadt reagieren: „Am neuen Dickswall haben wir statt mehr Spuren einen Grünstreifen und Verschattung geplant“, führt Blasch an, „in der Weise müssen wir auch künftig Klima und Verkehr zusammendenken“. Auch beim Bauen kann die Stadt auf Einnahmen für Grundstücke verzichten und damit Konzepte fördern, die klimafreundlich bauen. Solche „Konzeptvergaben“ will Planungsdezernent Blasch künftig deutlich stärker verfolgen.
Und: mehr priorisieren, zum Beispiel „vulnerable Gruppen“. Im Klimaanpassungskonzept vom Februar 2020 seien die Maßnahmen im Bereich „Menschliche Gesundheit“ festgelegt. Ein Ergebnis sei der „Hitze-Knigge“, den die Verwaltung in diesem Sommer in der Stadt verteilt hat.
Priorisieren müsse die Stadt auch bei Wasser und Grün in der Innenstadt. Ein oberirdischer Rumbach klinge erst einmal verlockend, meint auch Blasch, doch am Ende bringe auch ein flacher Bach weniger Kühlung als etwa Brunnen oder Wasserspiele, die das Nass in der Luft verteilen. Der Ansatz gelte auch für Grünflächen, deren Widerstandsfähigkeit (Resilienz) geprüft werden müsse.
Nicht alles müsse die Stadt tun, so Blasch, im Gebiet des integrierten Innenstadtkonzeptes können Eigentümer Fördermittel für Fassadenbegrünung sowie die Entsiegelung und Begrünung von Höfen bekommen. Ab Herbst, wenn das neue Team Innenstadt seine Arbeit aufnehmen wird, stehen hier zusätzliche Beratungskapazitäten zur Verfügung.
„Und wir müssen über die Gestaltung öffentlicher Plätze nachdenken. Das alles wird eine Herausforderung. Aber wir müssen kreativ werden“.