Mülheim. Angeschafft ist ein Tier schnell, besonders seit der Welpenhandel übers Internet boomt. Auch im Mülheimer Tierheim landen viele der Vierbeiner.
Sie sind sowieso Pechvögel, wenn sie im Tierheim landen – aller guten Versorgung dort zum Trotz. Doch viele der Hunde, Katzen und Kleintiere, die das Team um Tierheim-Leiterin Marion Niederdorf beherbergt, kommen krank an, sitzen voller Parasiten, sind unterernährt, teils von Maden befallen oder haben schlechte Zähne und müssen besonders umsorgt und gepäppelt werden. Das verursacht nicht nur höhere Tierarztkosten, sondern zeugt auch von deutlich mehr Leid.
Sie sind nicht die Regel, aber doch immer wieder landen sie im Tierheim an der Horbeckstraße: Verwahrloste Tiere, die abgemagert sind, entzündete Ohren oder schlechte Zähne haben, eben unter gesundheitliche Probleme leiden, die vorher nicht ausreichend behandelt worden sind, skizziert Marion Niederdorf, die Leiterin des Mülheimer Tierheims. Auffälligkeiten gebe es derzeit vor allem bei den Hunden. „Viele sind aus dem Ausland mitgebracht worden, die haben in den allermeisten Fällen Darmparasiten“, sagt Tierheim-Leiterin Niederdorf und zählt die Folgen auf: Durch den Parasitenbefall bekämen die Hunde Durchfall und magerten ab, brauchten spezielles Futter und über einen längeren Zeitraum Medikamente. „Das verursacht zusätzliche Tierarztkosten, auch das entsprechende Futter ist teurer“, schildert die Tierheim-Leiterin die finanziellen Auswirkungen.
Hunde, die aus dem Ausland kommen, müssen im Tierheim Mülheim oft in Quarantäne
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Hinzu komme die soziale Komponente: Denn Hunde, die Parasiten und Krankheiten mitbringen oder aber ohne unklaren Status der Tollwut-Impfung kommen, müssen von den anderen Tierheim-Insassen separiert und in Quarantäne gehalten werden, um Ansteckung zu vermeiden. Gerade jungen Tieren, die sich noch in der Prägephase befinden, gehe dadurch viel an Eindrücken und Begegnungen verloren, durch die sie sonst fürs Leben lernen. Der Leidtragende sei im Zweifel später derjenige, der das Tier aus dem Heim zu sich nach Hause holt und eine Menge Erziehungsarbeit nachzuholen habe.
Derzeit sitzt das Tierheim an der Horbeckstraße mit 34 Hunden proppevoll, von denen acht bereits in andere Tierheime und eine Tierpension ausgelagert worden sind. „Sollten noch mehr Hunde kommen, müssen wir auch die woanders unterbringen“, verweist Marion Niederdorf auf den Platzmangel. Der Großteil der Hunde komme aus dem Ausland – wie etwa die beiden Hündinnen Umut und Seker sowie der Rüde Bambam, die aus der Türkei mitgebracht worden sind. Etwa ein Dreivierteljahr sind die drei Sorgenkinder nun alt, leiden unter Darmparasiten und haben – vermutlich aufgrund ihrer schlechten Aufzucht – Probleme mit den Knochen, verdeutlicht die Tierheim-Leiterin den Gesundheitszustand der jungen Hunde.
Mülheimer Tierheim: Regelmäßig werden Hunde aus dem Ausland sichergestellt
Regelmäßig wird das Tierheim-Team mit den Schicksalen und den Folgen konfrontiert, wenn Halter sich Tiere unüberlegt anschaffen oder illegal mit Welpen aus dem Ausland gehandelt wird. Im vergangenen Herbst etwa stellten Polizisten am Mülheimer Hauptbahnhof einen Beagle und einen Dackelmischling sicher. Vier Männer aus der Slowakei waren mit den Tieren unterwegs, wollten mutmaßlich mit den Hunden Mitleid erzeugen und betteln. Weil die Papiere der Hunde Ungereimtheiten aufwiesen, kamen sie ins Tierheim. Vor rund sechs Jahren erlebte das Mülheimer Tierheim eine regelrechte Hundeschwemme, als insgesamt 38 Tiere in Speldorf aus einem Lieferwagen mit rumänischem Kennzeichen befreit wurden.
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Die drei türkischen Vierbeiner Umut, Seker und Bambam setzen diese Reihe gerade fort. Die Vierbeiner landeten im Tierheim, weil die Käufer, die sie eigentlich in Deutschland zu sich nehmen wollten, abgesprungen sind – soviel weiß man im Tierheim zu ihrer Vorgeschichte. Warum aber die Menschen einen Rückzieher von der Übernahme der Hunde gemacht haben, ist nicht bekannt.
Dass Tiere abgegeben werden, weil bei ihren Haltern das Geld knapp wird – gerade, wenn Hunde oder Katzen alt und krank werden, wenn sie spezielle Bedürfnisse an Ernährung oder Gesundheitsfürsorge haben, das komme vor, erzählt die Tierheim-Chefin. Wenn etwa ein Herrchen oder Frauchen die teils vierstelligen Tierarzt-Rechnungen von der Rente nicht mehr begleichen könne, wendeten sich die Menschen ans Tierheim. „Das hören wir immer mal“, sagt Niederdorf und rät: „Wenn das Geld nur fürs Futter nicht mehr reicht, können die Halter die Tier-Tafel in Anspruch nehmen.“ Dass die Preissteigerungen, die jeder im Supermarkt registriert, inzwischen den Effekt haben, dass Menschen ihre Tiere abgeben müssen, hat Niederdorf indes noch nicht registriert.
Kaninchenfamilie kurz vor den Sommerferien in Oberhausen ausgesetzt
Erst kürzlich zog eine Kaninchenfamilie ein, gefunden worden war die Kaninchenmutter mit ihren sechs Jungen in Oberhausen. Ihr Pflegezustand war gut, noch. Ausgesetzt worden waren sie gut eine Woche vor den Sommerferien. Einen regelrechten Ferieneffekt aber mit vermehrter Abgabe von Tieren oder auffällig vielen Fundtieren registriert man im Mülheimer Tierheim nicht, sagt Marion Niederdorf. Wohl aber, dass viele Kaninchen an der Horbeckstraße landen – und viele von ihnen sind nicht ganz gesund.
Zahnfehlstellungen kämen oft vor, die den Tieren unbehandelt Schmerzen zufügen und die Kaninchenhaltung für den Besitzer oder die Besitzerin betreuungsintensiv machen. Auch Kaninchen, die unter Madenbefall leiden, weil Fliegen ihre Eier in die mit Kot verklebten Hinterteile der Kleintiere gelegt haben, sehen sie im Tierheim immer wieder – das könne abscheuliche Folgen für das Tier haben.
Gelbkopf-Amazonen haben ihre Bezugsperson verloren und sitzen im Tierheim
Zu den Sorgenkindern im Tierheim gehören aktuell auch Harry und Sally, zwei Gelbkopf-Amazonen. „Die sind schon sehr alt, nicht mehr ganz gesund und manchmal angriffslustig“, sagt Niederdorf über die Papageien. Ursprünglich lebten Harry und Sally bei einem alten Ehepaar, der Mann war die Bezugsperson der kontaktfreudigen Vögel. Doch als er starb, kam die Frau, die selbst dement war, mit den Papageien nicht mehr zurecht. „Der Pflegedienst hat dann bei uns angefragt, ob wir die Tiere übernehmen können“, erzählt die Tierheim-Leiterin. Längeres Leiden der Tiere habe so wohl verhindert werden können.
Der größte Pechvogel im Tierheim bleibt nach Aussage von Marion Niederdorf aber – neben langjährigen Insassen wie dem besitzergreifenden Bulldoggen-Mix Vito und dem schwierigen Mischling Paul – allerdings Kangal Aslan, der absolut keine anderen Hunde mag. Nicht nur ein neues Herrchen oder Frauchen wird für den 60-Kilo-Hund gesucht, sondern vorab ein Gassigeher oder eine Gassigeherin, jemand, der mit dem Riesen zurechtkommt und ihm etwas Abwechslung außerhalb des Tierheim-Alltags bescheren kann. Bekäme Aslan sogar ein Zuhause, fände ein tierisches Schicksal ein gutes Ende.