Mülheim. Mülheimer Schuldenberatung rechnet mit einer Welle von Ratsuchenden im Laufe des Jahres. Einkaufskorb wird bei vielen Familien nicht mehr voll.

Wenn am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig ist, wird es in diesen Zeiten steigender Preise für manchen Haushalt auch in Mülheim schwierig, über die Runden zu kommen. Hohe Energiekosten, teurere Lebensmittel – die Mülheimer Schulden- und Insolvenzberatung spürt bereits die Sorgen ihrer Klienten.

Gestiegene Kosten für Strom und Gas, die nicht mehr beglichen werden können – diese konkreten Probleme seien noch nicht bei den Mitarbeitenden der Awo-Schuldnerberatung angekommen, sagt Gruppenleiterin Heike Egener. Das sei aber nur eine Frage der Zeit. „In unseren Gesprächen hören wir allgemein die Sorge: Wir tun ja schon alles, aber wir bekommen den Einkaufskorb nicht mehr voll.“ Kunststück, wenn das Budget schmal bleibt und die Kosten steigen. Auch die Sorge, sich die warme Wohnung nicht mehr leisten zu können, treibe viele Ratsuchende um. Wer Raten abzahlen müsse, mache sich jetzt schon Gedanken, „ob man das in einem halben Jahr überhaupt noch kann.“

Mitteilungen über höhere Abschläge sind noch nicht überall in Mülheim angekommen

Zu sechst beraten sie bei der Awo Menschen in finanzieller Not. Eine Welle von Ratsuchenden aufgrund der gestiegenen Energiepreise erwarten Egener und ihr Team spätestens im Herbst. „Die Mitteilungen über die höheren Abschläge für Gas und Strom sind noch nicht überall angekommen“, weiß sie. Der Beratungsbedarf insgesamt habe sich im Mülheim im Vergleich zum Vorjahr daher auch noch nicht so sehr verändert. „In den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 hatten wir acht Neuaufnahmen weniger als in 2022“, sagt die Gruppenleiterin. Derzeit hat die Schulden- und Insolvenzberatung 1409 Klienten. 222 Ratsuchende sind in diesem Jahr neu hinzugekommen.

Was rät man Menschen, deren Budget hinten und vorne nicht mehr ausreicht? Sparen ist die Devise, wenn das Geld knapp wird. „Wir sprechen auch über die Möglichkeit, den Energieanbieter zu wechseln“, sagt Heike Egener. Die Schuldnerberatung kooperiere dazu etwa mit der Verbraucherzentrale wie auch mit anderen Beratungsstellen, etwa bei einer Suchterkrankung.

Berater-Team empfiehlt, ein Haushaltsbuch zu führen

Auch interessant

Die Schuldenberaterinnen und -berater empfehlen immer wieder, ein klassisches Haushaltsbuch zu führen. „So kann man schauen, wohin geht das Geld, wo kann man doch noch sparen“, sagt Heike Egener. „Das Haushaltsbuch bringt eine ganze Menge“, ist sie überzeugt. Beim Einkaufen auf Sonderangebote achten, saisonale Produkte einkaufen und sich überlegen, ob man einen Artikel wirklich benötigt, so lauten ihre Empfehlungen. Sparen könne man auch am Strom- und am Warmwasserverbrauch. Das Vermeiden weiterer Schulden sei das Ziel. Wer aber vorher nur auf Pump gelebt habe, der müsse das auf harte Weise lernen: „Das fällt Betroffenen sehr schwer.“

Mit dem gängigen Vorurteil „Wer Schulden hat, ist selber schuld“ möchte Heike Egener dringend aufräumen. „Diese Situation kann jeden einmal treffen“, weiß sie aus Erfahrung. Nicht nur jene, die sich beim unüberlegten Konsumieren mit den Ratenzahlungen übernommen haben. Sie nennt tragische Situationen wie den Tod des verdienenden Partners, eine schwere Erkrankung, den Verlust der Arbeitsstelle. Oder wenn die Raten für den Wagen über den Kopf wachsen, den man unbedingt brauche, um den Arbeitsplatz erreichen zu können. „Es gibt viele Kleinigkeiten, über die man in eine Schuldenfalle geraten kann.“

Viele Schuldner in Mülheim kennen ihre Rechte nicht

Jeder Fall ist anders, jeder Mensch steckt in seiner persönlichen, schwierigen Situation. Viele kämen voller Scham in die Beratung, doch das sei nicht nötig. „Wir beraten hier ja nicht mit dem erhobenen Zeigefinger“, betont Heike Egener. Man müsse in die Zukunft schauen, Perspektiven schaffen: Was muss jetzt passieren, was kann man ändern? Viele kennen auch ihre Rechte nicht, so Egener. Die ältere Rentnerin kann vielleicht Grundsicherung und Zuschüsse wie Wohngeld beantragen. Inkassounternehmen dürften auch nicht alle Mahngebühren oder Zinsen auf den Schuldner umlegen, so Egener, auch das prüfen die Schuldenberater ganz genau.

Nach gründlicher Prüfung kommt bei manchen Klienten möglicherweise ein Privatinsolvenzverfahren in Frage. „Hier haben wir aber im Vergleich zum Vorjahr gleichbleibend viele Fälle“, sagt Egener. Bisher sind es 41 Anträge im laufenden Jahr; im vergangenen waren es 147 Anträge auf ein Insolvenzverfahren. „Auffallend sind aber viele P-Kontobescheinigungen, die wir ausstellen mussten, um das Kontoguthaben vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen“, berichtet Egener. 95 Bescheinigungen seien es bisher gewesen.

Kontakt wird zu den Gläubigern aufgenommen, um Kompromisse zu finden

Die Beraterinnen und Berater der Awo nehmen Kontakt zu den Gläubigern auf, verhandeln beispielsweise über eine Senkung der Rate. „Unser Ziel ist eine Einigung, von der beide Seiten profitieren.“ Heike Egener und ihr Team erleben die Ratsuchenden oft sehr erleichtert, wenn ihnen ein Ausweg aus der Schuldenkrise gewiesen wird: „Viele sagen, ,Jetzt ist mir eine großen Last vom Herzen gefallen’, oder ,Jetzt kann ich endlich wieder schlafen!“

Schuldenberatung auch in Styrum

Bei der Schulden- und Insolvenzberatung der Awo gibt es aus Pandemiegründen noch keine offene Sprechstunde. Unter 0208 45003-154 oder per Mail unter schuldenberatung@awo-mh.de kann ein Termin vereinbart werden. Mehr Infos finden sich unter https://www.awo-mh.deDie Beratungsstelle der Awo befindet sich an der Bahnstraße 8 in der Stadtmitte. Zudem wird seit Kurzem auch in Styrum, an der Hauskampstraße 58, beraten. Auch hier ist eine Terminvereinbarung notwendig.