Mülheim. 2021 hat die Awo-Schuldenberatung bereits 800 Fälle beraten. Das ist ,normal’, warum aber Corona wohl für eine hohe Dunkelziffer gesorgt hat.
Noch sehen sie beim Blick auf ihre Klienten keinen deutlichen Corona-Effekt, sagen Sparkasse und Awo-Schuldenberatung unisono. Dass aber Mülheimer die Auswirkungen der Pandemie wirtschaftlich noch zu spüren bekommen werden, davon sind beide Institutionen überzeugt. Bei der Awo-Schuldenberatung zeichnet sich bereits ein indirekter Anstieg der Beratungen ab. Um deren kostenloses Hilfsangebot sicherzustellen, leistet die Sparkasse Mülheim pflichtgemäß eine jährliche Zuwendung – jetzt flossen 28.520 Euro an die Schuldenberatung der Awo in Mülheim. Warum dort die offene Sprechstunde fehlt.
Rund 800 Fälle hat das Team der Schuldnerberatung aktuell in der Beratung. Rechne man das aufs gesamte Jahr hoch, lande man bei rund 1200 Fällen, bilanziert Carsten Welp, der Leiter der Beratungsstelle. Das liege im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Diese Zahlen liegen auf gleichbleibend hohem Niveau, sagt Welp.
Offene Sprechstunde kann coronabedingt nicht stattfinden
Doch im zweiten Corona-Jahr deuten diese Zahlen genauer betrachtet einen indirekten Anstieg an. Denn, legt Michaela Rosenbaum, Geschäftsführerin des Awo-Kreisverbandes Mülheim, aus: „All die Leute, die wir normalerweise über die offene Sprechstunde erreicht hätten, fallen da raus.“ Eine hohe Dunkelziffer sei also zu befürchten.
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Coronabedingt kann die freie Sprechstunde – eben die Beratung ganz ohne Termin – derzeit nicht stattfinden. Ein Anbot, das nach Aussage von Welp und Rosenbaum vor der Pandemie stark angenommen worden war – „eines unserer wichtigsten Instrumente, das den Erstkontakt niederschwellig ermöglicht“.
Manchem Klienten fällt es schwer, Termine einzuhalten
Mit dem Wegfall, so fürchten die Beteiligten, sind gerade diejenigen, die die Beratung mit am dringendsten nötig haben, vermutlich auf der Strecke geblieben. „Es sind diejenigen Menschen, denen es schwer fällt, sich einen Termin geben zu lassen und diesen dann auch wirklich einzuhalten. Dafür braucht man eine Struktur und muss sich selbst organisieren können“, skizziert Michaela Rosenbaum die Schwierigkeiten des Klientels.
Schulden seien zumeist Ausdruck einer tieferen Problemlage, sagt die Awo-Geschäftsführerin. Nicht selten vermitteln die Schuldenberater der Awo den Menschen, die bei ihnen Hilfe wegen ihrer Finanzen Sorgen, auch Beratungsangebote beispielsweise in der Suchthilfe. Spielsucht etwa sei immer häufiger ein Grund dafür, dass gerade Männer in finanzielle Schieflage geraten, sagt Welp. Hinzu kämen psychische Probleme wie Depressionen, sagt Rosenbaum – auch da tue die bedrückende Corona-Situation ihr Übriges.
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Schulden aber gingen durch alle Schichten und nahezu durch alle Altersgruppen, verdeutlicht Carsten Welp. Am häufigsten aber suchten Mülheimer im Alter zwischen 30 und 50 Jahren Hilfe bei der Schuldenberatung. „In der Lebensspanne passiert einfach viel – Trennung, Scheidung, Arbeitsplatzverlust können Gründe sein, um in die Schulden abzurutschen“, sagt der Schuldnerberater. Aber auch Menschen im Rentenalter nähmen die Beratung in Anspruch – doch gerade unter Frauen, deren Witwenrente nicht ausreicht, sei es schambehaftet, sich Hilfe zu holen, haben Welp und Rosenbaum beobachtet.
Sparkasse registriert keinen Anstieg von Problemfällen durch Corona
Die Sparkasse hat rückblickend auf die Corona-Monate eher einen kontinuierlichen Anstieg der Guthaben auf den Konten ihrer Kunden festgestellt, berichtet Frank Werner vom Vorstand der Sparkasse Mülheim. „Wir haben bislang keinen Anstieg an Problemfällen festgestellt, auch Tilgungsaussetzungen, die wir angeboten haben, sind nicht in Anspruch genommen worden.“ Doch die Menschen, die bei der Awo-Schuldenberatung landen, seien eher nicht die klassischen Sparkassen-Kunden, weiß Carsten Welp. Sondern eher diejenigen, die längst zu Banken gewechselt sind, die freigiebiger und mitunter unkritischer Kredite vergeben, hat der Schuldenberater beobachtet.
Damit es gar nicht soweit kommt, dass Menschen in die Schuldenspirale rutschen, will die Awo auf Prävention setzen und Möglichkeiten erarbeiten, um etwa bereits in Schulen für Aufklärung zu sorgen, stellt Michaela Rosenbaum in Aussicht und nennt ein typisches Fallbeispiel: „Wer viel übers Internet bestellt oder auf Raten kauft und dann die Mahnungen nicht öffnet, kann auch schon als junger Mensch einen Berg von Schulden aufhäufen.“