Mülheim. Trotz Corona sind weniger Menschen in Mülheim überschuldet. Doch das dicke Ende könnte noch kommen. Auch steigende Energiepreise bereiten Sorgen.
Die private Überschuldung in Mülheim ist leicht zurückgegangen - trotz Corona und entgegen einiger Prognosen. Nach neuen Zahlen aus dem Schuldner-Atlas Ruhrgebiet stecken 10,74 Prozent der Menschen hier in der Stadt tief in den roten Zahlen, 2020 waren es 11,63 Prozent. Doch die Fachleute geben keinesfalls Entwarnung - ganz im Gegenteil. Sie fürchten, dass schwierige Jahre bevorstehen.
Alljährlich im Herbst veröffentlichen Wirtschaftsforscher des Traditionsunternehmens Creditreform Zahlen zur Verschuldung der Privathaushalte. Diesmal hatte der Schuldner-Atlas Ruhrgebiet eine erfreuliche Überraschung zu vermelden: In allen Revier-Kommunen ist die Schuldnerquote gesunken, fast überall um mehr als ein Prozent, in Mülheim etwas weniger (minus 0,89 Prozent).
In Mülheim deutlich geringere Verschuldung als in Nachbarstädten
Generell steht Mülheim mit einer Schuldnerquote von 10,74 Prozent recht gut da, verglichen beispielsweise mit Duisburg (15,26 Prozent), Essen (12,69), Oberhausen (13,41) oder gar Gelsenkirchen (16,24). Doch die Spaltung innerhalb der Stadt, das Gefälle zwischen den Stadtteilen, ist weiterhin extrem.
Auch interessant
Der Schuldner-Atlas Ruhrgebiet bildet die Quoten nach Postleitzahlbezirken ab, die sich recht gut den Stadtteilen zuordnen lassen (siehe Grafik unten). Ausgesprochen hoch ist die Verschuldung in Styrum, wo sie 18,65 Prozent der Bevölkerung betrifft, ebenfalls in den Bereichen Altstadt I (16,8 Prozent) und Altstadt II/Eppinghofen (13,13 Prozent). Dagegen können in Saarn nur 5,58 Prozent der Bevölkerung ihre Schulden nicht mehr schultern - einer der niedrigsten Werte im gesamten Ruhrgebiet.
Schuldnerberater: Menschen konsumieren weniger, „weil es unsichere Zeiten sind“
Aber auch in den ärmeren Vierteln Mülheims ist die Verschuldung zurückgegangen, dieser Trend gilt generell, landes- und deutschlandweit. Trotz der Pandemie. Die Experten von Creditreform vermuten als Gründe: Konsumzurückhaltung, Corona-Lockdown. Das entspricht den Beobachtungen von Carsten Welp, Leiter der Awo-Schuldenberatung in Mülheim. Er sagt: „Der Konsum ist pandemiebedingt etwas zurückgegangen. Viele Menschen verhalten sich vorsichtiger, weil es unsichere Zeiten sind.“
Welp und sein Team werden bis zum Jahresende voraussichtlich 1100 bis 1200 Personen beraten haben. Dies sind eher weniger als in früheren Jahren. Obwohl in einigen Fällen eindeutig Corona der Grund ist, warum Menschen finanziell in Not geraten: „Zu uns sind schon einige Kleingewerbetreibende gekommen, die es pandemiebedingt nicht geschafft haben“, berichtet der Berater. Doch den befürchteten Andrang Verschuldeter, Verzweifelter gibt es bislang nicht.
Befürchtung: Auswirkungen der Pandemie kommen zeitversetzt
„Es kommt wohl wirklich zeitversetzt“, meint Carsten Welp. „Die Pandemie wird in den nächsten Jahren noch große Auswirkungen haben, davon bin ich überzeugt.“ In diese Richtung geht auch die Analyse von Creditreform wo es heißt: „Offensichtlich haben die immensen staatlichen Stützungs- und Hilfsmaßnahmen geholfen, die Wirtschaft zu stabilisieren und Unternehmen und Verbraucher vor einer befürchteten Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.“ Doch immer noch habe ein Drittel der Haushalte Einkommenseinbußen durch die Pandemie. Und in vielen Lebensbereichen steigen die Kosten.
Datenquellen und Dunkelziffer
Creditreform ist nach eigenen Angaben „Deutschlands führender Anbieter von Wirtschaftsinformationen, Marketingdaten und Lösungen zum Forderungsmanagement“.
Das Unternehmen bietet unter anderem Inkasso-Dienste, Bonitätsprüfungen und Marktanalysen.
Die Daten für den Schuldner-Atlas stammen unter anderem aus dem Schuldnerverzeichnis, Auswertung von Insolvenzverfahren und Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, heißt es bei Creditreform.
Allerdings wird eingeräumt, dass es sicher eine Dunkelziffer gibt - Personen, bei denen noch keine „harten Negativmerkmale“ aktenkundig sein. Die tatsächliche Zahl der Menschen, die überschuldet sind, dürfte also noch höher sein.
Deutschlandweit liegt die offizielle Schuldnerquote momentan bei 8,86 Prozent (minus 1,01 Prozentpunkte), in NRW sind es 10,47 Prozent (minus 1,16 Prozentpunkte).
Bei den Ursachen für private Verschuldung, die für den Schuldner-Atlas ebenfalls ermittelt werden, fällt auf: Arbeitslosigkeit oder Trennung/Scheidung sind tendenziell seltener der Grund, dagegen spielen gescheiterte Selbstständigkeit, Erkrankung/Sucht/Unfall sowie „längerfristiges Niedrigeinkommen“ eine immer größere Rolle.
Auch die Mülheimer Schuldenberatung habe immer häufiger mit Menschen zu tun, „die arbeiten gehen, aber bei denen unterm Strich nicht viel Geld übrig bleibt“, bestätigt Carsten Welp. „Im Hinblick darauf, dass die Strom- und Gaspreise jetzt stark steigen, erwarten wir, dass im nächsten Jahr deutlich mehr Leute Probleme bekommen.“