Mülheim. Der Mülheimer Flüchtlingsrat übt scharfe Kritik an den Plänen der Stadt, zur Unterbringung von bis zu 800 Flüchtlingen Container anzumieten.

Mülheims Flüchtlingsrat kritisiert die Pläne der Stadtverwaltung, für die Unterbringung von bis zu 800 weiteren Menschen aus der Ukraine auf Container setzen zu wollen. Es sei „beschämend, wie fantasielos die Verwaltung bezüglich der Unterbringung“ denke, so der Verein. „Großlager sind nicht im Sinne von Flüchtlingen, schon gar nicht von traumatisierten.“

Bekanntlich favorisiert die Stadt die Anmietung der im Sommer freiwerdenden Container-Hochschule an der Dümptener Straße in Styrum. Der Stadtrat soll Ende des Monats grünes Licht geben für Mietverhandlungen. Ein Mietpreis von 22 Euro je Quadratmeter ist aufgerufen für die 543 Container, die in Styrum zusammengebaut sind zu sechs Gebäuden mit einer Gesamtfläche von rund 11.500 Quadratmetern. Andere Anbieter hatten von der Stadt bis zu 124 Euro je Quadratmeter gefordert – dazu noch unerschlossen.

Mülheimer Dezernentin rechtfertigt Pläne für Container-Anmietung: Eile sei geboten

Auch interessant

Die Verwaltung favorisiert eine Lösung, mit der sie möglichst schnell Sicherheit in der Unterkunftsfrage bekommt. Sozialdezernentin Daniela Grobe konstatierte am Montag noch einmal, dass die Stadt mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges mit einer Fluchtdynamik konfrontiert sei, die im Vergleich zu den Hochzeiten der Flüchtlingskrise 2015/16 doppelt so viele Menschen in die Stadt bringe, die eiligst eines Obdachs bedürften.

Auch während der Flüchtlingswelle 2015/16 hatte die Stadt früh ihr Bemühen, Geflüchtete direkt dezentral in Wohnungen unterzubringen, aufgeben müssen und war in die Planung von Flüchtlingsunterkünften eingestiegen – allerdings an dezentralen Standorten, weil der Stadt eine sozialverträgliche Verteilung der Geflüchteten über das gesamte Stadtgebiet wichtig erschien.

Stadt Mülheim will Not-Unterbringung in Turnhallen vermeiden

Nun sucht sie die große, die schnelle Lösung – auch weil sie zum Ziel erklärt hat, anders als 2015/16 nicht längerfristig Sporthallen in Beschlag zu nehmen und damit der coronageplagten Jugend die Möglichkeiten zum Sporttreiben einzuschränken. Für September schon könnte die Stadt für den Container-Komplex in Styrum in ein Mietverhältnis kommen.

Politiker des Mülheimer Hauptausschusses besichtigten Ende vergangener Woche die Container-Hochschule an der Dümptener Straße in Styrum. Hier könnten bis zu 800 Flüchtlinge untergebracht werden, rechnet die Stadt vor.
Politiker des Mülheimer Hauptausschusses besichtigten Ende vergangener Woche die Container-Hochschule an der Dümptener Straße in Styrum. Hier könnten bis zu 800 Flüchtlinge untergebracht werden, rechnet die Stadt vor. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

„Jetzt werden offensichtlich die alten Konzepte zur Unterbringung von Flüchtlingen in Containern, wie sie während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in Mülheim praktiziert wurden, wieder aus der Schublade herausgeholt. Aufgrund der damaligen schlechten Erfahrungen hatte Mülheim 2015 auf dezentrale Unterbringungen gesetzt, wer bleiben konnte, sollte möglichst schnell in einer Wohnung leben können, und als Zwischenlösung wurden Holzhäuser errichtet“, übten nun Jörg Münstermann und Detlef Piorr für den Flüchtlingsrat Kritik an dem Vorgehen.

Stadt Mülheim reklamiert für sich, sich um private Wohnungen zu bemühen

Auch interessant

An der möglichst zügigen Weitervermittlung in Wohnungen halte man als Ziel auch fest, so Sozialdezernentin Grobe. Zwischenzeitlich habe die Zentrale Wohnungsfachstelle der Stadt nach einem Appell an private Eigentümer auch 78 Wohnungen gemeldet bekommen, die man nach und nach prüfe und zum Teil auch schon an Geflüchtete vermittele.

Der Blick in einen der Seminarräume der Mülheimer Container-Hochschule an der Dümptener Straße, die aus 543 Containern und sechs Gebäuden besteht.
Der Blick in einen der Seminarräume der Mülheimer Container-Hochschule an der Dümptener Straße, die aus 543 Containern und sechs Gebäuden besteht. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Die Stadtverwaltung halte sich bei der Suche nach privaten Wohnungen für Flüchtlinge „vornehm zurück“, sagt hingegen der Flüchtlingsrat. Er stellt die Frage in den Raum, ob die Errichtung eines weiteren großen „Containerlagers“ tatsächlich alternativlos sei. Er verweist darauf, dass bis jetzt etwa zwei Drittel der Flüchtlinge aus der Ukraine mit Hilfe der Vermittlung durch Privatpersonen und Kirchen private Wohnungen in Mülheim gefunden hätten.

Flüchtlingsrat: Stadt verfolgt Angebote für Wohnraum nicht weiter

So sei ein Angebot der Naturfreunde, etwa 40 Flüchtlinge sofort im Naturfreundehaus wohnen zu lassen, am 9. März vom Leiter des Sozialamtes zwar registriert, aber nicht weiter verfolgt worden. Ähnliches sei für das katholische Pastor-Jacob-Hauses zu hören, das während der Flüchtlingskrise 2015/16 schon einmal als Notunterkunft mit 101 Plätzen gedient hat.

Auch hier widerspricht Grobe. Das Naturfreundehaus sei geprüft worden, seit vergangenem Donnerstag erst liege ein konkretes Angebot vor. Grobe sieht aber allerlei Schwierigkeiten, das Haus schnell verfügbar zu machen. Bilder von Wasserschäden sind festgehalten, von einem „muffigen Eindruck“ nach langem Leerstand ist die Rede, von weiten Wegen zur Nahversorgung und einigem mehr. Zum Pastor-Jacobs-Haus habe der städtische Immobilienservice zuletzt noch Antworten zu offenen Fragen vom Bistum bekommen. Im Laufe der Zeit habe sich im Haus aber der Bedarf ergeben, in Brandschutz zu investieren. Vor Ende des Jahres sei das Haus nach Einschätzung der Stadt nicht nutzbar zu machen.

Mülheims Sozialdezernentin: Nicht riskieren, dass Leute ohne Obdach sind

Auch interessant

„Die nun angedachte lagermäßige Unterbringung von 800 Flüchtlingen an einem Standort mag wirtschaftliche und organisatorische Vorteile für die Stadt und die beteiligten Unternehmen haben“, so der Flüchtlingsrat. Dass eine derartige Unterbringung im Sinne traumatisierter Personen sein solle, erschließe sich nicht.

Grobe weist in diesem Zusammenhang wiederholt auf die hohen Flüchtlingszahlen aus der Ukraine hin und darauf, dass das Land die Kommunen über die Bezirksregierung jüngst erst eindringlich aufgefordert habe, schnellstmöglich Tausende Unterbringungsplätze zu schaffen. Schnelles Handeln sei gefordert, immer aber in der Abwägung, natürlich „kein Geld rauszuschmeißen, aber auch nicht zu riskieren, dass die Leute kein Obdach haben“.

Von der öffentlichen Kritik des Flüchtlingsrates zeigte sich Grobe enttäuscht, sei man doch sonst in einem guten Austausch. Nach ihrer Rückkehr aus einem einwöchigen Urlaub wolle sie Vertreter des Flüchtlingsrates gerne einmal durch die Containerbauten in Styrum führen, um aufzuzeigen, dass „man kaum noch merkt, dass man in einem Container steht, wenn man mal drin ist“. Jedenfalls sei eine Unterbringung in der Container-Hochschule allemal humaner als wegen der gebotenen Eile auf Sporthallen zurückzugreifen.

Flüchtlingsrat: Stadt agiert in Saarn „jämmerlich“

Kritisch blickt der Flüchtlingsrat auch zum Flüchtlingsdorf in Saarn. Dass es die Verwaltung bislang nicht geschafft habe, die Küchen in den Holzhäusern herzurichten für eine Selbstversorgung, sei „jämmerlich“. Sozialdezernentin Grobe entgegnet auch hier: Die Stadt habe sich sofort an die Wiederinbetriebnahme gemacht. Vorgaben des Gesundheitsschutzes (Legionellen-Prüfung) seien aber ebenso zu beachten wie aktuelle Lieferengpässe. So warte man noch auf ein Steuerelement für die Lüftungsanlage.

Bekanntlich hat die Stadt das Deutsche Rote Kreuz übergangsweise mit der Verpflegung der Menschen betraut. Jetzt wurde bekannt, dass sie pro Tag und Person dafür 25 Euro zahlt. Dazu hatte FDP-Fraktionschef Peter Beitz im Hauptausschuss sein Erstaunen bekundet: „Ich kenne deutlich niedrigere Zahlen“, sagte er.

Das sei „im Moment der aufgerufene Preis“, entgegnete Sozialdezernentin Grobe – und OB Marc Buchholz ergänzte, er sei „dankbar, dass Sozialverbände diese Leistung überhaupt noch anbieten“. Buchholz wies auf eine „Zwangssituation“ der Stadt hin und wollte damit wohl zum Ausdruck bringen, dass die Not der Unterbringung die Stadt nötige, die hohen Preise am Markt zu akzeptieren.