Mülheim. Der Corona-Ausbruch in einem Mülheimer Altenheim alarmiert Ärzte: Das Virus tötet nicht mehr, doch der Personalausfall richtet Schäden an.
Corona-Ausbruch im Altenheim - das war in früheren Pandemiewellen der Alptraum schlechthin. Auch Mülheimer Häuser traf es hart, viele Bewohnerinnen und Bewohner starben an Covid-19. Der Impffortschritt und die Omikron-Variante haben Masseninfektionen auch in Pflegeheimen ihren Schrecken genommen. Die Gefahren sind jetzt andere.
Mülheimer Ärzte warnen vor „Sekundärschäden“ durch Corona, die nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern eben auch alte Menschen bedrohen. In Heimen fehlt Personal, weil viele - auch symptomfreie - Mitarbeiter in Quarantäne sitzen. Das Thema drängt und wurde in dieser Woche auch im städtischen Krisenstab erörtert.
Corona-Ausbruch in Mülheimer Altenheim: Auch die Einrichtungsleitung fällt aus
Auslöser ist der aktuelle Corona-Ausbruch im „Haus Mülheim“ an der Hingbergstraße, in dem 107 pflegebedürftige Menschen wohnen. Nach Auskunft des Betreibers, der Charleston Holding, wurde der erste Bewohner am 31. Januar positiv getestet, die Zahl der Infizierten stieg bis zum 14. Februar auf 48, gehe seitdem aber deutlich zurück. Dem städtischen Gesundheitsamt waren - Stand Mittwoch - noch zehn infizierte Bewohnerinnen oder Bewohner bekannt und elf Infektionen im Mitarbeiterteam.
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Die Verläufe seien in allen Fällen „glücklicherweise sehr milde gewesen“, erklärt eine Charleston-Sprecherin. Niemand musste aufgrund der Covid-Infektion ins Krankenhaus eingewiesen werden. Die personellen Lücken waren aber offenbar gravierend und für die alten Menschen folgenschwer. Auch die Einrichtungsleitung fällt wegen Corona aus - momentan ist eine externe Vertretung im Haus.
Ein Kollege, der als Heimarzt tätig ist, habe angeregt, das Thema im Krisenstab vorzutragen, berichtet Dr. Stephan von Lackum, KV-Vertreter und leitender Impfarzt in Mülheim: „Sekundärschäden durch Covid, die dadurch entstehen, dass viele Mitarbeiter in Quarantäne sind, Pflege und Behandlung zu kurz kommen“.
Gefahr: Senioren kommen nicht mehr auf die Beine
Der Mediziner, der selber als Hausarzt in Mülheim praktiziert, nennt Beispiele: Pflegeheimbewohner, die unnötig lange in ihren Betten liegen, die nach einem Schlaganfall nicht sofort logopädisch unterstützt werden, nach einer Fraktur keine Physiotherapie bekommen. „Die Menschen werden ja heutzutage oft blutig aus dem Krankenhaus entlassen, darum ist gerade die Frühreha so wichtig. Wenn sie fehlt, kommen die Leute nicht mehr auf die Beine. Das ist tragisch.“
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Die Nöte der Heime sieht von Lackum durchaus: Woher sollen sie das Personal bekommen? Auch das Gesundheitsamt könne da nichts machen. „Trotzdem muss man das Problem mal ansprechen.“
„Macht es Sinn, gesunde Leute in Quarantäne zu schicken und alte Leute nicht mehr zu versorgen?“
Dieser Ansicht ist auch der Mülheimer Haus- und Sportarzt Dr. Markus Becker. Er beobachtet, dass die Omikron-Infektion im größten Teil der Fälle problemlos verläuft, auch bei hochbetagten Menschen: „Die Senioren sind drei bis vier Mal geimpft und haben kaum Symptome. Dass jemand noch krank wird, ist extrem selten. Doch Pflegepersonal muss in hoher Zahl in Quarantäne. Die Sekundärschäden, die behördlicherseits ausgelöst werden, sind viel größer.“
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Dabei will Becker keineswegs das Mülheimer Gesundheitsamt anprangern, sondern er kritisiert die allgemeinen Vorschriften, fragt: „Macht es Sinn, völlig gesunde Leute in Quarantäne zu schicken und alte Leute nicht mehr zu versorgen?“ Bei Kindern werde häufig über indirekte Corona-Folgen gesprochen, doch auch alte Leute seien betroffen - auf andere Weise. Dabei sieht Becker das Problem nicht auf ein einziges Mülheimer Altenheim beschränkt: „Missstände, ausgelöst durch Covid, gibt auch in anderen Häusern.“
Heimaufsicht: Corona-Ausbrüche sind eine Herausforderung
Die städtische Heimaufsicht erklärt auf Anfrage, da der überwiegende Teil der Bewohnerinnen und Bewohner inzwischen geboostert sei, hätten Corona-Ausbrüche nicht mehr so gravierende Folgen wie früher, die meisten Infizierten nur milde oder gar keine Symptome. „Für die Heime sind Ausbrüche dennoch eine Herausforderung, da das Personal durch Isolationsmaßnahmen einen nicht unerheblichen Mehraufwand hat und es durch Erkrankungen beim Personal selbst zu einer erhöhten Arbeitsbelastung kommt.“
Zwei getrennte Pflegeteams
Um den Corona-Ausbruch im „Haus Mülheim“ in den Griff zu bekommen, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen. Sie seien mit dem Gesundheitsamt und der städtischen Heimaufsicht „stets kurzfristig und in großem Einvernehmen abgestimmt“ worden, teilt der Betreiber des Pflegeheims mit.So habe man das Symptomscreening bei den Bewohnern von ein Mal täglich auf zwei Mal erhöht. Alle Mitarbeitenden tragen durchgängig FFP2-Masken und werden vor Dienstantritt getestet.Außerdem wurden zwei Teams gebildet und strikt getrennt: Ein Teil des Personals versorgt ausschließlich die Corona-positiven Bewohner, der andere Teil nur die negativ getesteten.
Die meisten Mülheimer Pflegeheime, dies war auch aus dem städtischen Krisenstab zu vernehmen, haben die Lage wohl halbwegs im Griff. Noch keine kritischen Engpässe im Zuge der Omikron-Welle gab es offenbar in den Häusern der katholischen Contilia-Gruppe, die in Mülheim vier Altenpflegeheime betreibt: die Quartiere Christophorus, Hildegardis, Engelbertus und das Franziskushaus. „In unseren Einrichtungen sind im Schnitt zwei Mitarbeitende in Quarantäne“, erklärt Contilia-Sprecherin Katja Grün. „Daher trifft uns diese Problematik zum Glück nicht.“
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Alexander Keppers, Geschäftsführer der Mülheimer Seniorendienste und somit Chef der drei städtischen Altenpflegeheime, sagt: „Weil wir ein großes Unternehmen sind, konnten wir Personalausfälle bisher ganz gut kompensieren, indem etwa Dienste getauscht werden.“ Alle Häuser seien gut belegt, die Tagespflege uneingeschränkt geöffnet. Es sei auch nicht so, dass etwa Physiotherapie, für die externe Kräfte in die Häuser kommen, in riesigem Maße ausfällt.
Städtische Altenheime zahlen viel Geld an Zeitarbeitsfirmen
Doch dafür zahlen die Mülheimer Seniorendienste auch einen hohen Preis: Man habe relativ viele Zeitarbeitskräfte gebucht, berichtet Keppers, schon für den gesamten März, für alle Einrichtungen: „Weil Personalausfälle wahrscheinlich sind. Das ist eine sehr teure Lösung, aber nur so können wir unsere Dienstleistungen abdecken.“
Auch im Charleston Pflegezentrum wäre es ohne Fremdfirmen nicht mehr gegangen. Dort heißt es, es sei gelungen, die Ausfälle durch Beschäftigte aus anderen Einrichtungen der Unternehmensgruppe, „durch den vermehrten Einsatz von Leiharbeitnehmern und durch die Bereitschaft des eigenen Personals zu Mehrarbeit zu kompensieren“. Man bedanke sich sehr herzlich für den „unermüdlichen Einsatz“ in den vergangenen Wochen. Die Situation entspanne sich jetzt, weil Mitarbeitende aus der Quarantäne zurückkehren.