Mülheim. Eine Mülheimer Schulleiterin sorgt sich um ihre Schüler: Manche seien verhaltensauffällig. Ein Psychologe erklärt, worauf Eltern achten können.
Distanzlehre, Homeschooling, Maskenpflicht, Pooltests: Die Liste der Auswirkungen von Corona auf den Schulalltag ist mittlerweile lang. Eine Mülheimer Schulleiterin blickt auf die letzten zwei Jahre zurück und stellt mit Erschrecken fest: Viele Kinder leiden unter Ängsten und haben das soziale Miteinander verlernt.
Das bestätigt ein Psychologe für Kinder und Jugendliche in Mülheim. Jeden Tag rufen bei ihm ungefähr zehn besorgte Elternpaare an, die Hilfe für ihr Kind suchen.
Mülheimer Schüler leiden unter dem digitalen Lernen von Zuhause aus
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Als das Corona-Virus 2019 in China seine Anfänge nimmt, ahnt Simone Müller-Dausel noch nicht, welche Auswirkungen daraus resultieren würden. „Ich hätte niemals damit gerechnet, dass Schulen geschlossen werden müssen. Als es dann passierte, war ich wie in einer Schockstarre“, sagt die Schulleiterin der Gemeinschaftsgrundschule in Styrum im Rückblick. Seit dem Pandemieausbruch sitzt sie jeden Tag vor dem Computer und liest.
Immer wieder studiert sie die neuen Regeln. Immer wieder plant sie den Schulalltag um. Als die Kinder ins Homeschooling geschickt werden müssen, tauchen die ersten Probleme auf. Viele tun sich schwer. Manche schaffen es zu Hause einfach nicht, ihre Aufgaben zu erledigen. „Das sind Grundschüler. Die können nicht nur digital lernen, sondern müssen auch mal einen Stift in der Hand haben“, erklärt Müller-Dausel.
Manche Kinder in Mülheim haben das soziale Miteinander verlernt
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Kurzerhand plant sie wieder um und schnürt Arbeitspakete mit Lernmaterial, die die Kinder in der Schule abholen können. Sie gibt ihnen auch Tipps, wie sie sich einen Arbeitsplatz einrichten können. „Manche hatten nicht mal einen eigenen Schreibtisch. Zum Teil haben sie auf dem Couchtisch vor dem Fernseher gelernt“, sagt die Schulleiterin. Für besonders betroffene Schüler richtet sie eine Notbetreuung ein, in der in kleinen Gruppen gelernt werden kann.
Auch das RKI warnt vor psychischen Folgen bei Kindern
Auch das Robert-Koch-Institut (RKI berichtet von Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Eindämmungsmaßnahmen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
In der Online-Publikationsreihe Journal Health of Monitoring stellt das RKI bereits Ende 2020 fest: „Bei Kindern und Jugendlichen traten erste Symptome von Angst und Depression sowie eine geminderte Lebensqualität auf.“
Außerdem heißt es in dem Artikel: „Die Schließungen der Betreuungs- und Bildungseinrichtungen und der damit einhergehende Verlust der gewohnten Tagesstruktur, Kontaktabbrüche und das eigenständige Lernen zu Hause stellten erhebliche Herausforderungen für betroffene Kinder und deren Familien dar.“
Auch die räumliche Enge sowie fehlende Ausweichmöglichkeiten hätten zu erhöhtem familiären Stress geführt. Es zeigte sich jedoch auch, dass viele Familien die Zeit überwiegend gut gemeistert hätten.
„Bei möglichen zukünftigen Pandemien oder weiteren Wellen der Covid-19-Pandemie sollten die Bedürfnisse von Heranwachsenden und deren Familien während der Eindämmungsmaßnahmen stärker berücksichtigt werden“, heißt es vom RKI.
Doch all der Aufwand, all die Planung können ein Problem nicht verhindern: Das seelische Leiden ihrer Schüler unter den Corona-Maßnahmen. Nach knapp zwei Jahren Pandemie sei es deutlich sichtbar. „Jetzt kommt die Bugwelle. Manche Kinder haben das soziale Miteinander verlernt. Es gibt viele Konflikte, die sich schnell hochschaukeln“, so Simone Müller-Dausel.
Viele Schüler können ihre Bedürfnisse nicht formulieren
Die Schulleiterin berichtet zum Beispiel von einem Drittklässler, aus dem es plötzlich herausgebrochen sei. „Er erzählte mir eineinhalb Stunden von allen Symptomen einer Angststörung: Kein Hunger mehr, Schlaflosigkeit, Zeitverlust, Sorge um sich und seine Eltern.“ Sie befürchtet, dass bei vielen Schülern Angst zurückgeblieben sei, die sie noch nicht verarbeitet haben. „Viele können das nur nicht so formulieren, weil sie nicht so ein gutes Körpergefühl haben“, sagt die 49-Jährige.
Doch nicht nur das Lernen von Zuhause aus macht den Schülern zu schaffen. Auch der Abstand und die Maskenpflicht tragen zu Entwicklungsproblemen bei. Es gebe Kinder, die würden sich nur mit der Maske kennen. „Das Lächeln und die deutliche Mimik fehlen. Viele können mittlerweile von den Augen ablesen. Aber es gibt so viele Kinder, die brauchen so viel mehr.“
Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche aus Mülheim gibt Tipps für Eltern
Ein Kinder- und Jugendtherapeut aus Mülheim bestätigt die Erfahrungen der Schulleiterin. „Die Corona-Maßnahmen haben massive Folgen für die junge Generation“, sagt Carsten Kraus, der seine Praxis in der Innenstadt betreibt. Seit der Corona-Pandemie gebe es deutlich mehr Kinder mit psychischen Leiden. „Alleine bei mir rufen jeden Tag sieben bis zehn Elternpaare an, die einen Therapieplatz für ihr Kind suchen.“
Nicht jede Altersgruppe habe die gleichen Symptome. Aber es gebe Anzeichen, auf die beim Kind geachtet werden kann. Dazu zählen unter anderem: Rückzug, Isolation, Angst, sich plötzlich ändernde Verhaltensweisen und ein schneller Wechsel der Gefühle. Er gibt Tipps für Mülheimer Eltern. „Wichtig ist, am Verhalten des Kindes interessiert zu sein, Empathie zu zeigen und vor allem mit ihm zu sprechen“, so Kraus.