Mülheim. Die Coronazahlen gehen durch die Decke. Kita-Schließungen sind jederzeit möglich. Was das mit Personal und Eltern macht, erzählt eine Leiterin.
Die Personalsituation in Kitas spitzt sich zu, wegen Corona drohen Schließungen ganzer Einrichtungen, warnt die Gewerkschaft Komba. Die Kita Muhrenkamp in der Altstadt ist von diesem Szenario bis dato verschont geblieben; noch gab es dort nur vereinzelt Covid-19-Fälle. Doch das unliebsame C-Thema beherrscht seit fast zwei Jahren den Alltag von Leiterin Katharina Brück. Der Druck auf die 31-Jährige, auf ihr Team und die Eltern der Kitakinder ist zum Teil immens. „Zum Glück kann ich damit umgehen“, sagt Brück. Und, was erstaunt: Wenn sie erzählt, hat die Pandemie sogar gute Seiten.
Zum Beispiel, wenn’s um Selbstständigkeit geht: „Vor Corona hingen die Jungen und Mädchen am Bein von Mama, wenn sie morgens ankamen.“ Es dauerte lang, bis sie in den Tag fanden. Auch für die Eltern, die auf dem Sprung ins Büro waren, bedeutete das Abschiednehmen oft Stress. „Jetzt müssen sie ihre Kinder draußen abgeben. Und selbst die Kleinsten schaffen es mittlerweile, sich allein fertig zu machen.“ Selbst wenn die strengen Corona-Vorschriften eines Tages Vergangenheit sein sollten: „Bei der Regelung möchten wir gern bleiben.“
Das Team des Mülheimer Kindergartens muss Neues oft von jetzt auf gleich umsetzen
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Auf andere Veränderung könnten sie am Muhrenkamp indes gut verzichten. Zum Beispiel auf das immer neue Einlesen in geänderte Coronaschutzverordnungen. Haben anfangs noch Schnellhefter gereicht, um die Unterlagen abzulegen, sind mittlerweile dicke Ordner erforderlich. Entscheidende Passagen sind bunt markiert – Brück und ihr Team müssen sie oft von jetzt auf gleich umsetzen. „Zum Glück steht uns die Fachberatung der Graf-Recke-Stiftung mit Rat und Tat zur Seite.“ 2017 hatte diese die Vereinte Evangelische Kirchengemeinde als Trägerin des Kindergartens abgelöst.
Vier Jahre später, im Frühjahr 2020, veränderte sich der Kita-Alltag von Grund auf. Alle Welt sprach plötzlich von Corona und tut es ja bis heute. „Keiner wusste damals, wo die Reise hingeht, was das Virus mit uns macht.“ Brück erinnert sich an die Aufgeregtheit der Anfangstage. Man habe alles bedenken müssen: „Wie ist das mit den Desinfektionsmitteln? Wie mit den Masken? Wie geht es den Kinder mit all dem?“ Brück war damals erst ein halbes Jahr Kitaleiterin und mit einem Mal ganz neu gefordert. Ihr Fazit heute? „Ich glaube, wir haben es gut gewuppt.“
Das doofe weiße Ding vor Mund und Nase wurde für die Kleinen rasch zur Normalität
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Was hängengeblieben ist und immer mal wieder aufploppt, sind die Ängste, und zum Teil auch die Wut der Eltern. Zum Beispiel beim Thema Maske tragen: „Es gab die Sorge, dass wir uns dadurch von den Kindern entfernen.“ Das doofe weiße Ding vor Mund und Nase aber wurde für die Kleinen zur Normalität: „Sie haben schnell gelernt, von den Augen abzulesen. Wir haben uns vorher nicht vorstellen können, was Augen für eine Aussagekraft haben.“ Auch in diesem Punkt habe man durch die Pandemie gewonnen. „Wir knien uns jetzt oft vor die Kleinen hin und sprechen viel lauter – dann erreichen wir sie auch.“
Das Husten in die Armbeuge, das häufige Händewaschen, all das gehört selbst für Zweijährige längst zum normalen Leben: „Sie haben das super verinnerlicht, wackeln nach dem Anziehen der Hausschuhe als allererstes in den Waschraum.“ Dort gilt dann die Regel: Mindestens einmal „Alle meine Entchen“ singen, dann sind die Fingerchen sauber.
Die Eltern seien zwar generell verständig gewesen, aber zusehends überlastet
So spielerisch wie die Kleinen auf die Situation schauen, war und ist das den Eltern nicht immer möglich, weiß Brück. Ungern denkt sie etwa an die Zeit zurück, als streng zwischen systemrelevanten und nicht-systemrelevanten Berufen unterschieden wurde und viele Mütter und Väter gezwungen waren, ihren Nachwuchs zu Hause zu betreuen. Oder an die Tage, „als wir die Kinder bei jedem kleinsten Symptom sofort nach Hause schicken mussten“. Die Eltern seien zwar generell verständig gewesen, aber zusehends überlastet. „Sie waren erschöpft und zornig aufs System.“
Sie habe den Frust regelmäßig zu spüren bekommen, was auch in Ordnung war, „denn ich bin nun mal die Anlaufstelle“. Ganz leicht waren die Gespräche trotzdem nicht, „wir mussten immer und immer wieder erklären, warum wir etwas so oder so machen“. Manche Eltern reagierten extrem emotional, beschwerten die Situation dadurch noch. „Zum Glück kann ich so etwas aushalten“, sagt Brück. „Ich nehme es nicht persönlich.“ Und wenn es doch mal problematisch war, habe auch da die Stiftung geholfen. Die Berater hätten manches aufgefangen.
Die vielen unerfreulichen Corona-Momente nagen auch an den Nerven des Personals
Die vielen unerfreulichen Corona-Momente nagen auch an den Nerven der Mitarbeiterinnen. Ihre Belastung hänge wesentlich davon ab, wie man personell dasteht, wie viele Überstunden anfallen. „Sie sind bereit, sich mehr einzusetzen“, weiß Brück. „Doch wenn so ein Einsatz über einen längeren Zeitraum andauert, ist die Luft irgendwann raus. Dann müssen wir nach Lösungen suchen.“ So wie sie den Eltern zur Seite steht, versuche sie auch stets, ein offenes Ohr für das Personal zu haben. „In meinem Büro ist immer Platz. Wir schnappen uns einen Kaffee oder bestellen eine Pizza und reden in Ruhe.“
Gewerkschaft: „Beschäftigte fühlen sich allein gelassen“
„Der generelle Personalmangel und die krankheits- und quarantänebedingten Ausfälle belasten die Kita-Beschäftigten. Wer Betreuungsgarantien ausgibt, kann das Versprechen nur mit gesunden Beschäftigten einhalten“, mahnt Sandra van Heemskerk, stellvertretende Landesvorsitzende der NRW-Gewerkschaft Komba. Man müsse jetzt handeln. „Sonst sind die Kitas demnächst dicht.“
Der Personalmangel, die Pflicht zur Dokumentation, die Hygienemaßnahmen und anderes führten zu immer mehr Arbeitsaufwand. „In der Pandemie wurde auch viel zu oft ad hoc statt präventiv gehandelt. Unsicherheit und Unklarheit prägen den Kita-Alltag. Die Beschäftigten fühlen sich allein gelassen.“
Man fordere eine verbindliche Teststrategie von Kindern, die Entlastung des pädagogischen Personals durch zusätzliches Verwaltungspersonal, die Wiederaufnahme der Regelung, dass Kitahelferinnen über eine Stundenaufstockung des vorhandenen Personals eingesetzt werden können und die Möglichkeit zur Reduzierung von Betreuungszeiten.
Die Infektionszahlen, die deutschlandweit seit Wochen Höchstwerte erreichen, sind eine Bedrohung für jede Kita. Aus anderen Einrichtungen hat Brück ungute Geschichte gehört, von Schließungen und umfassenden Quarantänen. Am Muhrenkamp aber gab’s bislang nur wenig Ausfälle wegen Corona oder anderer Krankheiten. Brück drückt die Daumen, dass das so bleibt: „Sobald es einen Coronafall gibt, dürfen wir die Gruppen nicht mehr mischen.“ Dann könne es schnell zu Personalengpässen kommen. Auch wenn zeitgleich zwei Fachkräfte einer Gruppe ausfallen, werde es kritisch. Dann müssen Gruppen vielleicht früher nach Hause gehen oder ganz gestrichen werden. Entscheidungen wie diese fallen kurzfristig, was erneut Ärger bei Eltern heraufbeschwören kann, aber leider kaum zu vermeiden sei.
Die meisten Mitarbeiterinnen sind geimpft und sie testen sich täglich vor dem Arbeiten
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„Es sind aufregende Zeiten für uns alle“, sagt die Kitaleiterin. „Ich plane gar nichts mehr, reagiere täglich auf die Entwicklung.“ Gut sei, dass die Mitarbeiterinnen sich täglich freiwillig testen, „obwohl nur dreimal die Woche vorgeschrieben ist“. Und dass die meisten geimpft sind. Vieles habe sich eingespielt, dann aber passierten wieder unerwartete Dinge wie an jenem Tag, als die Lollitests für die Kinder nicht rechtzeitig geliefert wurden und fix anderweitig organisiert werden mussten.
„Jeder“, glaubt Brück, „freut sich im Stillen auf den Tag X.“ Aber selbst wenn Corona sich niemals mehr verziehen sollte, „ist es hoffentlich eines Tages nicht mehr so ein großes Thema“. Sie wünsche sich „einen geregelten Alltag mit Corona“, in dem jeder wisse, was zu tun ist. Dann könne man endlich mal wieder über etwas anderes reden. In der Zwischenzeit behilft man sich am Muhrenkamp mit guter Laune und liebevollen Ideen: So wie damals zur unschönen Zeit der Systemrelevanz mit dem „Fenster der Begegnung“. Nur 20 der eigentlich 95 Kinder durften die Kita besuchen, die anderen mussten teils über Monate zu Hause bleiben. Damit sie den Kontakt zu ihren geliebten Erzieherinnen nicht verlieren, konnten die Eltern Termine buchen: für einen fröhlichen Schnack am weit geöffneten Fenster.