Mülheim. Der Mülheimer Bezirksbürgermeister Czeczatka-Simon hat mit Stadtteilen zu tun, die manchem als abgehängt gelten. Warum er Styrum trotzdem liebt.
Der Chef der Bezirksvertretung 2 im Interview: Heinz-Werner Czeczatka-Simon hält Stadtteile, die kein gutes Image haben, durchaus für entwicklungsfähig. Und er hat eine klare Meinung über die Impfpflicht.
Was ist im zurückliegenden Jahr aus Ihrer Sicht gut gelaufen in der Bezirksvertretung 2?
Heinz-Werner Czeczatka-Simon: Gut gelaufen ist der Sportpark Styrum – der ist nun fast fertig. Der wird gut angenommen und ist ein Stück weit eine Erfolgsgeschichte. Das zeigt, wie gut eine Lösung werden kann, wenn Politik und Verwaltung zusammenarbeiten. Die Idee, einen Ort zu schaffen, wo auch Schulsport stattfinden kann und darüber hinaus Bewegungsflächen zur Verfügung stehen, war ursprünglich eine Idee aus der BV 2.
Doch es gibt auch einige kritische Stimmen aus der Umgebung wegen des Lärms. Da müssen wir noch mal ran. Wir haben schon Maßnahmen ergriffen, um das Ruhebedürfnis der Anwohner zu respektieren, damit es nicht zu allen Zeiten laut wird. Auch sonst haben wir in der BV 2 nach langer Vorbereitung einiges auf den Weg gebracht; der Anne-Frank-Platz wird umgestaltet, eine neue Kita in der Barbarastraße ging in Betrieb, im Wenderfeld wird eine neue Kita gebaut.
An einigen Stellen haben wir die Verkehrsinfrastruktur – etwa an der Mellinghofer Straße – verändert und durch Radwege für Fahrradfahrer sicherer gemacht.
Was wird als Nächstes wichtig in der BV 2?
Der Rad-Motorik-Park soll in Winkhausen entstehen – das ist eine gute Nachricht. Im Laufe des Frühsommers werden wir wohl die Beschlussfassung dafür auf den Weg bringen. Wir müssen noch prüfen, wo wir Fördermittel her bekommen, wie sieht die Finanzierung aus, geplant soll der Baubeginn 2023 sein.
Ich bin sehr froh, dass da auch wieder eine Bewegungsfläche für Kinder und Jugendliche entsteht und sie außerhalb der Gefahren des Straßenverkehrs üben können. Das ersetzt jedoch nicht die Verkehrserziehung der Eltern im öffentlichen Raum.
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Wie geht es mit der Feldmann-Stiftung weiter? Was wird, wenn Herr Schürmann in den Ruhestand geht?
Max Schürmann ist eine Institution in Styrum. Er und Ulrike Nottebohm sind aus dem Stadtteil eigentlich gar nicht wegzudenken mit ihrem Engagement und ihrer Kreativität. Einer der großen Vorteile im Stadtteil ist die Feldmann-Stiftung. Wir haben die Verwaltung aus dem Stiftungsbeirat und aus der BV heraus aufgefordert zu prüfen, ob eine Ausnahmegenehmigung für die Wiederbesetzungssperre ausgesprochen werden kann.
Zum Glück hat diese Prüfung ergeben, dass die Stelle wiederbesetzt werden kann. Denn die Feldmann-Stiftung ist die Spinne im Netz, da laufen die vielen Fäden zusammen. Da kommen so viele Akteure zusammen, die dort vernetzt sind.
Styrum ist zudem der einzige Stadtteil, der eine Stadtviertelkonferenz hat, in die sich eben auch Bürgerinnen und Bürger für ihr jeweiliges Viertel einbringen können. Da geht’s um Müllprobleme, ums Parken, um Straßenführungen, um die Pflege der ein oder anderen Immobilie. Die Probleme in Styrum sind ja nicht unerheblich.
Sie sind selbst Styrumer – empfinden Sie Styrum als abgehängten Stadtteil?
Für mich ist Styrum kein abgehängter Stadtteil, trotz der Probleme, die uns hier begegnen. Unsere gute Stube Innenstadt wirft ähnliche Probleme auf mit den Stichworten Bevölkerungs- und Sozialstruktur. Es gibt hier wie dort viele Anlaufstellen, die die Menschen auffangen. Doch es wird nie eine richtige Chancengleichheit geben – unsere Herausforderung ist: Wir können Unterschiedliches nicht gleich behandeln. Da müssen unterschiedliche, darauf bezogenen punktgenaue und keine vereinheitlichten Lösungen her.
Ich muss mir die Frage stellen, wie erreiche ich die Menschen, die Unterstützung nötig haben? Doch ich muss mich auch fragen: Wollen sie überhaupt erreicht werden? Leben sie nicht in einer Blase, in der sie zufrieden sind? Wie kann ich das nachhaltig erreichen, dass Angebote über die Kinder in die Familien hineinwirken? Das funktioniert aus meiner Sicht hier.
Ich empfinde Styrum als entwicklungsfähigen Stadtteil. Auch hier werden sich die Strukturen ändern, wenn auch nur langsam.
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Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation im Horbachtal?
Zur Person: Heinz-Werner Czeczatka-Simon
Heinz-Werner Czeczatka-Simon ist auch in seiner Freizeit vielfältig interessiert. Seit über 20 Jahren engagiert er sich als ehrenamtlicher Richter an unterschiedlichen Gerichten. Aktuell durchläuft der 64-Jährige seine letzte Amtsperiode am Jugendschöffengericht. Mit Blick auf die Zukunft sagt der Diplom- Verwaltungswirt: „Es würde mich schon reizen, mich noch mal in einem anderen Bereich zu bewerben.“
Neben Hobbys wie Modelleisenbahn, Musik, Wandern und Radfahrern gehören Haustiere zum Leben des Bezirksbürgermeisters. Über Jahrzehnte züchtete er Aras, nahm auch immer wieder Vögel auf, die sich in anderen Familien als problematisch herausgestellt hatten oder heimatlos wurden. Czeczatka-Simon versuchte, diese Vögel „wieder auf die Spur zu bringen“, wie er sagt, und sie schließlich wieder zu vermitteln. Nun aber will er seinen Bestand nach und nach reduzieren und Tiere in gute Hände vermitteln, um mehr Zeit mit seiner Frau verbringen zu können. Zur Familie gehört auch ein Berner Sennenhund.
Das ist auf einem guten Weg, auch wenn nicht alle damit zufrieden sind. Das bewegt die Anwohnerinnen und Anwohner im direkten Umfeld ja schon seit Jahren. Mit meinen Eltern haben wir einige Jahre an der Nordstraße gewohnt, da war das Horbachtal mein Spielplatz, ich kenne den Bereich aus dem Effeff. Die Analyse liegt nun vor, ein erstes Entwicklungskonzept wurde der BV 2 vorgestellt.
Die Bürger bringen sich ein – das nehmen wir ernst, aber wir können die Anregung nur berücksichtigen, wenn wir das Entwicklungskonzept unter Beachtung von Naturschutz- und Gewässerschutzrichtlinien planen. Wir brauchen aber auch für Kinder Erfahrungsräume, damit sie Natur im Wortsinn begreifen können.
Die Menschen brauchen dort einen Wohlfühlraum. Aber wie so manches während der Corona-Pandemie wird das noch etwas Zeit brauchen, bis das Entwicklungskonzept und die finanzielle Planung umgesetzt wird.
Aus Geldmangel konnten wir leider den südlichen Eingang noch nicht wiederherstellen. Diese ausgewaschene Stelle dort ist gerade für Menschen mit Handicap nicht gut zu begehen.
Unterdümpten war im vergangenen Jahr mit vermeintlichen Chaoshäusern als Problemviertel in die Schlagzeilen geraten. Wie beurteilen Sie die Situation dort?
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Unterdümpten ist kein Problemviertel. Das Einsatzkommando der Polizei SIE (Styrum, Innenstadt, Eppinghofen) hat die Lage dort beobachtet und ist zu dem Schluss gekommen: Unterdümpten ist kein problematischer Ort. Intern liegen die genauen Zahlen aus der Auswertung schon vor, die der Innenminister aber erst mit der Kriminalstatistik bekannt gibt.
Die Spezialkräfte haben alle Bereiche im Blick, und daraus wird deutlich: Dümpten hat keine Problemviertel. Auch Unterdümpten ist keines.
Wie erleben Sie persönlich die Pandemie?
Ich empfinde die Pandemie mittlerweile schon als belastend, weil wir uns im familiären und sozialen Kreis nicht unbeschwert bewegen können. Telefonate und Sichtkontakte ersetzen kein Familienleben, ersetzen keine Umarmung. Man geht auch emotional auf Distanz. Wir als Familie haben unseren Kreis sehr heruntergeschraubt, mehr wäre unverantwortlich gewesen.
Was passieren kann, sehen wir in den Nachrichten. Bilder, die andere leugnen, nehme ich sehr ernst. Klar ist: Nur das Impfen hilft – und es ist sicher.
Mit Blick auf eine Impfpflicht sage ich: Ich bin Jahrgang 1957 – die Impfungen gegen Masern, Röteln, Pocken und Kinderlähmung haben unzählige Leben gerettet und Leid verhindert. Auch da gab es die eine oder andere Nebenwirkungen, aber die Wahrscheinlichkeit ist so gering – das rechtfertigt nicht zu sagen, wir wollen keine Impfpflicht. Wenn’s darum geht, dass die Menschen reisen wollen, lassen sie sich auch die Tropenimpfungen verpassen.
Sehen Sie eine Spaltung innerhalb der Gesellschaft, beispielsweise, wenn Sie auf die Montagsspaziergänge schauen?
Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt, die Mündigkeit der Bürger sind ein hohes Gut in unserer Demokratie. Auch die Minderheiten haben einen Teil recht, genauso wie die Mehrheit auch einen Teil recht hat. Wir müssen einen guten Kompromiss finden, doch das geht bei einer Impfpflicht natürlich eher schlecht.
Ich persönlich wäre für eine Impfpflicht, wenn es nicht mehr anders geht. Denn auch die Impfgegner sollten sich darüber im Klaren sein, dass das, was hier im Augenblick passiert, zig Existenzen kostet und Menschen ins Unglück stürzt – nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich.
Die Händler haben so gelitten, die Friseure, die Gastronomie, die Firmen vor Ort, die haben es schwer, sind finanziell angeschlagen, haben aufgeben müssen. Wir müssen dazu kommen, dass wir sagen, wir wollen in Normalität leben können – miteinander.
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Wie beurteilen Sie die Montagsspaziergänge?
Der Spaziergang ist für mich eine versteckte Demonstration. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass bei der ein oder anderen Veranstaltung Kinder quasi als Schutzschilde vorgeschoben werden. Als Vater würde ich mein Kind niemals dorthin mitnehmen und es der Gefahr aussetzen, dass die Lage dort eskaliert.
Gewalt gehört da nicht hin, weder verbale noch körperliche. Gut, die Corona-Kritiker haben die Proteste organisiert – das steht denen zu. Bin der Meinung – und auch das gehört zu einer Demokratie: Wenn ich in einer Minderheit bin, muss ich die Mehrheitsmeinung irgendwann bei objektiver Argumentation akzeptieren. Meine Freiheit hört da auf, wo sie anderen zur Belastung wird. Die Verschwörungstheorien machen mich sprachlos.