Mülheim. Die Situation in den Krankenhäusern spitzt sich täglich zu. Eine Mülheimer Krankenpflegerin schildert ihren Alltag: „Es macht psychisch fertig.“

Es ist bedrückend, Maria Höfer* zuzuhören, sie erzählen zu lassen, wie sie und ihre Kollegen als Krankenpfleger auf der Corona-Isolierstation im Mülheimer St.-Marien-Hospital an ihre Grenzen gebracht werden und weit darüber hinaus. Wie sie Patienten erst nach „zigfachen“ Rufen versorgen können, weil die Kapazitäten nicht reichen, wie Leichen mit Patienten in einem Raum liegen bleiben, weil Sterbende nicht auf Einzelzimmer verlegt werden können. Ihre Schilderungen geben Einblicke in eine dramatische Situation, die sich täglich verschlimmert. Ein Protokoll.

Mülheimer Pflegekraft: „Es war noch nie so schlimm wie jetzt“

„Am Anfang, im März, waren zwar die Infektionszahlen nicht so hoch, aber die Arbeit war trotzdem wegen Corona wesentlich anstrengender, das hat nur keiner verstanden. In die Isolier-Aufnahme kamen viele Menschen mit Verdacht auf Covid. Auch wenn die meisten später negativ getestet wurden: Man musste sie behandeln, als wären sie positiv, also der Aufwand war der gleiche. Bei den Bedingungen war und ist es zeitaufwendig, den Angehörigen zu helfen. Ich betreue gerne Angehörige, aber so viel Zeit da hinein zu investieren, die wir nicht haben, ist sehr schwierig. Man müsste eigentlich eine Kraft nur ans Telefon setzen, wenn man sich richtig um die Angehörigen kümmern wollen würde.

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Wir haben uns schon zu Beginn der Pandemie nicht unterstützt gefühlt. Die Geschäftsführung hat viel mit den Chefärzten gesprochen, aber nicht mit dem Personal, das auf der Station gearbeitet hat. Sie haben uns nicht gefragt, wie es uns geht. Wir fühlen uns nicht wertgeschätzt. Eine Kollegin, die seit vielen Jahren hier arbeitet, sagt: Es war noch nie so schlimm wie jetzt.“

Regelmäßiger Wechsel zwischen den Stationen

Die ersten vier Corona-Fälle in Mülheim wurden am 11. März gemeldet. Im Laufe des Frühjahrs steigen die aktuellen Infektionszahlen selten über 50. Auch die Todeszahlen bleiben zu Beginn noch niedrig. Am 3. Juni meldet die Stadt das zehnte Mülheimer Todesopfer mit Corona. Maria Höfer* arbeitet eigentlich auf einer anderen Station, wechselt im Laufe der Monate aber immer wieder von ihrer Stammstation auf die Isolierstation, auf der die Patienten versorgt werden, die corona-positiv sind, aber nicht intensiv-medizinisch betreut werden müssen.

„Das Krankenhaus reißt alle Teams auseinander. Natürlich versorgen wir die Patienten gut, aber im eigenen Team greift alles ineinander, arbeitet es sich besser. Der Team-Spirit geht verloren. Wir geben im Team alles füreinander, aber nicht für das Krankenhaus.

Ich mag meinen Arbeitsplatz, aber die Führung ist für uns eine Katastrophe. Wir fühlen uns nicht wie Menschen behandelt. Es gibt überhaupt keinen Plan, alles wird stündlich geändert, ich komme oft zum Dienst und weiß nicht, auf welcher Station ich eingesetzt werde, ob ich auf der Covid-Station arbeite. Die Dienstpläne werden andauernd umgeschmissen. Es herrscht ein hoher Krankenstand. Viele haben auch Angst, sich anzustecken.“

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St.-Marien-Hospital in Mülheim: 31 von 756 Mitarbeitern infiziert

Laut Informationen des St.-Marien-Hospitals haben sich seit Beginn der Pandemie 31 der insgesamt 756 Mitarbeiter mit dem Coronavirus angesteckt. Eine Information zum gesamten Krankenstand könne das Krankenhaus „aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht geben“. Es widerspricht der Aussage, dass Teams auseinandergerissen würden und es zu kurzfristigen Dienstplanänderungen käme.

Zu der Verteilung der Mitarbeiter lässt die Geschäftsführung schriftlich mitteilen: „Die Covid-19-Pandemie verlangt eine tagesaktuelle Anpassung. Dies betrifft alle Bereiche des Krankenhausbetriebes: Räumlichkeiten auf den Stationen, medizinische Geräte sowie natürlich und besonders die Einsatzplanung der Mitarbeitenden in den verschiedenen Bereichen.“

Auf die Frage, ob Mitarbeiter der Isolier- und Intensivstation regelmäßig abgestrichen werden, heißt es, dass sich Mitarbeiter mit Symptomen vor dem Dienstbeginn testen lassen und erst bei einem negativen Ergebnis wieder arbeiten sollen.

„Wir sind am Anschlag und machen uns große Sorgen“

Wir sind am Anschlag und machen uns große Sorgen. Eine Kollegin musste beatmet werden und es war echt knapp. Und dann sieht man die Leute, die nicht glauben, dass es Corona gibt oder die denken, es sei nicht so schlimm, während bei uns Kollegen in der Umkleide zusammenbrechen und weinen. Wir sind völlig unterbesetzt und es gab schon Nervenzusammenbrüche. Wenn man über den Flur geht und die Patienten schreien, aber man kann ihnen nicht helfen – das macht einen psychisch fertig.

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Meine Großeltern wohnen in einem Pflegeheim. Wenn sie jetzt an Covid erkranken würden, würde ich alles versuchen, dass sie nicht ins Krankenhaus kommen.

Manchmal ist man im Nachtdienst alleine auf der fast vollen Isolierstation mit 30 Patienten. Das Krankenhaus versucht, dort zwei bis drei Leute einzusetzen, aber wenn einer ausfällt, gibt es keinen Ersatz. In vielen Schichten werden die Pausenzeiten nicht mehr eingehalten. Wenn ein Patient aus dem Bett fällt und am Boden liegt, kann es passieren, dass wir ihm ein Kissen unterlegen, weil es lange dauern kann, bis jemand kommt und hilft, ihn hochzuheben. Und alleine schafft man es nicht.

Das St.-Marien-Hospital in Mülheim gehört zur Contilia-Gruppe.
Das St.-Marien-Hospital in Mülheim gehört zur Contilia-Gruppe. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

„Non-medical“-Masken aus China ohne Prüfsiegel

Wenn die Patienten klingeln, kann es im Extremfall passieren, dass zwei Stunden niemand kommt. Manche demente Patienten laufen dann auf den Flur, laufen raus aus der Station zum Haupteingang, weil sie verwirrt sind. Und man ist alleine auf der Station. Ich habe schon zwölf Stunden auf einen Arzt gewartet, damit er einen intravenösen Zugang legt. Das ist nicht akut lebensbedrohlich, aber wichtig. Der Arzt kann nichts dafür, der ist dann auf der Intensivstation und da geht es wirklich um Leben und Tod.

Wir arbeiten mit „Non-medical“-Masken aus China. Sie haben kein Prüfsiegel. Sie liegen nicht an und ziehen überall Luft, das Material fühlt sich billig an. Man fühlt sich nicht so sicher wie mit einer FFP2- oder FFP3-Maske, die wir normalerweise gewohnt sind, zum Beispiel bei Norovirus-Ausbrüchen. Das Gefühl ist: Dem Stück Stoff vertraut man nicht. Und dann soll man damit positive Patienten versorgen.“

Auf Anfrage, welches Prüfsiegel die genutzten Masken haben, teilt das Krankenhaus mit, dass „ausschließlich nach deutschen Maßstäben zertifizierte und qualitätsgesicherte Schutzkleidung eingekauft und im Krankenhaus eingesetzt“ werde.

Mülheimer Pflegekraft: „Viele sterben ganz furchtbar“

„Auf der Isolierstation sterben Menschen und Sterbebegleitung ist in der Besetzung nicht möglich. Viele sterben ganz furchtbar, mit den Angehörigen wird unsensibel gesprochen am Telefon. Die Leute sterben einsam und es kann passieren, dass jemand eine Weile mit einer Leiche auf dem Zimmer liegt, bis diese Leiche entfernt werden kann. Auf einer normalen Station würde man versuchen, einen Sterbenden alleine zu legen und ihn besonders behandeln, so dass er in Ruhe sterben kann. Auf der Covid-Station ist das nicht möglich.

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Eigentlich will man sich nur noch krankmelden, aber wir Krankenpfleger haben ein schlechtes Gewissen. Wir melden uns nicht krank. Man macht diesen Job irgendwie auch nur, wenn man ein Helfersyndrom hat.“

Die Frage, ob es dazu kommt, dass Patienten Zeit mit Leichen auf dem Zimmer verbringen müssen, lässt das St.-Marien-Hospital unbeantwortet. Es sei wichtig, „Angehörigen sowie Patienten einen angemessenen Rahmen“ zu bieten, in dem eine persönliche Verabschiedung möglich sei – unter Berücksichtigung der Corona-Hygieneschutzregeln. Zudem werde seelsorgerische Hilfe angeboten.

St.-Marien-Hospital: „Jede Anmerkung wird ernstgenommen“

Maßnahmen müssen tagesaktuell angepasst werden

Das katholische St.-Marien-Hospital gehört zur Contilia GmbH, die mit insgesamt rund 7000 Mitarbeitern mehrere Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen in Essen und Mülheim betreibt.

In einer Stellungnahme betont Carsten Preuß, Geschäftsführer des St.-Marien-Hospitals, „dass wir auch weiterhin alles dafür tun, um wie bisher für alle anderen Notfälle die Versorgung und Behandlung zu jeder Zeit sicherzustellen. Dies schließt ausdrücklich auch die intensivmedizinsche Behandlungsnotwendigkeit aller Patienten ein.“

Aufgrund der steigenden Infektionszahlen in Mülheim und Nordrhein-Westfalen sei es erforderlich, „die verschiedenen Maßnahmen tagesaktuell zu beurteilen und gegebenenfalls immer wieder der jeweiligen Situation anzupassen“.

„Ein Team hat sich bereits mit einer Mail an Contilia gewandt und darauf hingewiesen, wie die Belastung ist, dass das nicht mehr zu leisten ist. Die Antwort war: Wie das Team es wagen könnte, so eine Mail zu schreiben. Es sollte anschließend – wohl unabhängig von der E-Mail – auf seine Stammstation zurückversetzt werden, was wegen des hohen Krankenstandes vorerst doch nicht stattgefunden hat.“

Die Frage, welche konkrete Reaktion es seitens des Krankenhauses auf die Beschwerden aus dem Team gab, beantwortet das Krankenhaus vage: „Jede Anmerkung, jeder Verbesserungsvorschlag wird ernstgenommen und in den weiteren Planungen möglichst berücksichtigt. Viele unserer Maßnahmen basieren auf eben diesen Anregungen.“

* Name von der Redaktion geändert