Bottrop. Der Bottroper Tim leidet unter Long Covid, kämpft mit Lähmungserscheinungen. Er hat Angst vor dem Tod und davor, „dass ich ein Wrack werde“.
„Ich möchte, dass Corona nicht mehr im Mittelpunkt meines Lebens steht“, sagt Tim (Name geändert) schlicht. Doch das ist so viel leichter gesagt als getan: Ein halbes Jahr nach der akuten Erkrankung kämpft der Bottroper immer noch um seine Gesundheit. Er leidet unter dem, was als Long-Covid-Syndrom bezeichnet wird und verschiedenste Ausprägungen haben kann. Er selbst ist ständig erschöpft, vergisst Dinge, lässt Sachen aus der Hand fallen. Das quält ihn. „Ich will, dass ich wieder funktioniere. Und nicht ständig höre: Darüber haben wir doch schon gesprochen. Oder: Dir ist schon wieder etwas runtergefallen.“
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Dass Gesundheit ein hohes Gut ist, ist dem Mann mittleren Alters nicht erst seit Corona sehr klar. Er wusste schon beim Ausbruch der Pandemie, dass er zu den Risikopatienten gehört. „Ich bin HIV-positiv“, sagt Tim, der sich diesen Namen für den Bericht in der Zeitung ausgesucht hat, weil er einst auch den HI-Virus so nannte. „Ich wusste, ich muss mit ihm leben“ – „mit“ rückwärts gelesen ergibt: Tim. Dazu kommen Osteoporose, eine posttraumatische Belastungsstörung plus chronischer Depression, und einen Schlaganfall hat er auch schon überstanden, erzählt der Bottroper.
Bottroper Long-Covid-Patient: Lähmungserscheinungen und Luftnot
Wo Tim sich trotz aller ergriffener Vorsichtsmaßnahmen im letzten Oktober mit dem Coronavirus angesteckt hat? Er kann es nur vermuten. Bei einem Routinebesuch im Krankenhaus vielleicht, dort „beim Rein- oder Rausgehen“, meint er. Oder auf der Arbeit. Der Bottroper erkrankte schwer, kam ins Krankenhaus auf eine Überwachungsstation. Luftnot quälte ihn. Zeitgleich zeigten sich Lähmungserscheinungen auf der linken Körperseite.
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Künstlich beatmet werden musste er nicht, erzählt Tim. Dennoch: „Ich hatte extreme Angst. Nicht nur vor dem Tod. Sondern, dass ich ein Wrack werde.“ Dass die Lähmungen nicht mehr zurückgehen, er ein Pflegefall bleibt. Seine Quarantäne dauerte über sechs Wochen, noch über den Krankenhausaufenthalt hinaus. Das Virus hatte sich offenbar im Körper festgesetzt. „Ich wurde viermal auf Corona getestet, bis der Test schließlich negativ war“, erzählt Tim.
Long-Covid-Symptome: Konzentrationsstörungen und extreme Vergesslichkeit
Fakt aber ist, berichtet Tim: Seitdem er Corona hatte, kämpft er mit unterschiedlichsten, hartnäckigen Beschwerden, suchte deswegen auch schon die Post-Covid-Ambulanz der Uni-Klinik Essen für Corona-Genesene auf. Dort habe man ihm einen stationären Aufenthalt empfohlen.
„Man hat dann Polyneuropathie festgestellt, einen Herzklappenfehler, Bluthochdruck“, zählt Tim beeindruckend nüchtern auf. Einige neurologische und kardiologische Untersuchungsergebnisse stünden noch aus, aber eine vorläufige Diagnose bescheinigt ihm an erster Stelle: Verdacht auf Long-Covid-Syndrom.
„Seit meiner Erkrankung habe ich Konzentrationsstörungen. Deswegen habe ich schon zwei Unfälle mit dem Auto gebaut.“ Früher habe er gerne gelesen, „jetzt aber muss ich eine Sache zwei-, dreimal lesen, damit ich sie verstehe“. Dazu komme extreme Vergesslichkeit.
Bottroper führt Symptom-Tagebuch: Ausfälle zwei- bis dreimal die Woche
Die Lähmung ist zurückgegangen, neurologische Ausfälle sind geblieben: „Mir fallen Sachen aus der linken Hand, zum Beispiel beim Einkaufen oder wenn ich einen Becher halte.“ Will er durch eine Türöffnung, könne es passieren, dass er gegen den Pfosten knallt. „Ich nehme die linke Seite nicht richtig wahr.“
Tim ist geraten worden, über seine Symptome und Beschwerden Tagebuch zu führen. Vor dem Gespräch mit der Redaktion hat er extra noch einmal hineingeschaut, erzählt der Bottroper. Fazit: „Ich habe zwei- bis dreimal in der Woche Ausfälle. Es sind nicht mehr geworden – aber auch nicht weniger.“
Täglich wache er mit Kopfschmerzen auf, ihm fehlt Energie. „Von 24 Stunden schlafe ich locker 15.“ Beim ganz normalen Spazierengehen stelle sich schnell Belastungsluftnot ein. „Ich versuche, das jede Woche zu steigern. Mittlerweile kann ich 20 bis 25 Minuten am Stück spazieren gehen.“ Sein HIV-Arzt halte sich zwar mit entsprechenden Aussagen zurück, aber Tim sieht auch andauernde Auswirkungen der Corona-Infektion auf diese Erkrankung. „Ich glaube, das liegt daran, dass mein Immunsystem nicht zur Ruhe kommt.“
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Gefühlt wie ein Giftzwerg, gefährlich für andere und sich selbst
Zur Behandlung gehört für ihn – neben Geduld – Ergotherapie und Krankengymnastik. „Ich werde auch psychologische Unterstützung bekommen.“ Denn die Folgen für die Psyche sind enorm. So sagt Tim: „Ich mache mir Vorwürfe, denn ich habe auch Familienmitglieder mit Corona angesteckt.“ Wie ein Giftzwerg habe er sich gefühlt, gefährlich für andere ebenso wie für die eigenen Organe und die eigene Seele.
Inzwischen ist Tim geimpft, „das gibt mir ein bisschen Sicherheit. Aber es nimmt mir die Ängste nicht weg. Und auch die Symptome nicht.“