Mülheim. . Janina Vecchio hat ein Aufklärungsbuch geschrieben für Brüder und Schwestern von Kindern, die beatmetet werden müssen. Ihnen fehlten Fürsprecher.

Die Geschichte eines schwerkranken Jungen aus Duisburg hat Janina Vecchio zu einem Büchlein inspiriert. In „Schläuche, Kabel & Co. – bei meinem Bruder ist das so“ erklärt die Mülheimerin, was es bedeutet, wenn zu einer Familie mit einem Mal ein kleiner Mensch gehört, der auf die Hilfe von Beatmungsgeräten angewiesen ist. Angesprochen werden Geschwisterkinder. Sie kommen in den Extremfällen oft zu kurz, sagt die Kinderkrankenschwester. Dabei seien sie wissbegierig, nähmen regen Anteil.

„Was ist das für eine Maschine?“ – „Wieso piept die so?“ Auch für den gesunden Zwilling des Duisburger Jungen sowie für den ein Jahr älteren Bruder stellten sich Fragen wie diese. Anfangs, als sie noch klein waren, hätten die Geschwister des an Muskelschwund leidenden Kindes vor allem neugierig auf den blinkenden Knöpfen herumgedrückt, mit zunehmendem Alter aber präzise nachgefragt.

Liebevoll „zweite Mama“ genannt

„Hätte es das Aufklärungsbuch damals schon gegeben, hätte es der Familie sicher geholfen“, sagt Janina Vecchio. Anleitungen für Eltern gebe es reichlich, für Geschwisterkinder aber habe es bislang mau ausgesehen. Die 29-Jährige wollte die Lücke füllen, nahm sich vor im Rahmen ihrer Facharbeit, die sie für eine Weiterbildung brauchte, Abhilfe zu schaffen. „Ich wollte etwas tun, was die ambulante Pflege weiterbringt“, so Janina Vecchio.

Auch wenn sie für ihre zwei Jahre währende Weiterbildung zwischenzeitlich auf die Kinderintensivstation eines Dortmunder Krankenhauses wechseln musste – das Herz hängt an der ambulanten Pflege, am Einsatz bei den Betroffenen zu Hause. Die Erfahrung mit dem schwerkranken Jungen aus Duisburg, der Anfang 2018 mit sieben Jahren gestorben ist, war intensiv.

Bindung zu Kindern aufgebaut

Rund fünf Jahre war die Pflegerin an seiner Seite, drei, vier Tage pro Woche. Vecchio war Leiterin eines Teams aus acht Kollegen, organisierte viel, leistete aber auch die üblichen Zwölf-Stunden-Schichten mit Waschen, Duschen, Wickeln, Krankengymnastik, Atemtherapie, Zubereitung des Essens via Magensonde, Spaziergängen mit dem Reha-Buggy – sowie ganz normalem Familienleben. „Man soll Distanz wahren. Doch da ist ein Kind, eine Familie und man ist mittendrin. Da baut man natürlich eine Bindung auf, da wächst einem was ans Herz.“ Die Mutter der Jungs habe sie manchmal liebevoll als zweite Mama bezeichnet, erzählt Vecchio.

Ihr Arbeitgeber – das auf außerklinische Intensivpflege spezialisierte, deutschlandweit agierende türkische Pflegezentrum Cakir aus Bönen – habe gut gepasst zu der türkischstämmigen Familie aus Duisburg. Die Verbindung stimmte – auch, als es dem Sohn zusehends schlechter ging und die Mutter sich immer mehr auf das Pflegepersonal verließ. In den ersten Jahren habe man mit dem Jungen „mit den wunderschönen braunen Augen und dem hübschen Gesicht“ noch kommunizieren können. Zumindest Vertraute verstanden ihn. „Er konnte nicht sprechen, aber mit den Augen blinzeln oder so ganz leicht lächeln.“ Später aber habe er immer weiter abgebaut, sei schließlich auch noch erblindet.

Enger Kontakt zwischen Brüdern

Die Geschwister störte das wenig. Sie hatten immer engen Kontakt zum Bruder, „es war ihnen wichtig, bei ihm zu sein und eingebunden zu werden“. Der Pflegedienst habe ihnen deshalb erlaubt, bei der Versorgung des Kranken zu helfen. Und die Eltern hätten ein riesiges Bett gekauft, damit sich alle drei nah sein, gemütlich Filme gucken konnten. Dass ihr Schützling Glück empfinden konnte, sah Vecchio „an seiner Elvis-Lippe, an diesem besonderen Schmollmund, den er dann immer hatte“.

Das Schicksal kleiner Patienten, aber eben auch das ihrer Geschwister liegt der Mülheimerin am Herzen. Ihr Buch, das die Maschinen der Beatmungspflege kindgerecht erklärt, soll helfen. Zusätzlich hofft Vecchio darauf, dass sich im Krankenhaus-Alltag manches ändert. Bis dato dürften Geschwister nur in den wenigsten Häusern mit auf die Intensivstation. Was es heißt, dass zur Familie mit einem Mal ein kleiner Mensch gehört, der auf die Hilfe von Beatmungsgeräten angewiesen ist, erfahren sie daher oft erst nach Monaten. Wenn das Kind mit Schläuchen und Kabeln nach Hause kommt. „Das ist sehr schade, das sollte sich wirklich ändern“, sagt Janina Vecchio.

Zusammenarbeit mit Mülheimer Künstlerin

- Wer Interesse hat an dem Aufklärungsbuch für Geschwister von Kindern mit Beatmung, kann sich via Facebook an Janina Vecchio wenden. 300 Stück sind von dem Büchlein zunächst gedruckt worden. Sie werden vom Pflegedienst, bei dem Vecchio arbeitet, an betroffene Familien verteilt. Deutschlandweit kümmert sich das Pflegezentrum aktuell um 90 Mädchen und Jungen, die Intensivpflege brauchen.

- Vor zwei Wochen ist das 16-seitige Heft erschienen. Wie teuer es sein soll – oder ob es vielleicht nur gegen eine Spende an Betroffene abgegeben wird –, hat Vecchio noch nicht entschieden.

- „Schläuche, Kabel & Co.“ hat Vecchio gemeinsam mit der Tante ihres Mannes entworfen. Von der Mülheimer Grafikerin und Malerin Eva-Maria Stiepermann stammen sämtliche Illustrationen.