Herne. Dorothee Geißler ist Pflegekraft im Evangelischen Krankenhaus Herne. Auf der Unfallstation hatte sie planbare Arbeitstage. Dann kam Corona...

Dass sie sich mal einen normalen Tag auf ihrer Unfallstation herbeisehnen würde, hätte sich Dorothee Geißler nicht träumen lassen. Die examinierte Altenpflegerin arbeitet seit 2011 im Evangelischen Krankenhaus Herne. Alle Arbeitsabläufe saßen, die Tage waren mehr oder weniger planbar. Dann kam Corona...

„Als es hieß, es werden keine elektiven Operationen mehr gemacht, war mir klar, dass da etwas Großes auf uns zukommt“, sagt die 46-Jährige. Anfang März rief die Pflegedienstleitung (PDL) auf ihrer Station an und fragte, ob das Schleusenzimmer belegbar sei. „Wir wurden zunächst Covidstation, als die erste Welle abflaute dann Aufnahmestation. Also alle Patienten kamen erst mal zu uns, bis ein negativer Corona-Test da war, und in der zweiten Welle wurden wir wieder Covidstation.“

Die fremde Krankheit war zunächst eine emotionale Belastung

Von Anfang an Dorothee Geißler war an vorderster Front. „Meine Freunde waren noch unbedarft und wollten mich umarmen, andere waren in Spanien, denen hab ich gesagt, dass sie nach Hause kommen müssen.“ Für die Mitarbeiter der neuen Covid-Station gab es das Angebot, auf eine andere zu wechseln. „Ich habe nicht überlegt, wo anders hinzugehen“, sagt sie. Die Unterstützung der Führungskräfte sei sehr gut. Die Kommunikation habe sich komplett verändert – der Draht zur PDL und zu den Oberärzten kürzer als vorher.

Die völlig fremde Krankheit sei trotzdem zunächst eine emotionale Belastung gewesen. Vor ihrer ersten Nachtschicht habe sie kurz überlegt, ob sie zur Arbeit gehen soll. „Das waren 30 Sekunden, in denen mein Hirn rotiert hat. Gehe ich oder nicht? Du hast zwei Kinder, was ist, wenn du da was nach Hause schleppst? Aber dann hat es Klick gemacht und ich dachte nur, ich lasse meine Kollegen nicht hängen.“ Sie sei nicht in die Pflege gegangen, um Angst vor Krankheiten zu haben.

Von Routine kann keine Rede sein

„Normalerweise machst du deinen Dienst, machst Feierabend und schaltest ab“, erklärt Geißler. Das sei bei Covid nicht möglich. „Es gab und gibt jeden Tag neue Situationen, da kann man nicht warten und muss handeln.“ Ständig gibt es neue Handlungsanweisungen. Stück für Stück verstehen Pflegekräfte und Ärzte die Krankheit besser. Von Routine kann trotzdem keine Rede sein. „Der Arbeitsablauf ist wesentlich zeitintensiver, man braucht drei Mal so lange für alles.“

Alleine das An- und Auskleiden, das Abwaschen und Desinfizieren und die intensivere Betreuung seien eine Herausforderung. „Diese Krankheit ist unberechenbar. Deshalb müssen Vitalwerte und Sauerstoffwerte viel engmaschiger kontrolliert werden.“ Auch die Gespräche mit Angehörigen, die ihre kranken Familienmitglieder nicht besuchen können, sind emotional anstrengend: „Du musst ganz in Ruhe und mit Bedacht mit ihnen sprechen, obwohl du eigentlich keine Zeit hast.“

Erholung findet Dorothee Geißler vor allem beim Schlafen

Covid-Patienten seien oft im Wesen verändert, schrecken aus dem Tiefschlaf in einen Wachzustand. „Das macht etwas mit einem“, verrät Geißler, die während der Schicht aber eigentlich nie darüber nachdenkt. „Das alles schaffen wir nur, weil wir zusammenhalten“, betont die Pflegekraft. Und das, obwohl alle erschöpft sind und eigentlich viel zu wenig Personal zur Verfügung steht. „Wir haben immer wieder Hilfe von den anderen Stationen erhalten, insbesondere von der 3. Da kann ich nur den Hut ziehen vor allen, die durchhalten, mitziehen und trotzdem noch die Energie aufbringen, liebe Worte füreinander zu finden.“ Respekt und Achtsamkeit seien wichtig. „Aber natürlich ist bei uns nicht immer alles Hollywood.“

Erholung findet Geißler im Moment vor allem beim Schlafen. „Ich bin nach dem Dienst einfach platt“, gibt sie zu. Zum Glück seien ihre Kinder verständnisvoll. „Mein Hobby ist mein Hund. Außerdem treffe ich mich durchweg mit einer Freundin.“ Auch daran, dass ihre Tochter trotz allem in diesem Jahr weiter reiten gehen kann, erfreut sich die zweifache Mutter. Was sie allerdings als sehr zermürbend empfindet, ist die fehlende Anerkennung für den Pflegeberuf.

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„Anfang des Jahres standen alle auf den Balkonen, haben für uns geklatscht, dann sollten wir Einmalzahlungen erhalten. Was ist davon geblieben“, fragt die sonst so fröhliche und energiegeladene Fachkraft. „Es geht mir nicht um das Geld“, stellt sie klar, „sondern um die Anerkennung.“ Inzwischen ist klar, dass es über den Tarifvertrag eine kleine Prämie gibt. Aber auch kleine Dinge helfen, sich wertgeschätzt zu fühlen. So konnten sich die Mitarbeiter im Sommer beispielsweise ein Eis holen.

„Wir erleben in der Covid-Zeit ein neues Krankheitsbild, das die ganze Welt erschüttert.“ Da seien Feinfühligkeit und Respekt gefragter denn je. „Deswegen habe ich auch keinerlei Verständnis für Corona-Leugner. Ist es denn so schwer, ein bisschen Rücksicht aufeinander zu nehmen?“ Grundsätzlich blickt Dorothee Geißler aber positiv in die Zukunft: „Ich vertraue auf das Gute und freue mich darauf, wieder mit Freunden zusammenzusitzen und einen ganz normalen Arbeitsalltag auf der Unfallchirurgie zu haben.“

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