Mülheim. Kinderarzt Dr. Sven Hower sieht geschätzte 20 bis über 30 Prozent mehr erkältete Kinder in der Praxis. Was (auch) mit der Pandemie zusammenhängt.

Schniefende, hustende Kinder in den Arztpraxen: Das ist in jedem Herbst so, in diesem Jahr leiden aber mehr Kinder unter Atemwegserkrankungen als sonst. Warum das so ist, erklärte ein Mülheimer Kinderarzt.

Vor allem viele kleinere Kinder, die noch nicht in der Schule sind, sieht Kinderarzt Dr. Sven Hower derzeit in seiner Praxis in Saarn. Es gibt ein paar Magen-Darm-Infekte, zumeist leiden die Kleinen aber an Infektionen der Luftwege. Es sind etwa 20 bis über 30 Prozent mehr, schätzt Hower. Was (auch) mit der Coronapandemie zusammenhängt.

Mülheimer Kinderarzt: Zehn bis 15 Infekte pro Jahr sind im Vorschulalter normal

„Das Immunsystem bei Kindern reift über die Jahre, es muss lernen“, erläutert Kinderarzt Hower. „Bis zu einem Alter von ca. sechs Monaten haben die Kinder ja einen erhöhten Immunschutz durch die Mutter.“ Erst dann nähmen die Infekte deutlich zu. „So richtig los geht es dann aber erst in der Kita oder wenn die Kinder zur Tagesmutter gehen.“ Zehn bis 15 Infekte pro Jahr seien im Vorschulalter ganz normal, erläutert Hower, und die meisten liegen eben in der Heizperiode. „Bei den älteren Schulkindern ist das Immunsystem schon deutlich weiter, und die Infekte werden weniger“, erklärt der der erfahrene Mediziner vom Kinderärzte-Team „Kids 4.0“, das in Mülheim vier Praxisstandorte betreibt.

Für viele junge Eltern, die ihr (erstes) Baby kurz vor Beginn der Pandemie bekommen haben, sind Erkältungen eine völlig neue Erfahrung: Das Kind war ja vorher nie krank, weil es wegen der Hygienemaßnahmen in der Pandemie kaum Gelegenheit hatte, sich anzustecken. Doch jetzt kommen die Kleinen in die Kita, weil die Mutter wieder arbeitet, und das Kind ist dauernd erkältet.

Hygienemaßnahmen: Viele der Kleinen waren noch nie krank, holen das nach

„Da müssen sich jetzt alle erst einmal dran gewöhnen“, sagt Dr. Hower und erklärt: Das kindliche Immunsystem lerne durch Erfahrung, wenn es täglich mit Erregern bombardiert wird. „Und je mehr es kennenlernt, umso besser kann es sich vorbereiten.“ Im Vorschulalter ist das Immunsystem noch nicht so trainiert, deshalb seien Kinder in diesem Alter häufiger krank. Im Schulalter sei das kindliche Immunsystem dann schon viel besser trainiert.

Ansteckungen mit dem RS-Virus

Auch Infektionen der Atemwege mit dem RS-Virus (Respiratorisches Synzytial-Virus) werden in diesem Jahr bei Kindern früher beobachtet als sonst, weiß der Saarner Kinderarzt Dr. Sven Hower. Auch sei die Infektionsrate erhöht.

Es habe auch in Mülheim in diesem Jahr schon Kinder gegeben, die stationär behandelt werden mussten. Das RS-Virus gefährdet vor allem sehr junge Kinder und Frühchen.

Dr. Hower und seine Kolleginnen und Kollegen müssen derzeit viel Aufklärungsarbeit leisten, denn die Erkältungswelle kommt nicht nur viel früher als sonst, es betrifft auch mehr Kinder. Alle Mülheimer Kinderarztpraxen machten derzeit dieselbe Erfahrung. Wie lange die Erkältungswelle noch andauert? „Im Grunde bis zum Ende der Heizperiode“, weiß Dr. Hower aus Erfahrung. Er hoffe natürlich, dass die Erkältungswelle noch abflacht, „die Praxen kommen an ihr Limit.“

„Eine laufende Nase ist bei Kindern im Winter der Normalzustand.“

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Für junge Eltern sei die Erfahrung völlig neu, sie seien noch unsicher, könnten die Symptome noch nicht so gut einschätzen. Und es gibt bei Erkältungssymptomen auch die Sorge, dass es Covid-19 sein könnte. Der Kinderarzt empfiehlt, erst einmal einen Tag lang abzuwarten, ob zum Schnupfen noch etwas an Symptomen dazukomme. Bei Fieber empfiehlt sich der Besuch einer Praxis, um den Infekt abzuklären. Möglicherweise entscheide der Arzt sich dann für einen PCR-Test. „Aber“, beruhigt der Arzt. „Eine laufende Nase ist bei Kindern im Winter nichts Neues, sondern der Normalzustand und nicht besorgniserregend.“