Mülheim. Mit vielen vorbildlichen Aktionen geht die Hölterschule gegen lästige Elterntaxis vor. Andere Mülheimer Schulen könnten vom Konzept profitieren.
„Langsam fahren!“ – „Autos brauchen Pause!“ – „Zu Fuß zur Schule!“ Handgemalte Plakate mit Botschaften wie diesen säumen die Tilsiter Straße. Rund um die Hölterschule kommt derzeit niemand an dem kunterbunten Protest vorbei. Vor allem Väter und Mütter, die ihr Schulkind am liebsten bis fast auf den Schulhof karren, sollen sich angesprochen fühlen. Seit knapp vier Wochen dreht sich an der Schule fast alles um Verkehrssicherheit – und vor allem um die lästigen Elterntaxis.
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Seit Jahren appelliert die Schulleitung an die Eltern, ihre Kinder laufen zu lassen oder sie nur ein Stückchen des Weges zu kutschieren. „Doch unsere Worte verhallen zumeist ungehört“, sagt Günter Gallandi, kommissarischer Schulleiter. Nun haben sich engagierte Eltern des Problems angenommen und eine Reihe von Ideen entwickelt, um zu sensibilisieren. Dritt- und Viertklässler verteilen zum Beispiel Knöllchen an Eltern, die verkehrswidrig anhalten, riskant wenden oder dumm herumhupen.
Ein Haupt-Tatort ist die Mini-Stichstraße Richtung Schulhof
Ein Haupt-Tatort ist die Mini-Stichstraße, die von der Tilsiter Straße Richtung Schulhof abzweigt. Der Lehrerparkplatz befindet sich dort. Andere Autos haben auf dem Privatweg partout nichts verloren. „Leider wird das immer wieder ignoriert“, so Anke Hötzel, Vorsitzende des Fördervereins und dreifache Mutter. Auch wenn jeder Einzelne beteuere, dass man „ja nur mal kurz anhalte“, führe das zu gefährlichen Situationen. Die Elterntaxis bereiten auch an anderen Stellen rund ums Gebäude Probleme. „Und wir wollten jetzt endlich etwas daran ändern.“
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Gemeinsam mit Lisa Riedel, ebenfalls Mutter an der Schule, und einigen anderen Eltern ging Hötzel ans Werk. Man schaltete Ordnungsamt und Ortspolitiker ein, analysierte die Situation. Innerhalb weniger Wochen entstand ein Gesamtpaket zur Verkehrserziehung, das seinesgleichen sucht, lobt Gunter Zimmermeyer vom Vorstand der Verkehrswacht. „Ich kenne deutschlandweit einige Dutzend Aktionen dieser Art – aber was hier entstanden ist, ist einzigartig.“
Kinder in Warnwesten, die Eltern bei Verkehrsverstößen Strafzettel in die Hand drücken
Zum Beispiel die Schülerpolizisten: Kinder in Warnwesten, die Eltern hinterm Steuer knallgelbe Strafzettel in die Hand drücken, wenn sie etwas falsch machen. Das habe schnell zu ersten Erfolgen geführt, berichten Hötzel und Riedel. „Schon am zweiten Tag hielten weniger Autos an.“ Viele Eltern fühlten sich ertappt, schämten sich, und waren von da an nicht mehr gesehen, doch es gab auch manche, die vor Wut die Autotür knallten. Zum Glück seien die Kinder von niemandem übel beschimpft worden. Schulleiter Gallandi kennt das durchaus anders: „Wir Lehrer haben oft unfreundliche Reaktionen kassiert.“
Damit die Schulpolizisten überhaupt wussten, wann eine Mama oder ein Papa etwas falsch gemacht haben, wurden vorab Verkehrsregeln gepaukt. Und ein echter Schutzmann lief mit den Kindern den Schulweg ab, um auf Gefahren hinzuweisen. Das Aktionsteam verteilte Infomaterial ans Kollegium und schlug den Lehrern weitere spannende Projekte vor.
Viele Grundschüler waren etwa als Schulwegdetektive unterwegs
Viele Grundschüler waren etwa als Schulwegdetektive unterwegs. Und schrieben in ein Büchlein, was sie beim Laufen so entdeckten: zum Beispiel Blätter, die vom Baum gefallen sind und bei Regenwetter zur Rutschpartie werden können. Sie schauten sich Verkehrsschilder an und schätzten, wie viele Schritte sie von zu Hause aus zurücklegen müssen. Warum können Autofahrer ein Schulkind am frühen Morgen manchmal nicht gut sehen? Auch mit dieser Frage beschäftigten sich die Kleinen.
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Die Plakate für die Vorgärten wurden gebastelt und viele, viele Füße gemalt – weil Füße einen auf schöne und sichere Art und Weise zum Unterricht bringen können. Es gebe etliche Gründe, so Riedel und Hötzel, warum ein Kind am Morgen per pedes zur Schule aufbrechen sollte: „Es stärkt das Selbstbewusstsein und den Orientierungssinn.“ – „Es ist eine fröhliche Zeit mit Freunden, ohne Daueraufsicht durch die Eltern.“ – „Es ist Bewegung an der frischen Luft.“ – „Es ist gut für die Umwelt.“
Klassenintern gab’s Wettkämpfe, wer den weitesten Schulweg zu Fuß zurücklegt
Auch mit Straßenkarten haben die Schüler gearbeitet, ihren Weg eingezeichnet und herausgefunden, wer in der Nähe wohnt und sich als Laufkamerad anbieten würde. Und klassenintern gab’s Wettkämpfe, wer den weitesten Schulweg zu Fuß zurücklegt.
Konzept soll auch anderen Mülheimer Schulen nützlich sein
Am Oppspring, unweit der „Villa Stöpsel“, könnte eine Elterntaxi-Haltestelle für die Hölterschule entstehen, hieß es am Mittwoch im Pressegespräch. Das Mülheimer Ordnungsamt habe versprochen zu handeln. Auch Piktogramme auf den Straßen sollen zu mehr Sicherheit führen.
Anke Hötzel und Lisa Riedel haben ihre Ideen nicht alle selbst kreiert, sondern sich von Maßnahmen des Verkehrsclubs VCD und des Kinderhilfswerks inspirieren lassen. Diese führen jährlich am 22. September einen „Walk-to-School-Day“ durch.
Andere Schulen, die Interesse an dem Konzept haben, können sich über foehoe1914@freenet.dean die Eltern der Hölterschule wenden – gegen eine Spende für den Förderverein. Die Verkehrswacht will an allen Mülheimer Grundschulen über das Projekt informieren.
All das fruchtete: Nach fast vier Wochen ist die Zahl der Autos mittlerweile auf ein Viertel gesunken, schätzen die Initiatorinnen. Damit dieser Erfolg nicht verpufft und sich das laut Riedel „gruselige“ Verhalten mancher Eltern wieder einstellt, sollen auch kommende Jahrgänge geschult werden. Denn oft wachse der Druck auf die Eltern über die Kinder, die verstehen, dass es nicht sinnvoll ist, jeden Meter zu fahren.
Eifrige Schülerpolizisten werden auch in der kommenden Zeit Knöllchen verteilen
Unter dem Eindruck der vergangenen Wochen verzichteten aktuell viele Eltern an der Tilsiter Straße auf aggressives Fahrverhalten, so Gunter Zimmermeyer. Doch er ist skeptisch, dass sich das auf Dauer hält. Auch Schulleiter Gallandi, der das Eltern-Engagement „großartig“ nennt, fürchtet, dass die Botschaften „in Vergessenheit geraten“. Eltern aber sollten sich nicht zu sichern fühlen: Die eifrigen Schülerpolizisten werden immer wieder Knöllchen verteilen. Unangekündigt, natürlich.