Mülheim. Pastor Nepomuk Planitzer verlässt nach 13 Jahren die Andreas-Gemeinde in Mülheim-Styrum. Was er bewegt hat und warum er sich auf Bayern freut.
Nepomuk Planitzer ist seit 2008 Pastor der Andreas-Gemeinde an der Mittelstraße in Styrum. Am 20. Juni führt es ihn und seine Familie aus Mülheim wieder näher an seine alte Heimat bei Augsburg. Dort wird der 41-Jährige die Evangelische Gemeinschaft Wolfratshausen begleiten. Was der engagierte Pastor erreicht hat und wo Kirche ihre Herausforderung sieht.
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Hallo Herr Planitzer, wenn man ins Andreas-Gemeindehaus kommt, findet man eine moderne Einrichtung, die man vielleicht nicht erwartet.
Ja. Hier hat sich viel Positives verändert. Die Garderobe, die man ausklappen und ausziehen kann, habe ich zum Beispiel selbst gebaut. Ich habe ursprünglich Schreiner gelernt. Mein Traum war es eigentlich, eine Firma aufzumachen, die Wohnungseinrichtungen so entwirft und gestaltet, dass sie superpraktisch für Menschen sind. Dass sie optimal den Raum ausnutzen, gut aussehen, aber vor allem langlebig sind.
Der nachhaltige Gedanke passt zu mir wie meine bayrische Sitzecke, die man auf doppelte Länge verlängern kann: Denn das Leben passiert bei uns am Tisch, mit der Familie, mit Freunden, die wir einladen. Ich habe dann aber festgestellt, viele Leute wollen im Bezug auf ihre Wohnungseinrichtung nichts mehr auf Dauer, sondern die stetige Veränderung. Und jetzt merke ich plötzlich durch meinen Umzug: Finde ich eine Wohnung, in die die Sitzecke reinpasst? Ich komme also selbst an die Grenze dieser Lebensweise: Flexibilität, möglichst alles zurücklassen, um von A nach B zu kommen.
Für mich hat Nachhaltigkeit etwas damit zu tun, dass die Erde uns anvertraut ist. Aber es bringt auch nichts, auf einem Punkt herumzureiten, den man von allen erwartet. Wenn jeder nach seinen Möglichkeiten nachhaltig handelt, ist allen mehr geholfen.
Nepomuk Planitzer: „Für mich spielt der Pietismus eine große Rolle“
Wenn man Ihnen zuhört, merkt man, wie sehr Sie den Alltag und sich selbst spirituell reflektieren.
Für mich spielt der Pietismus eine große Rolle. Die Bewegung finde ich spannend, weil sie gesagt hat: Die Bibel ist nicht Geschichte, sondern sie passiert heute. Jesus Christus ist nicht nur eine geschichtliche Person, er wirkt auch heute noch, mitten unter uns. Viele soziale Einrichtungen sind aus dem Gedanken des Pietismus entstanden, weil sie gesagt haben: Wir müssen in einer pädagogischen Weise auf die Gesellschaft einwirken. Heute gibt es Christen, die ziehen sich aus der Welt zurück. Ich finde das total verkehrt: Wir haben doch eine Verantwortung für diese Welt.
Wie und wann hat es denn zwischen Ihnen und Gott gefunkt?
Ehrenamtlich habe ich immer viel Jugendarbeit in meiner früheren Gemeinde bei Augsburg gemacht, so dass auch Leute gefragt haben: Wär’ das Pastorenamt nichts für dich? Ich habe aber lange Zeit gezögert, weil das Amt auch viele Veränderungen mit sich bringt. Es gab dann mit 22 Jahren, im Sommer 2001, aber eine Situation im Gottesdienst, die ich davor und danach nicht erlebt habe: Ich habe einen elektrischen Schlag gespürt, wie ein Blitz, der in den Kopf geht und zu den Füßen wieder raus. Eine Ergriffenheit.
Das war der Augenblick, wo mir klar wurde, wohin mein Weg geht, obwohl ich kurz davor meine Bewerbung im Möbeldesign abgegeben hatte. Und das spüre ich auch jetzt wieder, wenn ich zurück nach Bayern gehe und ich manchmal denke: Eigentlich ist es Wahnsinn, in dieser Corona-Zeit mit einer Familie mit vier Kindern umzuziehen. Ich weiß aber, es ist der richtige Weg, und deshalb gehe ich ihn.
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„Wir beteiligen im Gottesdienst zu wenig, es gibt immer noch einen Sender und einen Empfänger“
Sie waren 13 Jahren Pastor der Andreas-Gemeinde – wie hat sie sich seitdem entwickelt?
Ganz klar hat Corona die ganze Gesellschaft und viele Einrichtungen stark verändert – und natürlich auch die Gemeinde: Anfangs haben wir wie viele gedacht, wir ducken uns durch die Welle. Doch dann kam eine nach der anderen, und wir haben gemerkt, dass wir eine Insel brauchen. Teilweise haben wir Videogottesdienste gemacht. Der Vorteil: die Reichweite – unser Gottesdienst wurde 350 Mal geguckt, dagegen kamen früher zum Weihnachtsgottesdienst maximal 200 Leute.
Gleichzeitig habe ich gemerkt, die Leute gucken dann nur noch, wenn es passt. Wenn man aber wieder in Präsenz feiern will, kann nicht der eine am Montagmorgen, der nächste am Nachmittag feiern. Wir haben auch interaktive Gottesdienste für Jung und Alt gemacht, aber es ist schwer, zusammen zu feiern, wenn mancher dabei aufs Handy schaut.
Muss sich der Gottesdienst verändern?
Ja. Wir haben festgestellt, dass wir kommunikativer werden müssen, wenn wir alle Mitglieder der Gemeinde ansprechen wollen. Aber wie macht man das, ohne die anderen ,auszuladen’? Und: Wir arbeiten zwar digital, aber inhaltlich immer noch ,analog’. Das heißt: Wir beteiligen zu wenig, es gibt immer noch einen Sender und einen Empfänger. Corona hat also Grenzen und Chancen für die Gemeinde aufgezeigt, sie wird definitiv auch nach Corona eine andere sein.
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Wie die Andreas-Gemeinde zusammengewachsen ist
Und wo haben Sie außerhalb von Corona Schwerpunkte setzen können?
Als ich hier ankam, gab es zwei kleinere Gemeinden in Styrum, die zweieinhalb Kilometer auseinander lagen, jeweils auf Oberhausener – die Andreas-Gemeinde – und auf Mülheimer Seite – die Philippus-Gemeinde. Meine Aufgabe war es, die bereits gemeinsam laufende Jugendarbeit mit der Gemeinde zusammenzuführen. Die Frage war nur: An welche der beiden?
In der Fusion haben wir uns entschieden, das Haus in der Mittelstraße in Mülheim zu behalten und den Namen der anderen Gemeinde anzunehmen. Es gab aber mehrere Phasen des Zusammenwachsens. Der gemeinsame Ansatz war, dass wir das tun, was wir gemeinsam gut können: uns für Styrumer Familien einsetzen. Das Lego-Wochenende war so ein Projekt, Kindergruppen und Frauenfrühstück, Vater-Kind-Zelten, einen My-Life-Workshop.
Eine weitere Phase war der Umbau des Gemeindehauses, es sollte Lebendigkeit, Offenheit ausstrahlen. Wir haben neu gestrichen, einen Anbau gebaut, die Küche verlegt, den Saal technisch aufgerüstet, den Garten eingebunden.
Wir haben als Drittes damit begonnen, uns in der Gemeinde offen über unseren Glauben auszutauschen: Es geht darum, Formen in seinem Alltag zu finden, wie man seinen Glauben gestaltet. Über seinen persönlichen Glauben zu reden, ist aber für manchen nicht einfach. Er ist ein Stück Privatsache geworden. Ich habe das Gefühl, man überschreitet gesellschaftlich inzwischen eine Grenze, wenn man über seinen Glauben spricht. Ich bin aber keiner, der in der Fußgängerzone konfrontativ das Evangelium predigt, ich möchte lieber Menschen einladen, darüber nachzudenken. Den Austausch in der Gemeinde finde ich deshalb wichtig.
Wie geht es hier weiter? Was nehmen Sie mit nach Wolfratshausen?
Wir wollen hier den guten Prozess fortsetzen und haben damit angefangen, neue Dinge mit den Mitarbeitern aufs Gleis zu stellen, Aufgaben zwischen Jung und Alt neu zu verteilen. Den Prozess hätte ich gerne weiter begleitet.
In Augsburg lag meine Heimatgemeinde, in die ich mit 15 über Freunde aus dem Sportverein gekommen bin, in der ich mich im Glauben entwickelt habe. Denn ursprünglich bin ich katholisch aufgewachsen. Ich habe aber dort für mich spirituell Dinge entdeckt, die ich im Katholizismus nicht gefunden habe.
Jetzt geht es nach Wolfratshausen. Ich werde viele Dinge, die wir hier gemacht haben, in Wolfratshausen weitermachen. Ich finde es weiterhin richtig, dass sich eine Gemeinde deutlich macht, wofür sie da ist. Ich werde auch dort den Generationswechsel vorantreiben, und den Älteren helfen, gute Wegbereiter für Jüngere zu sein. Es wird sicher wieder herausfordernd sein, aber das macht es ja auch spannend.