Mülheim. Aufstehen, wenn der Hahn kräht, Gemüse pflanzen, gute Nachbarschaft säen – die Mülheimer Raumteiler haben sich fürs Dichterviertel viel überlegt.
Da gackern ja die Hühner: Mitten in der ansonsten dicht bebauten Mülheimer City pickt und kräht es, schießt der Salat, reifen Tomaten und sprießt allerhand Gemüse zur Selbstversorgung. Noch sind das alles nur Striche auf einem Plan, doch die künftigen Bewohner an der Scheffelstraße glauben an ihre Vision aus Nachbarschaft mit Jungen und Älteren. Vor allem aber an eine gelebte ökologische Nachhaltigkeit - trotz baulicher Verdichtung.
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„Raumteiler“ haben die Wohn-Pioniere ihren Ansatz getauft, so ganz nach dem Motto „Wer teilt, hat mehr davon“. 14 Mietwohnungen verteilt auf zwei Gebäude sollen mit Hilfe des Mülheimer Wohnungsbaus auf dem Gelände am Rande des Dichterviertels errichtet werden. „Uns ist klar, dass damit das bisher brachliegende Grundstück erst einmal bebaut wird, also Grün verloren geht“, sagt Wolfgang Bäcker, einer der Gründer der Raumteiler.
Kompromiss zwischen städtischem Wohnen und Landleben
Dafür gibt es nicht nur Lob, mancher im Viertel sieht eine der letzten größeren und zusammenhängenden Grünflächen im Quartier verloren. Und doch wollen die Raumteiler die Waagschale in Richtung Natur tippen. „Wir haben beschlossen, so wenig Fläche wie möglich zu verdichten“, erläutert Bäcker die Planung, die die rund zwölf Parteien mit dem MWB seit 2016 entwickelt haben.
Der Hühnerstall mit einem Gewächshaus, Beerensträuchern, Hecke statt der oft üblichen Metallzäune, Gemüse- und barrierefreie Hochbeete sind deshalb ein Muss gewesen, wo manch andere „Investoren“ normalerweise mehr Häuser mit allenfalls grillplatzgroßen Terrassen unterbringen.
Auch die Gebäude selbst sollen einer ökologischen Bauweise folgen: „Lehm wird wohl zu teuer“, überlegen die Raumteiler. Aber es soll nicht herkömmlich mit Styrodur gedämmt werden, sondern möglicherweise mit Wärmedämmsteinen, zudem sind Fassaden- und extensive Begrünungen auf Absätzen und auf dem Dach im Gespräch.
WG auf neudeutsch und ganz ohne Studenten: „Clusterwohnungen“
Lediglich die Wege sind so verdichtet, dass die Bewohner auch dann noch die Beete erreichen können, wenn sie einmal auf Gehhilfen angewiesen sein sollten, zeigt Wolfgang Bäcker auf der Karte. Zudem gibt es noch eine Rampe zu den Mülleimern. „Die Architekten der MWB haben uns begleitet und gut mitgedacht“, lobt der Raumteiler die Barrierefreiheit.
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Auch bei dem eher ungewöhnlichen Teil des Projekts, einer „Clusterwohnung“, die wie eine Art WG funktionieren soll, ist der Mülheimer Wohnungsbau, der übrigens Vermieter bleibt, mitgegangen. Und gerade diese WG-Appartements sind nahezu vergeben.
Denn das gemeinsame Älterwerden und dabei selbstständig zu bleiben, ist der zweite Grundgedanke des Wohnprojekts, das 2013 mit vielen Ideen gestartet ist, aber ohne ein konkretes Gelände, geschweige denn einem Investor. Inzwischen sind es zwölf Parteien mit einem Schwerpunkt bei den Ü50-Jährigen, aber auch eine alleinstehende Frau mit zwei Kindern ist mit im Boot.
Die Idee: Gemeinsam Wirken in den Stadtteil – jeder nach seinem Talent
Davon dürfte es nach Wunsch der Raumteiler gern mehr sein, und noch sind vier Wohnungen zwischen 80 und 90 Quadratmetern zu vergeben. Die Quadratmeterpreise sind mit 11 Euro kalt jedoch durchaus gehoben. Immerhin gibt es bei den kleineren und mittleren Wohnungen auch solche, die gefördert werden. Rund zwölf Wohneinheiten in Größen von 47 bis 89 Quadratmetern sind noch zu haben.
Alternative Wohnprojekte sind gefragt
Als Vorbild für die Raumteiler diente übrigens das Freiburger Miethäuser Syndikat, das inzwischen 160 Projekte in der ganzen Republik hat. Sechs gibt es in NRW, so etwa die Grafschaft 31 im Münsterland.
Seit 2013 wohnen dort 21 Menschen von 0 bis 55 Jahren gemeinschaftlich. Sie machen Veranstaltungen dort und betreiben etwa Ackerbau. Info: syndikat.org/de/projekte/grafschaft
Wer sich für das Mülheimer Projekt Raumteiler interessiert, findet hier zusätzliche Infos und den Kontakt: die-raumteiler.de
„Wir wollen eine soziodemografische Mischung“, sagt Bäcker. Und man hat bewusst Räume eingeplant, die allen zur Verfügung stehen, in denen gemeinsam etwa gekocht und gegessen wird. Es gebe dabei keinen Gemeinschaftszwang, jeder könne sich auch zurückziehen. „Wir suchen aber Mitstreiter aus verschiedenen Altersgruppen, die offen für andere sind und die Lust haben, bewusster zu leben und entsprechend ihrer Talente in den Stadtteil zu wirken.“
Im Streitfall hilft die Satzung
Wie das umgesetzt werden soll? Ganz unterschiedlich: Bäcker selbst plant einen Theaterworkshop, andere wollen eine kleine Werkstatt führen und wieder andere planen, in Kitas und Seniorenwohnstätten vorzulesen.
Bleibt die Frage: Was ist, wenn’s auf dem engen Raum mal kracht oder unterschiedliche Ideen gibt? Auch dafür seien die Raumteiler gewappnet, meint Bäcker: „Reibungen kann es immer geben, deshalb haben wir gemeinsam Streitschlichtungspläne erarbeitet. Uns ist aber als Gemeinschaft wichtig: Wir wollen über Projekte nach dem Prinzip ,einstimmig minus eins’ entscheiden. Das heißt, wir beschließen gemeinsam, aber niemand kann mit einer Veto-Stimme gemeinschaftliche Ideen blockieren.“