Mülheim. Die Evangelische Kirche in Mülheim leistet in der Pandemie verlässlich Seelsorge und Beratung. Aufkleber in der Stadt laden zu den Angeboten ein.
Lebensberatung und Seelsorge auf Distanz? Vor Corona kaum vorstellbar. In Zeiten der Pandemie mussten und müssen auch die Beratungsangebote der Evangelischen Kirche in Mülheim andere Wege gehen. „Wir waren während der Pandemie in allen Bereichen da – und wir sind es immer noch“, betonte Superintendent Gerald Hillebrand. Auf die vielfältigen Angebote des Kirchenkreises An der Ruhr verweisen seit Kurzem überall in der Stadt auffällige, pinkfarbene Aufkleber.
Alle Mülheimer Bürger sind willkommen
Zum Kirchenkreis An der Ruhr zählen sieben evangelische Gemeinden in Mülheim mit rund 43.000 Mitgliedern.
Der Kirchenkreis betreibt eigene Einrichtungen wie die Beratungsstelle, Telefonseelsorge, Krankenhausseelsorge und weitere, in denen alle Mülheimer Bürger willkommen sind.
„Corona-Blues? Stress? Jemand zum Reden gesucht?“ fragt die Aufkleber-Schrift und gibt die Antwort gleich mit: „Wir sind für euch da. Rat und Hilfe für alle MülheimerInnen.“ Ein QR-Code verlinkt auf die Kontakte zu evangelischen Einrichtungen und Kirchengemeinden. Seelsorge ist unsichtbar, so Hillebrand, doch wurde sie auch in Pandemiezeiten von Haupt- und Ehrenamtlichen verlässlich geleistet. Ob Notfall-, Klinik- oder Telefonseelsorge, ob Hausbesuche oder Hilfegespräche in den Beratungsstellen – alles fand statt, aber manchmal ein bisschen anders als sonst.
Mitarbeitende in Mülheimer Gemeinden und Beratungsstellen haben Kontakt gehalten
Der Mensch braucht ja Nähe wie die Luft zum Atmen, und die Berater und Seelsorger ließen sich etwas einfallen. Ob per Telefon, per Videokonferenz, per Gespräch an der Haustür, bei einem Spaziergang oder über die gute, alte Post: Die Mitarbeitenden in den Gemeinden, Beratungsstellen und in der Seelsorge haben den Kontakt gehalten. In diesen Pandemietagen war das wohl noch wichtiger als sonst, denn für viele Hilfesuchende war es oft der einzige Kontakt, weil viele andere Möglichkeiten des Zusammenseins, etwa in den Gemeinden, wegfielen. Die Ambulante Gefährdetenhilfe kümmerte sich im Rahmen der Hygieneregeln weiter um Wohnungslose, brachte Essen zu den Notschlafstellen, deren Öffnungszeiten erweitert wurden. Organisiert wurden auch Impftermine für Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben.
Volker Rohse, Leiter der Evangelischen Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen, hat mit seinem Team in den vergangenen fast 15 Monaten hautnah erlebt, wie die Pandemiesituation den Familienfrieden frisst. Er zollt den Eltern großen Respekt, wie sie alles unter einen Hut bekommen haben. „Wenn es eng wird, wird es in den Familien schnell auch mal laut“, weiß er. Und dass es den Familien „an Perspektiven mangelt“. Die Pandemie, ein Fluch ohne Ende? Zu kleinen Auszeiten hat er geraten, zu kleinen Fluchten: joggen, spazieren gehen, das fest verabredete Telefonat mit der Freundin. Das eher neue Instrument der Videoberatung sieht Volker Rohse als „echten Zugewinn“ für die Arbeit an. „Das geht auch in der Quarantäne“, sagt er. „Alleinerziehende nutzen die Videoberatung gern.“ Sicher auch weiterhin nach der Pandemie.
Die Einsamkeit war auch für viele Mülheimer eine völlig neue Erfahrung
Bei der Telefonseelsorge wurde noch mehr telefoniert als sonst. Einsamkeit wurde für viele Menschen zur ganz neuen Erfahrung. Die Schwerpunkte der Anrufe wandelten sich im Laufe der Pandemie. „In der ersten Welle wollten viele wissen, wie man sich infiziert“, erinnert sich der Leiter der Ökumenischen Telefonseelsorge, Olaf Meier. „Positiv – und nun“ – das war ein Hauptthema während der zweiten Welle. Und aktuell stehe die Frage, wie man an einen Impftermin kommt, ganz vorne. Bei solchen Fragen vermitteln die Ehrenamtlichen weiter. Doch als Fazit kann Olaf Meier sagen: „Die Menschen werden mürbe und müde. Da eine Perspektive zu finden, das ist schon eine Herausforderung.“ Das Chat-Angebot der Telefonseelsorge werde derzeit zu 35 Prozent mehr genutzt, sagt Meier. Vor allem von jüngeren Menschen.
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Nah an den stationären Patienten und deren Familien war auch die Krankenhaus-Seelsorgerin Klaudia Schmalenbach mit ihren Ehrenamtlichen. Als das Besuchsverbot kam, mussten Angehörige informiert und getröstet werden. Das Team arbeitet jetzt vor allem im Foyer des EKM, übernimmt Botengänge zwischen Angehörigen und Patienten. „Wir haben auch ganz viele Taschen geschleppt – und einmal sogar eine heiße Suppe“, berichtet sie von einem „Spezialauftrag“ für einen Patienten.
Viele Menschen sind in Mülheim bereit, ein Ehrenamt zu übernehmen
Nachdem die Über-60-Jährigen vorsichtshalber zu Hause bleiben mussten, wurde das Krankenhaus-Team der Ehrenamtler temporär durch 25 jüngere Leute, darunter viele Studierende, verstärkt. „Es sind viele Menschen bereit zu helfen“, hat Pfarrerin Schmalenbach festgestellt. Auch die Telefonseelsorge hat derzeit mehr Anfragen nach einem Ehrenamt als sonst, sagt Olaf Meier. Es gibt wohl doch auch noch positive Erfahrungen bei einer Pandemie.