Mülheim. Die Eheberater der Evangelischen Beratungsstelle Mülheim haben erlebt, wie Corona die Paare belastet hat. Manche gingen gestärkt durch die Krise.

Wie hat sich während der Corona-Krise das Verhältnis zum Partner, zur Partnerin verändert? Das wollten wir in unserem Corona-Check von unseren Leserinnen und Lesern wissen. Insgesamt, so das Ergebnis unserer (nicht repräsentativen) Umfrage, hat sich in Mülheim die Paar-Situation in der Krise sogar leicht verbessert. Wirkliche Einblicke in die häuslichen Situationen haben die Mitarbeitenden der Beratungsstellen. Die Evangelische Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen am Hagdorn in der Altstadt war mit ihren fünf Experten auch in der Pandemie immer ansprechbar.

Rund 330 „Fälle“ haben sie im Schnitt im Jahr, darunter sind circa 240 Familien mit Kindern, der Rest Paare, berichtet Volker Rohse, der die Mülheimer Beratungsstelle leitet. Das sei auch im Coronajahr 2020 nicht anders gewesen, so der Psychologe und Familientherapeut. Ihm ist nur aufgefallen: „Während des ersten Lockdowns im März, April 2020 war es sehr ruhig, die Anfragen kamen erst danach.“ Erst als sich die Corona-Situation etwas entspannt hatte, suchten Paare und Familien professionelle Hilfe. So ist es auch aktuell wieder.

Gewohnte Strukturen fielen weg, der Wechsel zwischen Nähe und Distanz auch

„Von Corona waren sie alle betroffen“, sagt die Sozialpädagogin und Familientherapeutin Annette Kistner über die Ratsuchenden. Beide Elternteile zu Hause im Homeoffice, die Kinder weder in der Schule noch in der Kita, die Großeltern konnten nicht unterstützen, keine OGS-Betreuung. Gewohnte Strukturen fielen weg, der Wechsel zwischen Nähe und Distanz auch, wenn alle immer zu Hause hocken (müssen).

Plötzlich war man nur noch daheim, es gab ganz, ganz viel Nähe. Unfreiwillig. Und keine Rückzugsmöglichkeiten: Kein Kino mehr mit der Freundin, kein Kneipenabend mit dem Kumpel, keine Unternehmungen mehr als Paar, mal ohne die Kinder. „Das war für manche befremdlich, damit musste man erst einmal umzugehen lernen“, so Rohse. Die Rollen zu Hause mussten neu verteilt werden, das kann für Zündstoff sorgen. Existenzielle Sorgen verschärften die Situation noch.

Offen für alle ratsuchenden Bürger in Mülheim

Die Evangelische Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen am Hagdorn 23 (Altstadt) steht allen ratsuchenden Mülheimern offen. Es entstehen bei der Beratung keine Kosten. Alle Berater und Beraterinnen unterliegen der Schweigepflicht.

Die Beratungsstelle ist für Anmeldungen zu erreichen unter 0208 32014 von Montag bis Freitag von 8.30 bis 14 Uhr. E-Mail: .

Die Mitarbeitenden beraten Eltern, Familien und Paare, Jugendliche und Einzelpersonen in Erziehungs-, Ehe- und vielen Lebensfragen wie Verlust, Trauer, Einsamkeit, Übergängen im Leben und Sinnfragen. Mehr Info unter: beratung.kirche-muelheim.de.

Dabei haben gerade die Familien in der Pandemie-Zeit unglaublich viel geleistet, das werden die Berater nicht müde zu betonen. „Vielen“, weiß Kistner, „ist das ja gar nicht bewusst.“ Und viele fragen sich auch: Ist das nur bei uns so? Dass ein paar Probleme zu Paar-Problemen wurden? Nein, wissen die Berater. Wenn die Partnerschaft schon zuvor von wenig Wohlwollen geprägt war und es und nur wenig Bereitschaft zu Kompromissen gab, hat sich die Situation in der Corona-Krise auch weiter verschärft. Wie ein Brennglas, das die Probleme bündelt.

Altersgruppe bis 40 Jahre hat in Mülheim das Paar-Verhältnis schlechter bewertet

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Dass die Altersgruppe bis 40 Jahre bei unserer Umfrage das Verhältnis zum Partner als etwas schlechter als der Durchschnitt bewertete, wundert die Berater nicht, ist diese Gruppe doch die mehrfach belastete: Menschen, die voll im Beruf stehen und jüngere Kinder haben. Ältere Paare haben vielleicht schon so manches gemeinsam durchgestanden, haben eine inzwischen größere Gelassenheit. „Aber man kann nicht sagen, dass Paare, die schon lange zusammen sind, besser durch die Krise gekommen sind“, sagt Annette Kistner. „Es ist ganz individuell, wie die Paare eine Krise meistern.“

Auch die ganz jungen Paare, die das erste Kind erwarteten, waren mehr auf sich gestellt, hatten in der Pandemie nur wenig Austausch: keine Schwangerengymnastik, kein Babyschwimmen, keine Geburtsvorbereitungskurse.

Etliche Paare suchen erst jetzt Hilfe in der Beratungsstelle, wo die Inzidenzwerte sinken und die Situation lockerer wird. Dabei waren Annette Kistner, Volker Rohse und ihre Kollegen stets erreichbar, und gingen mit Videotelefonaten oder Beratungs-Spaziergängen auch andere, hygienekonforme Wege. Auch jetzt wird Wert darauf gelegt, dass jemand, der Hilfe sucht, nicht zu lange auf einen Termin warten muss. „Wer hier herkommt, hat sich als Paar nicht ganz aufgegeben“, sagt Annette Kistner. „Es ist sehr mutig und ein Riesenschritt“, weiß die Familientherapeutin aus 33 Jahren Berufserfahrung.

In der Paar-Beratung geht es um die Themen Wünsche, Bedürfnisse, Wertschätzung

Gemeinsam mit dem Berater oder der Beraterin, das Team besteht aus Männern und Frauen, wird an grundsätzlichen Fragen gearbeitet: Was möchte ich selbst? Wie möchte ich leben? Was wünsche ich mir vom Partner? Wie geht es mir? Was könnte mein erster Schritt sein, damit wir als Paar wieder funktionieren? Vielleicht ab und zu die „Meckerschürze“ abnehmen und aufhängen? „Es geht in der Beratung ja nicht darum, wer nun Recht hat“, sagt Annette Kistner. „Es geht darum, wieder miteinander zu sprechen, sich wohlwollend zu sehen, Kompromisse zu finden.“ Es geht um Wünsche, Bedürfnisse, Wertschätzung. Auch Trennendes soll offen genannt werden: „Das trennt ja nicht wirklich, das verbindet auch“, sagt Kistner.

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Zwischen den Beratungen zu dritt sollte das Paar kleine Aufgaben erfüllen. „Man muss empfinden, dass kleine Veränderungen möglich sind“, sagt Annette Kistner. Dabei ist eine Beratung, auch bei einem kirchlichen Träger, immer ergebnisoffen. „Einige Paare“, wissen die Berater, „trennen sich.“ Und manche sind aus der Pandemie auch gestärkt hervorgegangen. Humor war oft hilfreich, weiß die Familientherapeutin Annette Kistner. Manchen Paaren habe auch das Fehlen des „Optimierungsdrucks“ gut getan, dass dieses ewige „Man müsste mal“ wegfiel. „Manche Paare sagen auch, wir haben uns neu gefunden, wiederentdeckt. Diese Paare sind gestärkt aus der Krise hervorgegangen.“