Mülheim. Wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte arbeiten im Mülheimer Rathaus? Fehlt es an kultureller Kompetenz? Der Integrationsrat hakte nach.

Wie gut ist die Mülheimer Verwaltung für die kommenden Integrationsherausforderungen gerüstet – wie viel Vielfalt steckt im Rathaus selbst? Der Integrationsrat hat die Verwaltung darum gebeten, die Ausbildungssituation der vergangenen vier Jahre darzulegen und dabei auch den Anteil der Azubis mit Migrationsgeschichte.

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Aktuell haben 20 von 59 Azubis einen Migrationshintergrund

Rein statistisch hat sich hier in den vergangenen Jahren einiges getan: 2017 lag der Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund bei gerade einmal 16,7 Prozent – konkret sieben von 42. Im Jahr 2019 lag der Anteil unter den Azubis bei 29,4 Prozent, doch hatte die Stadt auch deutlich weniger eingestellt. Zehn von nur 34 Azubis hatten einen Migrationshintergrund.

2021 hingegen steigerte sich der Anteil nicht nur im prozentualen Verhältnis, sondern auch in konkreten Zahlen: Von 59 Azubis sind es derzeit 20 – das ist eine konkrete Verdoppelung, prozentual haben 33,9 Prozent der Azubis eine Migrationsgeschichte. Und dabei sind aktuell sogar noch sechs Stellen unbesetzt.

Die Rote Karte gegen Rassismus zeigte der Integrationsrat im vergangenen März angesichts von Schmierereien an der Hausfassade einer Speldorfer Familie.
Die Rote Karte gegen Rassismus zeigte der Integrationsrat im vergangenen März angesichts von Schmierereien an der Hausfassade einer Speldorfer Familie. © Integrationsrat Mülheim | Hasan Tuncer

CDU lobt: „Verwaltung hat ihre Hausaufgaben gemacht“

Also Häkchen dran? Die Verwaltung habe ihren Auftrag quasi übererfüllt, stellte die AfD in der vergangenen Sitzung des Integrationsrats in den Raum. Und verglich dies mit dem statistischen „Ausländeranteil“ in Mülheim von 15,9 Prozent, weitere 8,8 Prozent sind Deutsche mit einer weiteren Staatsangehörigkeit. Beide zusammen kommen auf 24,7 Prozent.

Und liegen damit also niedriger als die aktuelle Azubi-Quote. Auch Heiko Hendriks (CDU) lobte, in der Verwaltungsquote spiegele sich die „Lebenswirklichkeit von Mülheim“ wider, die Stadt habe „ihre Hausaufgaben gemacht“.

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Ließ der Streit um die Rolle von Migranten in der Corona-Pandemie kulturelle Sensibilität vermissen?

Doch manches an der aktuellen Lebenswirklichkeit in Mülheim lässt daran auch Zweifel aufkommen. Nicht immer schien in der Corona-Pandemie die erforderliche kulturelle Sensibilität im Rathaus erkennbar zu sein: In der Debatte um hohe Inzidenzzahlen in bestimmten Mülheimer Stadtteilen noch im April, ließ etwa Stadtdirektor Frank Steinfort mit einigem Frust durchblicken: „Wir erleben dort Desinteresse, Sprach- und Kulturprobleme sowie Bildungsschwäche“.

Steinfort sprach damals von „Versäumnissen der Integrationspolitik“ und einer „Parallelkultur“, die die Stadt nicht erreiche. Beifall gab es dafür vom konservativen und rechten Lager, die ihre Wahrnehmung und nicht zuletzt Vorurteile von hochinfektiösen Ausländern bestätigt sahen.

Und viele Mülheimer mit Migrationsgeschichte sahen sich durch die Anmerkungen aus der Verwaltung und anschließende Debatte plötzlich stigmatisiert, der Integrationsrat kritisierte „Pauschalurteile“ auch in der Verwaltung. Sein Einwand: Faktoren wie Arbeitsverhältnisse, Mobilität, Wohnungsdichte, Armut seien dabei zu wenig betrachtet worden. Die Debatte ist inzwischen beigelegt, ein Runder Tisch erarbeitet Strategien, wie man unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und „Milieus“ erreichen kann.

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Integrationsratvorsitzender Hasan Tuncer: „Die Quote allein sagt wenig aus“

Doch hätte die Verwaltung von vorneherein anders gehandelt, wenn dort mehr kulturell diverse Menschen arbeiteten? Hätten sie eher den Blick für kulturelle, soziale und bildungsrelevante Unterschiede gehabt – und entsprechende Strategien entwickelt? „Die Quote allein sagt wenig aus“, zieht Hasan Tuncer, Vorsitzender des Integrationsrates, erste Schlüsse aus den Zahlen. „Die Frage ist, ob Mitarbeiter der Verwaltung sich für das Thema engagieren, sie sensibel sind und die interkulturelle Kompetenz haben für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen.“

Wie „Migrationshintergrund“ definiert ist

Zur Bevölkerung mit Migrations­hintergrund zählen alle Personen, die die deutsche Staats­angehörigkeit nicht durch Geburt besitzen oder die mindestens ein Elternteil haben, auf das dies zutrifft. Personen, die neben der deutschen eine zweite Staatsangehörigkeit besitzen, werden in Mülheim dazu gezählt.

Im Einzelnen haben folgende Gruppen nach dieser Definition einen Migrationshintergrund: Ausländerinnen und Ausländer, Eingebürgerte, (Spät-) Aussiedlerinnen und (Spät-) Aussiedler, Personen, die durch die Adoption deutscher Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben, sowie die Kinder dieser vier Gruppen.

Da die Angabe des Migrationshintergrundes bei der Bewerbung freiwillig ist, vermutet die Stadt, dass die Zahl der Bewerber mit Migrationshintergrund höher liegt als erfasst. Aktuell liegen bei den Auszubildenden türkische, libanesische, polnische, russische, ukrainische, tamilische, irakische, kamerunische, ecuadorianische, afghanische, kosovarische, bosnisch-herzegowinische oder serbische Migrationshintergründe vor.

Doch wie viele Mitarbeiter der Verwaltung haben einen Migrationshintergrund? Dazu führt das Rathaus keine Statistik. Auch im Anforderungsprofil für Auszubildende spielt Migration und kulturelle Kompetenzen offenkundig kaum eine Rolle. Schon sprachlich fällt auf: Seit vielen Jahren bewirbt die Stadt ihre Ausbildungsplätze mit der Formulierung „wir streben an, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt unserer Region auch bei den Beschäftigten widerspiegelt“.

Gleichberechtigung von Mann und Frau wird „gefördert“, Migrationshintergrund „begrüßt“

Doch während die Gleichstellung von Mann und Frau „aktiv“ gefördert wird und „schwerbehinderte Menschen“ bei gleicher Eignung „bevorzugt berücksichtigt“ werden, wird die Bewerbung von „jungen Menschen mit Migrationshintergrund“ nur „begrüßt“. Angesichts einer zunehmend diverseren Mülheimer Bevölkerung könnte das zu wenig sein – der Integrationsrat will das Thema weiter beleuchten.

Die Frage der kulturellen Kompetenz sollte – aus Sicht Tuncers – bei der Ausbildung von Verwaltungsmitarbeitenden eine größere Rolle spielen: „Wir leben in einem Einwanderungsland, wir haben in den vergangenen fünf Jahren viele neue Bürger bekommen – ich erwarte von Lehrkräften, der Politik, von Menschen in Führungspositionen und auch in der Verwaltung, dass sie diese Kompetenzen erbringen.“