Mülheim. Die Tarifverhandlungen im Einzelhandel stehen bevor. Die Gewerkschaft Verdi verdeutlicht ihre Forderungen. Was eine Netto-Kassiererin davon hält.
Sie erhielten während der Pandemie als Helden hinter den Supermarkt-Kassen Applaus, jetzt sollen die Beschäftigten im Einzelhandel unter anderem 4,5 Prozent mehr Gehalt bekommen. So lautet eine Forderung der Gewerkschaft Verdi. Die Tarifverhandlungen starten am Mittwoch, 5. Mai. Am Dienstag äußerten sich auch Beschäftigte aus Mülheim und Essen zu ihrer Situation.
„Mit Geld ist das nicht aufzuwiegen, was wir in den vergangenen Monaten geleistet haben“, sagt sie. 49 Jahre ist sie alt, arbeitet seit 31 Jahren im Supermarkt, sitzt in einer Essener Netto-Filiale an der Kasse.
Echte Anerkennung fehlt manchen Beschäftigten
Wie es ihr geht nach über einem Jahr Arbeiten an vorderster Front während der Corona-Pandemie? „Es geht so. Man schlägt sich so durch“, sagt sie schulterzuckend. Sie wurden aber doch als Helden der Pandemie gefeiert. Da lächelt sie milde und sagt: „Vom Klatschen kann ich meine Miete nicht bezahlen.“
Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, zu groß ist die Sorge vor Repressalien durch ihren Arbeitgeber, vor Ärger mit dem Vorgesetzten. Überhaupt: „Von oben“ fühlt sie sich kaum wahrgenommen, ihren Einsatz während der Monate mit Corona, dem unsichtbaren Gegner auf der anderen Seite des Kassenbandes, zu wenig wertgeschätzt. Warengutscheine und ermäßigtes Einkaufen in den eigenen Filialen habe es vom Arbeitgeber als Anerkennung gegeben, auf ehrlich ausgesprochenen Dank warte sie bis heute vergebens.
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Verdi übergibt Forderungen der Tarifverhandlungen an Handelsverbandschef
Verhandlungen starten
Die Tarifverhandlungen beginnen am Mittwoch, 5. Mai, und werden von den Verhandlungsparteien in Düsseldorf ausgetragen.
„Wir wollen mit örtlichen Aktionen unseren Forderungen Nachdruck verleihen. Wir hoffen, dass dieses Zeichen bei den Arbeitgebern des Einzelhandels ankommt!“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Kay Lipka.
Weitere Informationen auf der Homepage der Gewerkschaft: ruhr-west.verdi.de.
Um auf die Situation von Beschäftigten im Einzelhandel aufmerksam zu machen, steht die Kassiererin gemeinsam mit einer Handvoll Verdi-Vertretern vor dem Sitz des Handelsverbandes Ruhr in Essen und übergibt dessen Geschäftsführer Marc Heistermann die Forderungen, die auch in den am Mittwoch, 5. Mai, startenden Tarifverhandlungen geäußert werden. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi NRW) fordert für die rund 700 000 Beschäftigten 4,5 Prozent plus 45 Euro mehr Gehalt, Lohn und Auszubildendenvergütung sowie ein Mindeststundenentgelt von 12,50 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten.
Außerdem verlangt Verdi von den Arbeitgebern des Einzelhandels die gemeinsame Beantragung der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge. Das bedeutet, dass alle Betriebe Tariflohn zahlen müssen – egal, ob sie Mitglied im tarifgebundenen Arbeitgeberverband sind oder nicht.
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Gewerkschaft sieht Umsatzplus im Einzelhandel
„Der Umsatz ist 2020 im Einzelhandel real um vier Prozent gestiegen. Damit verzeichnet die Branche das elfte Jahr in Folge ein Umsatzplus. Dieses Plus ist keineswegs auf den Internethandel zurückzuführen“, erklärt Verdi-Verhandlungsführerin Silke Zimmer. „Der Lebensmitteleinzelhandel, Baumärkte, Elektrofachmärkte und Möbelmärkte konnten deutliche Zuwächse verbuchen.“
In den verschiedenen Handelsbranchen ist die Situation derzeit sehr unterschiedlich: Während der Lebensmitteleinzelhandel boomt, haben Textilhändler massive Einbrüche erlitten. Das beobachtet auch Ruhr-Handelsverbandschef Marc Heistermann: „Corona bedingt in der Branche eine enorme Spreizung – manche verdienen gerade besonders gut, andere müssen um ihre Existenz bangen.“
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Betriebsratsvorsitzende von Galeria Karstadt Kaufhof im Rhein-Ruhr-Zentrum ist besorgt
Sorgen bereitet die anhaltend eingeschränkte Situation im Handel auch Andrea Grisail, Betriebsratsvorsitzende von Galeria Karstadt Kaufhof im Rhein-Ruhr-Zentrum. „Wir können wegen der hohen Inzidenz nicht mal mehr Click & Meet anbieten.“ Durch die Bundesnotbremse sei der Betrieb im Warenhaus wieder auf Kurzarbeit 0 heruntergefahren, erklärt Grisail, was bedeutet, dass nur noch eine Rumpfmannschaft im Haus sei. „Wir versuchen alles, um den Laden am Laufen zu halten“, sagt die Betriebsratsvorsitzende und nennt ein Beispiel: „Die Kollegen, die sonst für die Logistik zuständig sind, packen jetzt die Pakete, die online bestellt werden.“
Befürchtung: Fehlender Umsatz bedeutet schnell weniger Arbeitsplätze
Sie gehe zwar nicht davon aus, betont Grisail, dass ihr Arbeitgeber in Folge der Corona-Krise Filialen schließt, aber: „Fehlender Umsatz bedeutet auch schnell weniger Arbeitsplätze." Eine Gratifikation als Dank für Anstrengung und Flexibilität während der Pandemie erwartet Grisail indessen nicht: „Die Historie des Unternehmens mit den vielen Krisen in den vergangenen Jahren spricht dagegen.“
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Umso wichtiger sei es, dass die Forderungen der Gewerkschaft in den Tarifverhandlungen im Einzelhandel durchgesetzt werden. Die Netto-Kassiererin aus Essen nickt. Selbst wenn sie ein Arbeitsleben lang als Verkäuferin arbeite, bekomme sie nicht mal einen Rentenpunkt zusammen, selbst in Vollzeit nicht, verdeutlicht Kay-Guido Lipka, Gewerkschaftssekretär im Verdi-Bezirk Ruhr-West.