Gelsenkirchen. Die Sorge um die von Modeläden geprägten Innenstädte wächst. Denn Textilanbieter leiden besonders unter der Corona-Pandemie. Gibt es Auswege?
Fritz Jaeckel neigt nicht zu Übertreibungen. Die Lage im Einzelhandel macht dem Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen aber sichtbar große Sorgen. „Wir stehen vor einer Kernschmelze“, sagt er am Freitag bei der Vorstellung des „Handelsreports“. Die Folgen der Corona-Pandemie trieben die Ladenbetreiber schier „in die Verzweiflung“, meint Jaeckel.
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Um die Kernschmelze noch in letzter Minute abzuwenden, müsse man „klug gegensteuern“, fordert der IHK-Manager. Die Ruhrgebiets-Kammern haben sich am Freitagmorgen virtuell zahlreiche Experten eingeladen, um über Auswege zu diskutieren. Die Alarmsignale für die Innenstädte im Ruhrgebiet, am Niederrhein und im Märkischen Kreis hat Jörg Lehnerdt von der BBE Handelsberatung in einem umfassenden Report zusammengefasst: Die Zahl insbesondere der kleineren Läden und damit die Verkaufsfläche schrumpfen. Als stabil erwiesen sich im vergangenen Jahr die Geschäfte mit mehr als 650 Quadratmetern Fläche. Unter ihnen viele Mode-Anbieter, die gerade Insolvenzverfahren hinter sich haben oder mitten in der Sanierung stecken. „Modeunternehmen, Innenstädte und Einkaufscenter sind die Verlierer der Corona-Pandemie“, sagt der Handelsexperte nüchtern.
Karstadt Kaufhof größter Modehändler im Revier
Dabei zeigt sich Lehnerdt durchaus zufrieden, dass der Konzentrationsprozess im Modehandel der Region nicht so stark fortgeschritten sei wie in andernorts. Größter Anbieter ist den Zahlen der BBE zufolge die Essener Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof mit einem Marktanteil von 22 Prozent. Mit weitem Abstand folgen C&A (elf Prozent), Kik (8), H&M (6), P&C (5) und Sinn (4), TK Maxx (3), Adler (3), Decathlon (2) und Primark (2). Ein Drittel der Textilanbieter mit Geschäften über 650 Quadratmeter Größe sind mittelständisch und gehören keinen Ketten an.
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Wie diese Filialisten den wochenlangen Lockdown weggesteckt haben, ist unklar. Galeria Karstadt Kaufhof etwa hat sich vor einigen Wochen einen Staatskredit gesichert. Doch nicht nur die Pandemie setzt die Textilisten unter Druck. Der Handelsreport kommt überdies zu dem Schluss, dass Lebensmittel- und Drogeriemärkte den großen Kauf- und Warenhäusern den Rang als Kundenmagneten für Innenstädte und Einkaufszentren abgelaufen haben.
Aldi, Lidl und Netto legen kräftig zu
„Warenhäuser und SB-Warenhäuser verlieren weiter an Bedeutung, während Fachmärkte, Verbrauchermärkte und Discounter deutlichen Flächenzuwachs verzeichnen“, heißt es in der Analyse. „Allein Aldi, Lidl und Netto haben in den vergangenen zwei Jahren im Ruhrgebiet 40.000 Quadratmeter dazugewonnen“, sagt Lehnerdt. Dabei ging die gesamte Verkaufsfläche in der Region leicht auf knapp sieben Millionen Quadratmeter zurück.
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Fachmarktzentren wie der Indupark in Dortmund laufen nach Einschätzung der BBE den Innenstädten zunehmend den Rang ab. Unter den Nahversorgern mit Verkaufsflächen über 650 Quadratmetern haben Rewe (17 Prozent), Edeka (13) und Aldi (11) die größten Anteile. Es folgen Lidl, Kaufland und Netto mit jeweils zehn Prozent, sowie Real (8), Penny (4), Trinkgut (3) und dm (2).
Regionale Unterschiede bei der Kaufkraft
Die immer weiter wachsende Bedeutung des Onlinehandels, aber auch die vergleichsweise schwache Kaufkraft im Ruhrgebiet setzen den Innenstädten obendrein zu. Im Kernruhrgebiet liegen allein Mülheim, Dinslaken und Hattingen über dem bundesweiten Niveau, während Duisburg, Gelsenkirchen und Herne darunter liegen. Die höchste Leerstandsquote unter den Zentren der Städte an der Ruhr weist Essen auf.
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Was tun? Jan Heinisch kennt beide Seiten. Der CDU-Politiker war 13 Jahre lang Bürgermeister von Heiligenhaus, bevor er Staatssekretär im NRW-Bauministerium von Ina Scharrenbach und damit auch Herr über Töpfe für die Stadtentwicklung wurde. „Die Innenstädte haben sich zu sehr vom Handel abhängig gemacht“, sagt Heinisch. Um wieder mehr Leben in die Citys zu bringen, brauche es mehr Gastronomie-, Kultur- und Freizeitangebote.
Antragsfrist für NRW-Programm endet am 30. April
„Man muss neue Nutzungen ausprobieren“, fordert der Staatssekretär. Um ungewöhnliche Projekte zu unterstützen, hat die Landesregierung im vergangenen Jahr das 70 Millionen Euro schwere Förderprogramm „Zukunft Innenstadt NRW“ aufgelegt. Es sieht unter anderem vor, dass Stadtverwaltungen leere Ladenlokale anmieten können. Nach Angaben Heinischs wurden 40 Millionen Euro bereits bewilligt. Mit ihren Anträgen für die restlichen 30 Millionen müssen sich die Kommunen beeilen. Die Frist endet am 30. April.