Mülheim. Mülheims Krisenstabsleiter hatte Probleme in Parallelgesellschaften als Ursache hoher Infektionszahlen benannt. Im Stadtrat wurde er deutlich.

Krisenstabsleiter und Stadtdirektor Frank Steinfort hat in der Sitzung des Stadtrates am Donnerstag noch einmal deutliche Worte gefunden zu seiner Feststellung, dass die aktuell hohen Infektionszahlen seiner Sicht nach auch darin begründet sind, dass ein Teil der Menschen mit Migrationshintergrund die gebotene Vorsicht im Alltag vermissen lasse, jene Bürger von der Kommunikation des Krisenmanagements offenbar nicht erreichbar seien.

Steinfort hatte dies in dieser Woche im Gespräch mit dieser Redaktion öffentlich ausgesprochen. Zuvor hatte die Stadt, nachdem diese Redaktion ihre Rechte nach dem Informationsfreiheitsgesetz geltend gemacht hatte, erstmals Daten veröffentlicht, die Inzidenzwerte nach Stadtteilen aufschlüsseln. Insbesondere die Stadtbezirke Styrum, Altstadt I und II wiesen dabei außerordentlich hohe Werte auf.

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Krisenstabsleiter Steinfort kontert Kritik aus dem Integrationsrat

SPD-Fraktionsvorsitzende Margarete Wietelmann zeigte sich im Stadtrat nun „aufgeschreckt“. Sie hinterfragte auch die Zusammenarbeit in der Sache mit dem Integrationsrat, dessen Vorsitzender Hasan Tuncer dem städtischen Krisenmanagement als Reaktion auf Steinforts Äußerungen in dieser Woche vorgeworfen hatte, „die fehlgeschlagene Integrationspolitik“ zu spät in den Blick genommen zu haben. Der Integrationsrat habe dem Krisenstab dafür auch Tipps an die Hand gegeben.

Steinfort zeigte sich im Stadtrat vorbereitet, zitierte aus einer Mail von Tuncer, in der dieser etwa mehrsprachige Aufklärung, die es jetzt (erneut) geben soll, Großflächen-Plakate, mehrsprachige Videos, mehr Kontrollen an Treffpunkten und gar Sperrungen von „Sammelplätzen“ vorgeschlagen hatte.

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Mehr Kontrollen? „Unsere Leute sind schon von morgens bis abends unterwegs“

Großplakate – zu teuer für die Stadt. Videos – zu teuer, zu aufwändig in der Produktion. . . Wo seien denn Sammelplätze in Styrum, die man hätte sperren können?, fragte Steinfort, ohne von der Politik eine Antwort zu erwarten. Mehr Kontrollen des Ordnungsamtes? „Unsere Leute sind schon von morgens bis abends unterwegs.“

Nach entsprechenden Aktionen im Vorjahr sollen in Kürze über die Hauspost 25.000 mehrsprachige, mit Piktogrammen versehene Infoblätter an Haushalte in Stadtteilen mit besonders hohen Infektionszahlen verteilt werden. Auch über Kinder in Schulen und Kitas will die Stadtverwaltung versuchen, ihre Botschaften an die Menschen in den stark betroffenen Stadtteilen zu bringen.

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Stadtdirektor Steinfort vor Gesprächen mit Imamen: Wir müssen nach vorne schauen

Steinfort wollte die Kritik Tuncers auch aus einem anderen Grund nicht unkommentiert lassen. Dafür zückte er die Tagesordnungen der vergangenen vier Sitzungen des Gremiums. Nicht einmal habe der Integrationsrat das Thema Corona auf seine Tagesordnung platziert. Steinfort führte auch eine hohe Arbeitsbelastung in der Führungsriege des Rathauses an, bekanntlich sind nur vier der fünf Dezernentenstellen aktuell besetzt. Die Corona-Pandemie sei aber derart beanspruchend, dass „wir eigentlich sechs Dezernenten haben müssten, um das alles zu schaffen, was zu schaffen ist“.

„Wir müssen über den Punkt hinwegkommen, was nicht funktioniert hat. Wir müssen nach vorne schauen“, sagte Steinfort. Mit Blick auf Teile der Bürger mit Migrationshintergrund, die man mit der Corona-Kommunikation nicht erreiche, gelte es, „mehr miteinander zu reden“, verwies der Stadtdirektor darauf, dass er in Kürze Gespräche mit Imamen führen will, um diese möglichst mit ihrem Draht in die migrantischen Gemeinschaften als Multiplikatoren einspannen zu können.

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„Das kann man, wenn man die Pandemie bekämpfen will, nicht ignorieren“

Steinfort rechtfertigte gegenüber der Politik, die dieses im breiten Konsens auch guthieß, seine klaren Worte zu Beginn dieser Woche. Als Krisenstabsleiter beobachte er seit einem Jahr das Geschehen. Schon seit Monaten habe es Hinweise etwa aus der Kontaktnachverfolgung beim Gesundheitsamt gegeben, dass das Infektionsgeschehen sich weit überproportional auf Migranten-Milieus konzentriere, die die Stadt mit ihrer Kommunikation offenbar nicht erreiche. „Die hießen eben nicht alle Müller oder Meier“, verwies Steinfort auch auf Rückmeldungen der Krankenhäuser zur Belegung der Intensivbetten. „Statistiken belegen das. Das kann man, wenn man die Pandemie bekämpfen will, nicht ignorieren“, so Steinfort.

Schweigeminute im Stadtrat für die Corona-Toten

In einer Schweigeminute hat der Stadtrat am Donnerstag den mittlerweile 212 Mülheimern gedacht, die mit oder an einer Corona-Infektion gestorben sind.

„Es war ein einsamer Tod, grausam, oft ohne Abschied, ohne vertraute menschliche Nähe und Berührung auf dem letzten Weg. Wir sind in Gedanken bei ihren Angehörigen, Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollgen und Nachbarn, die einen furchtbaren Verlust tragen müssen und eine schmerzliche Leere empfinden“, so OB Marc Buchholz.

„Wir müssen sprechfähig werden“, will sich der Stadtdirektor nicht als Rassist darstellen lassen, was nun mitunter passiert. Wenn man Karneval und Gottesdienste untersage, sei nicht nachzuvollziehen, warum es ein Sprechverbot über den Ramadan geben solle. „Der Ramadan enthält nun mal die Gewohnheit, sich mit Familien und Freunden in der Wohnung zu treffen.“ Die Sorge sei berechtigt, dass auch der Ramadan die Infektionswerte weiter steigen lasse.

„Wer das zum Tabu macht, ist schon selbst das Problem“

„Wer das zum Tabu macht, ist schon selbst das Problem“, richtete Steinfort deutlich Worte an die Politik, nicht aber ohne einen speziellen Hinweis an AfD-Ratsherr Dominic Fiedler, der Steinfort wie andere im Plenum Zustimmung signalisiert hatte: „Ich bin da nicht politisch. Ich versuche, die Probleme zu lösen.“ OB Marc Buchholz sicherte Steinfort volle Rückendeckung zu. Er sei dankbar, dass Steinfort nun das Gespräch mit Imamen suche.