Mülheim. In einem Mülheimer Krankenhaus liegt eine schwer pflegebedürftige Frau. Sie soll entlassen werden – aber wohin? Darüber gibt es heftigen Streit.
Menschliche Dramen spielen sich in jedem Krankenhaus ab, in jedem Moment. Das Drama um Fatma Yumsak, die im Evangelischen Krankenhaus Mülheim liegt, hat sich in den letzten Tagen zugespitzt. Die 67-Jährige soll entlassen werden, doch ihre Tochter wehrt sich mit allen Mitteln dagegen. Weil nicht klar ist, wo und wie die schwer pflegebedürftige Frau versorgt werden kann.
Fatma Yumsak wurde Ende August mit einer Lungenentzündung ins EKM eingeliefert. Seit zehn Jahren leidet sie an Parkinson, „sie baut von Tag zu Tag ab“, berichtet die Tochter Adalet Demircan (29), die auch gesetzliche Betreuerin ihrer Mutter ist. „Sie kann nicht mehr schlucken, sie muss von Fachpersonal bis zur Lunge abgesaugt werden, sonst besteht Erstickungsgefahr.“ Immer wieder sei die Seniorin in höchster Atemnot ins Krankenhaus gebracht worden, mit Rettungsdienst und Notarzt.
Großes Dekubitusgeschwür schon bis auf die Knochen
Durch das pausenlose Liegen hat die 67-Jährige inzwischen ein großes, offenes Dekubitusgeschwür entwickelt, das schon bis auf die Knochen reicht. Sie müsste stündlich umgelagert werden. „Ich schaffe das nicht alleine“, klagt die Tochter. Bislang habe sie ihre Mutter, die den höchsten Pflegegrad fünf hat, selbst betreut, drei Mal täglich unterstützt von einem ambulanten Pflegedienst. Gegen das EKM erhebt sie schwere Vorwürfe: Die offene Wunde würde nicht behandelt, Parkinson-Medikamente würden nicht regelmäßig gegeben.
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Das Krankenhaus möchte Fatma Yumsak jetzt entlassen, berichtet die Tochter. „Sie soll entweder ins Seniorenheim oder in ein Hospiz.“ Sie selbst versetzt diese Vorstellung geradezu in Panik, denn die Anschlusspflege sei nicht gesichert. „Wenn man sie in ein Seniorenheim verlegt, wird sie ersticken“, befürchtet die Tochter.
Das EKM sieht die Situation grundlegend anders. Auf Anfrage dieser Redaktion teilt eine Krankenhaussprecherin mit: „Die Patientin Fatma Yumsak ist bis heute medizinisch, pflegerisch und menschlich optimal versorgt worden. Seit dem 21. September gibt es keine medizinische Notwendigkeit mehr für einen weiteren stationären Aufenthalt im Krankenhaus. Wir haben der Tochter mehrere Gesprächsangebote gemacht, um ihr den medizinischen Behandlungsverlauf und die weitere Versorgung nochmals persönlich zu erläutern. Diese wurden von ihr nicht wahrgenommen.“
Weder Palliativbehandlung noch Hospiz gewünscht – „aus religiösen Gründen“
Bei der zuständigen Krankenkasse, der AOK, hat Adalet Demircan eine 24-Stunden-Intensivpflege beantragt, zu Hause. Die Krankenkasse habe den MDK eingeschaltet und den Antrag abgelehnt – drei Mal. „Die AOK möchte meine Mutter palliativ einstufen, also nicht mehr behandeln, sondern nur noch Medikamente geben“, sagt die Tochter. „Ich will das nicht und meine Mutter auch nicht.“
Es existiert eine Patientenverfügung von Fatma Yumsak, in der sie sich alle möglichen lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht, „bis zum letzten Moment“. Handschriftlich steht dort: „Aufgrund meiner religiösen Auffassung möchte ich weder palliativ behandelt werden noch im Hospiz verweilen.“ Darauf beruft sich die Tochter jetzt.
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Mehrere ambulante Pflegedienste haben Fatma Yumsak in jüngster Zeit gesehen, „sie waren schockiert“, sagt die Tochter. Sie sehen sich nicht in der Lage, die Patientin zu betreuen. Das EKM hat in einem ärztlichen Bericht bescheinigt: „Angesichts des Allgemeinzustandes (...) braucht die Patientin (...) eine krankenpflegerische Rund-um-die-Uhr-Betreuung, sofern nicht auf palliatives Vorgehen eingelenkt wird.“ Auch die Mülheimer Hausarztpraxis, die Fatma Yumsak betreut, hat bereits Ende Juli in einem Attest festgehalten: Aufgrund der vorliegenden Erkrankungen sei es notwendig, dass sie „durch intensiv-medizinisches Pflegepersonal 24 Stunden täglich betreut wird“.
Wenn die Krankenkasse „nein“ sagt
Grundsätzlich gilt: Wenn die Krankenkasse eine beantragte Leistung ablehnt, kann gegen diesen Bescheid schriftlich Widerspruch eingelegt werden. Dafür haben die Versicherten einen Monat Zeit.
Falls die Kasse daraufhin einen zweiten negativen Bescheid schickt – Widerspruchsbescheid – kann man innerhalb eines Monats Klage vor dem Sozialgericht einlegen.
Diese Verfahren können einige Zeit dauern, sie sind nach Auskunft der Verbraucherzentrale gerichtskostenfrei, bezahlen muss man allerdings den Anwalt.
Klage gegen die AOK vor dem Sozialgericht läuft
Das Problem ist vielschichtig, die Tochter kämpft an verschiedenen Fronten. Zur Seite steht ihr der Mülheimer Rechtsanwalt Marcus Tewes, Fachmann für Medizin- und Patientenrecht. Er vertritt Adalet Demircan im Verfahren gegen die AOK vor dem Sozialgericht Duisburg: Dort geht es darum, dass die Krankenkasse Fatma Yumsak die Rund-um-die-Uhr-Intensivpflege zu Hause nicht finanzieren möchte. Im Eilverfahren vor dem Sozialgericht hatte die Tochter keinen Erfolg.
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Die AOK Rheinland/Hamburg wollte sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht zu dem Rechtsstreit äußern: „Wir können zu dem Fall aufgrund des laufenden juristischen Verfahrens keine Auskünfte erteilen“, so eine Sprecherin der Krankenkasse.
Gleichzeitig werde die Situation im Krankenhaus immer angespannter, berichtet Rechtsanwalt Tewes. „Die Fallpauschale ist bezahlt. Das EKM versucht die Tochter dazu zu bewegen, die Entlasspapiere zu unterzeichnen. Bisher hat sie das auf mein Anraten hin aber nicht getan. Sie sollte auch auf keinen Fall einer Verlegung zustimmen.“ Mindestens ein Pflegedienst habe, mit Blick auf den extrem fortgeschrittenen Dekubitus der Patientin, einen chirurgischen Eingriff für nötig gehalten. „Wenn Behandlungsbedarf besteht, muss man die Mutter da behalten“, meint der Fachanwalt.
Gespräch mit dem Chefarzt und Kurzzeitpflegeangebot im EKM abgelehnt
Von Seiten des Krankenhauses wurden mehrfach Gespräche auch mit dem zuständigen Chefarzt angeboten, um eine Einigung zu erreichen. Adalet Demircan bestätigt das. Aber sie weigert sich: „Ich möchte das nicht, weil ich unter Druck gesetzt werde“, behauptet sie.
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Nach Einschätzung des Evangelischen Krankenhauses macht sich die junge Frau mit dieser abwehrenden Haltung selbst das Leben schwer: „Selbst Angebote wie eine Unterbringung in der Kurzzeitpflege im EKM hat die Tochter abgelehnt“, erklärt eine Sprecherin. „Dies hätte aus unserer Sicht eine gute Lösung sein können und hätte der Tochter vielleicht auch emotional die Zeit gegeben, sich mit der schwierigen Situation zu arrangieren.“
Anzeige gegen das Krankenhaus erstattet – Anwalt hätte eher abgeraten
Nach Aussage von Adalet Demircan liegt ihre Mutter nun als Privatpatientin im EKM, also auf eigene Rechnung. Die junge Frau wirkt verzweifelt, kommt nicht mehr zur Ruhe. Sie hat vor etwa einer Woche sogar Anzeige gegen das EKM bei der Polizei erstattet. „Wir ermitteln jetzt, ob ein Fehlverhalten vorliegt“, erklärt ein Polizeisprecher, „ob im Krankenhaus etwas schief gelaufen ist“. Mit ihrem Rechtsanwalt war diese Anzeige nicht abgesprochen. Er hätte wohl auch nicht dazu geraten, äußert immerhin mildes Verständnis: „Die Tochter versucht jetzt alles.“
Adalet Demircan bleibt dabei: Ihre Mutter solle im gewohnten Umfeld zu Hause intensiv betreut werden – „bis zu ihrem natürlichen Tod“...