Mülheim. Der katholische Pflegedienst Lindenblüten St. Engelbertus in Mülheim hat rund 30 alten Leuten die Verträge gekündigt. Begründung: kein Personal.

Eine Kündigungswelle gibt es beim ambulanten Pflegedienst Lindenblüten St. Engelbertus in Mülheim: Man trennt sich von rund 30 Senioren, die teilweise lange Jahre betreut wurden. Personalmangel „zwinge“ zu dieser schweren Entscheidung, schreibt der katholische Anbieter. Betroffen ist auch Ingeborg Kraft aus Speldorf, Parkinson-Patientin, 91 Jahre alt.

Ohne Zeitarbeit geht es nicht mehr

Um den Personalmangel abzufedern, arbeitet die Contilia auch mit Zeitarbeitsfirmen zusammen.

„Für den ambulanten Bereich findet man kaum noch Mitarbeiter“, erklärt Geschäftsführer Heinz-Jürgen Heiske. Grund seien die schwierigen Arbeitszeiten mit geteilten Diensten.

Viele Pflegekräfte würden Zeitarbeit bevorzugen, „wenn die Firmen ihnen beispielsweise garantieren können, dass sie zwei freie Wochenenden im Monat haben“.

Ihr Sohn Rainer Kraft (70), mit dem sie zusammenwohnt, der sie „rund um die Uhr versorgt“, ist darüber reichlich verärgert. Elf Jahre lang wurde seine Mutter, die aufgrund ihres Parkinson-Leidens nicht mehr laufen kann, vom katholischen Pflegedienst betreut. Nun kam die Kündigung - ohne Vorwarnung, kritisiert Kraft, ohne persönliches Gespräch. „Innerhalb kürzester Zeit müssen wir jetzt einen anderen Pflegedienst finden.“

Sohn kritisiert: Überraschende Kündigung nach elf Jahren, ohne persönliches Gespräch

Das Schreiben mit dem Briefkopf der Contilia GmbH, zu der die Lindenblüten gehören, ist Ende August bei der Seniorin eingegangen. Gekündigt wird fristgerecht zum 30. September. Vom „gravierenden Personalmangel“ in der Pflege ist dort die Rede, besonders betroffen sei der ambulante Bereich. Bisher sei es der Contilia-Gruppe immer noch gelungen, „durch Synergieeffekte und Zusammenführungen von Einrichtungen ausreichend Personal vorzuhalten“. In den vergangenen Wochen habe man freie Stellen aber nicht mehr besetzen können.

Contilia verspricht Hilfe bei der Suche nach einem neuen Pflegedienst

„Diese Entscheidung fällt uns sehr schwer“, versichern Geschäftsführerin und Einrichtungsleiterin, die die Kündigung unterschieben haben. Und sie versprechen: „Bei der Suche nach einem neuen Pflegedienst sind wir Ihnen gerne behilflich.“

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Rainer Kraft bedauert die Kündigung besonders deshalb, weil seine Mutter immer in guten Händen war. Etwa drei Mal in der Woche benötigt sie Hilfe, vor allem beim Waschen. „Das Personal hat tolle Arbeit geleistet. Wir waren sehr zufrieden und bedanken uns herzlich dafür.“ Den Vertrag haben sie 2009 noch mit dem damaligen ambulanten Dienst des St. Marien-Hospitals geschlossen. Später wurden daraus die Lindenblüten unter dem Dach der Contilia und dieser Anbieter wiederum mit Engelbertus mobil zusammengelegt. „Wenn die Contilia-Gruppe in Zukunft mit ihren Kunden so umgeht“, meint Kraft, „dann hoffe ich nicht, jemals auf ein Pflegeheim von Contilia für meine Mutter angewiesen zu sein.“

Ambulante Pflege bald nur noch im Umkreis von etwa einem Kilometer

Harte Worte. Tatsächlich hängen die Kündigungsschreiben an Ingeborg Kraft und viele andere Senioren mit den stationären Einrichtungen der Contilia zusammen. Mit einer Gesamtstrategie des Unternehmens: Ambulante Pflege soll künftig nur noch rund um die vier katholischen Seniorenstifte in Mülheim angeboten werden, in einem Umkreis von etwa einem Kilometer. Die Contilia will dazu Gesamtversorgungsverträge mit den Pflegekassen schließen. Schattenseite dieses Modells: Wer weiter weg wohnt, muss sich einen anderen Anbieter suchen.

Contilia-Geschäftsführer Heinz-Jürgen Heiske verspricht: „Wir lassen niemanden ohne Versorgung zurück.“  
Contilia-Geschäftsführer Heinz-Jürgen Heiske verspricht: „Wir lassen niemanden ohne Versorgung zurück.“   © Contilia

Der zuständige Contilia-Geschäftsführer, Heinz-Jürgen Heiske, drückt es so aus: „Solitäre ambulante Betriebsstätten haben keine Zukunft mehr.“ Lange Wege zur Wohnung der alten Leute auch nicht: „Wir hatten bei den Lindenblüten teilweise Distanzen von mehr als elf Kilometern.“ Ingeborg Kraft beispielsweise lebt fast an der Stadtgrenze zu Duisburg, weit entfernt vom Sitz des Pflegedienstes beim St. Engelbertus-Stift an der Seilerstraße. Rund 300 Kunden werden von den Lindenblüten laut Weiske aktuell noch versorgt, „wenn wir den Radius eng ziehen, bei einem Kilometer, bleiben noch 40 davon übrig“.

Zusage: „Wir lassen niemanden ohne Versorgung zurück“

So eng sieht es die Contilia derzeit noch nicht: Rund 30 Kündigungen bestätigt der Geschäftsführer. In jedem Fall habe man zunächst geschaut, ob die Versorgung zukünftig von einem anderen Seniorenstift übernommen werden kann. Allen Senioren seien mehrere ambulante Dienste vorgeschlagen worden, die noch neue Kunden annehmen könnten. „Als wir die Kündigungswelle losgetreten haben, wussten wir sicher, es gibt drei oder vier Dienste in Mülheim, die noch Kapazitäten haben“, versichert Heiske. „Wir werden niemanden ohne Versorgung zurücklassen.“

Bei Rainer Kraft und seiner Mutter hat sich vor einigen Tagen tatsächlich die Leiterin von St. Engelbertus gemeldet und Hilfe bei der Suche angeboten. „Mittlerweile kann ich darauf verzichten“, erklärt Kraft. Sie haben selber schon Kontakt zu einem ambulanten Pflegedienst in Speldorf aufgenommen. Eine Mitarbeiterin, mit der sie dort gesprochen haben, war früher bei den Lindenblüten beschäftigt „und hat meine Mutter sogar schon mal gepflegt“. Ein Wiedersehen unter besonderen Umständen...