Mülheim. Cevat Bicici ist Spitzenkandidat von „Wir aus Mülheim“. Das Wählerbündnis will Sprachrohr für die Bürger sein und hofft auf eine Dreierfraktion.
Das Wählerbündnis „Wir aus Mülheim“ wurde im November 2003 gegründet. Es kam bei der Kommunalwahl 2004 gleich mit zwei Mandaten in den Rat, stellte auch Politiker in zwei Bezirksvertretungen. Cevat Bicici (59) war fast von Anfang an dabei und rückte 2013 in den Rat nach. Er ist Spitzenkandidat in der Kommunalwahl 2020.
Wie kamen Sie zu Wir aus Mülheim? Was hat Sie persönlich motiviert, was waren Ihre persönlichen Schwerpunkte?
Cevat Bicici: Durch einen Bekannten, der politisch aktiv war, bin ich zu Wir aus Mülheim gekommen. Überzeugt hat mich hier, dass Wir aus Mülheim parteiunabhängig und parteiübergreifend ist. Hier haben sich Menschen verschiedener Anschauungen zusammengeschlossen. Für mich ausschlaggebend war die antirassistische und antifaschistische Grundlage. Ausgeschlossen waren also Rassisten, Faschisten, religiöse Fanatiker.
Ich komme aus einer Familie, die immer politisch interessiert war. Ich habe immer gesagt, wenn man Pflichten hat, muss man auch die Rechte ausüben. Diese Rechte habe ich natürlich erst ausüben können, nachdem ich die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen habe, das war im Jahr 1999.
Zur Person: Cevat Bicici
Cevat Bicici ist 59 Jahre alt und gelernter Feinmechaniker. Seit vielen Jahren engagiert sich d er Styrumer in der Mülheimer Kommunalpolitik, seit sieben Jahren sitzt er im Mülheimer Stadtrat für das Wählerbündnis Wir aus Mülheim.
Cevat Bicicis Familie stammt aus dem Osten der Türkei. Als Jugendlicher kam er mit seinen Eltern nach Deutschland. Bicici lebt seit über 40 Jahren in Mülheim-Styrum und hat zwei erwachsene Kinder.
Wir aus Mülheim sah sich bei der Gründung als Zusammenschluss von Menschen an, die sich nicht mehr von den etablierten Parteien vertreten sehen. Das ist noch immer so?
Ja, und es zeigt sich in den letzten Jahren immer mehr, wie die etablierten Parteien bürgerferne Politik machen, wie in einer Blase. Und die Bürger müssen das austragen: sozialer Abbau, Gebührenerhöhungen, ÖPNV-Kürzungen und so weiter.
Wir aus Mülheim will zusammen mit den Bürgern Politik machen
Wie viele Mitglieder hat Wir aus Mülheim?
Wir haben derzeit 52 Mitglieder und darüber hinaus 20 Unterstützer, die nicht bei uns Mitglied sind, aber Interessierte, die uns immer auch tatkräftig helfen.
Sie sind 2014 für Wir aus Mülheim in den Rat gewählt worden...
Ja. Ich bin aber schon 2013 nachgerückt für den damals verstorbenen Dr. Gerhard Schweizerhof. Bei der Kommunalwahl 2014 konnten wir ein Mandat verteidigen. Unser primäres Ziel ist, keine Stellvertreter-Politik zu machen, sondern mit den betroffenen Menschen zusammen. Wir versuchen, deren Sprachrohr zu sein, bei ÖPNV, gegen Grundsteuererhöhungen, VHS-Initiative, Bürgerentscheide und so weiter. Das spiegelt sich ja auch in unserer breitgefächerten Kandidatenaufstellung.
Sie sind derzeit ein Einzelkämpfer im Rat. Nach Ihnen stehen auf der Liste Uwe Klabuhn, Kirsten Grunau, Wolfgang Budde, Annelie Klemt. Grunau, Klabuhn und Budde kandidieren auch für die Bezirksvertretungen 1 bis 3.
Ich bin zwar derzeit ein einzelner Ratsvertreter, aber wenn die Gruppe nicht hinter mir stehen würde, könnte ich nichts bewegen. Das ist eine gute Gemeinschaft, die das mit Überzeugung macht. Natürlich ist es unser Ziel, als Dreierfraktion in den Rat gewählt zu werden.
Bicici: Wir können keine Rechten im Mülheimer Stadtrat gebrauchen
Mit welchen Parteien will Wir aus Mülheim bei politischen Entscheidungen im Rat kooperieren, mit welchen eher nicht?
Ich habe immer versucht, meine Politik im Rat sachorientiert zu machen, wir diskutieren das immer untereinander. Es geht uns bei den Anträgen anderer Fraktionen um die Sache. Ich schaue immer, ist es zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Mülheim, ist es transparent und keine Hinterzimmer-Politik? Dann stimmen wir auch zu. Was ich definitiv ausschließe: Für mich wird mit rechten Parteien, mit Rassisten und Populisten, keine Zusammenarbeit in Frage kommen.
Sie spielen auf die AfD an, die schon einmal im Rat war und jetzt in Mülheim erneut kandidiert...
Ich habe es ja erlebt, wie die AfD 2014 mit drei Mandaten in den Rat eingezogen ist, sich ein halbes Jahr später zerlegt hat und teilweise in ALFA und BAMH aufgegangen ist. Ich sage es mal so: Man kann die Farbe ändern, aber die Gedanken sind ja die gleichen. Ich kann nur an die Mülheimer Bürgerschaft appellieren: Wir haben so viele finanzielle und soziale Probleme in der Stadt – wir können keine AfD, keine Rechten im Stadtrat gebrauchen.
Ein Wählerbündnis, das sich nur um kommunale Themen kümmert
Wir aus Mülheim kandidiert nicht für das Ruhrparlament?
Nein, das haben wir auch diskutiert. Wir definieren uns als ein kommunales Wählerbündnis, das sich nur um kommunale Themen kümmern will. Das sehen wir als unsere Kernaufgabe, im Rat die Stimme, das Sprachrohr der Bürger zu sein.
Was sind die Wahlziele von Wir aus Mülheim?
Wie setzen uns schwerpunktmäßig für den ÖPNV und für die Erweiterung der Straßenbahnlinien ein. ÖPNV ist nicht nur Daseinsvorsorge, sondern auch ein Aushängeschild für eine Stadt. Mülheim liegt ja genau in der Mitte zwischen Duisburg, Essen und Oberhausen. Wir können den ÖPNV nicht immer weiter abbauen und teure Gutachten bezahlen, die nichts bringen. Die Kürzung von sieben Millionen Euro ist noch immer nicht vom Tisch.
Ganz wichtig ist für uns auch der soziale Bereich, Hartz IV und vor allem der soziale Wohnungsbau. Das ist ein ganz, ganz dringendes Thema. Sehr viele Menschen finden keine bezahlbaren Wohnungen mehr, weil in den letzten Jahren vor allem Wohnungen im hochpreisigen Bereich gebaut wurden. Der sozial geförderte Wohnungsbau wurde in Mülheim über Jahre vernachlässigt – wir liegen unter zehn Prozent.
Welche weiteren Schwerpunkte gibt es in der Politik von Wir aus Mülheim?
Das ist einmal die Bildung. Die früheren Schulschließungen rächen sich jetzt in diesen Corona-Zeiten Wir haben zu wenig Schulräume, um den Schülerinnen und Schülern jetzt die Möglichkeit zu geben, gesund zur Schule zu kommen. Das Maskentragen ist doch keine Lösung auf Dauer.
Weitere Schwerpunkte für unsere politische Arbeit sind der kulturelle Bereich und die Integration. Wir wollen über Nationalitäten-Grenzen hinweg für unser Mülheim zusammenarbeiten. Denn wir kommen alle aus Mülheim.
Mülheim-Styrum ist für Cevat Bicici ein lebenswerter Stadtteil
In welchem Wahlbezirk treten Sie an?
Im Wahlbezirk Styrum-Süd. Ich lebe seit 40 Jahren in Mülheim-Styrum und finde, das ist ein wunderschöner, ein lebenswerter Stadtteil von Mülheim. Die Meinung, Styrum sei in Teilen gar eine „No-Go-Area“ teile ich absolut nicht. Styrum ist ein guter, sehr lebendiger Stadtteil. Allerdings wurden einige soziale Verwerfungen im Norden konzentriert. Nehmen Sie Arbeitslosigkeit und Hartz IV-Bezug. Das hat einige Probleme mit sich gebracht.
Was halten Sie von der Idee einer Polizeiwache in Styrum?
Man muss sich mit den Menschen beschäftigen. Es reicht nicht, eine Polizeiwache aufzumachen. Das wäre eine Kehrtwende. Wir müssen präventiv arbeiten. Und nicht erst damit anfangen, wenn die Sachen schon passiert sind. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, nützt es auch nichts mehr, wenn ich da eine Hundertschaft herumlaufen habe. Wir müssen die Menschen vor Ort mitnehmen. Wir müssen die Menschen darauf hinweisen, dass man gemeinsam leben muss.
Aber die Probleme leugnen Sie nicht?
Es gibt Probleme in Styrum. Es gibt kulturelle Unterschiede, es sind neue Menschen zugezogen, die ihre Kultur, ihre Lebensart mitgebracht haben. Das kann für einige fremd sein, die damit nicht zurecht kommen. Aber dann liegt es doch an uns, an der Politik und an der Stadtgesellschaft, diese Menschen an die Hand zu nehmen, zu integrieren und zu sagen: Hier kommt ihr in eine Gesellschaft, da gibt es bestimmte Regeln und Pflichten, und man muss sich darein fügen. Es ist mir auch klar, dass das nicht alle wollen. Aber Integration ist keine Einbahnstraße.
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Wenn Sie gute Gründe nennen sollten, warum es sich lohnt, in Styrum zu leben, was fällt Ihnen spontan dazu ein?
Styrum ist ein sehr grüner Stadtteil. Styrum ist bunt und lebendig. Styrum hat eine sehr junge Bevölkerung. Und eine gute Infrastruktur, was das Einkaufen und auch die Verbindung zu den Nachbarstädten betrifft. Es gibt hier die Feldmann-Stiftung, eine Begegnungsstätte für alle Bürger. Außerdem das Schloss Styrum und das Aquarius Wassermuseum – alle drei sind gute Ziele für Mülheimer Bürger.
Ein Nachteil ist tatsächlich die A 40, die quer durch den Stadtteil geht. Ich kann aber nur jedem empfehlen, mal einen Spaziergang durch Styrum zu machen. Ich biete mich auch gern dafür an.
Der Wahlkampf in Corona-Zeiten ist nicht ganz einfach
Wie läuft denn der Wahlkampf in diesen Corona-Zeiten?
Wir hatten am Samstag unseren ersten Infostand auf dem Kurt-Schumacher-Platz. Es war tropisch, gefühlte 45 Grad. Wir haben nicht die Resonanz gehabt wie in Vor-Corona-Zeiten, die Leute sind verständlicherweise vorsichtig. Aber wir haben einige doch sehr interessante Gespräche geführt, über allgemeine Kommunalpolitik, die finanzielle Situation, über den ÖPNV. Mit der neuen Selbeck-Initiative haben wir auch gesprochen.
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Aber der Wahlkampf ist nicht so einfach in diesen Corona-Zeiten. Wir werden mehr über Briefkasten-Aktionen machen und über die sozialen Medien. Unseren Stammtisch können wir in diesem Jahr leider auch nicht veranstalten. Da habe ich immer sehr viel Feedback bekommen.