Mülheim. Jürgen Abeln aus Saarn tritt als unabhängiger OB-Kandidat für Mülheim an. Warum er für sich Siegchancen reklamiert, verrät er im großen Interview.
Er war nach Diane Jägers (CDU/Grüne), die von ihrer Kandidatur im Frühjahr wieder Abstand genommen hatte, und Alexander von Wrese (AfD) einer der Ersten, die ihren Hut für die OB-Wahl am 13. September in den Ring geworfen haben: Wir trafen den parteilosen Jürgen Abeln zum Interview.
Sie hätten doch ein entspanntes Leben haben können. Jetzt wollen Sie OB einer hoffnungslos überschuldeten Stadt ohne große Gestaltungsmöglichkeiten werden. Wie sind Sie bloß auf diese Idee gekommen?
Zur Person: Jürgen Abeln
Jürgen Abeln ist 45 Jahre alt. Der Familienvater lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Saarn. Mülheim ist seit 17 Jahren seine Wahlheimat.
Der selbstständige Unternehmer betreibt das Business Center Saarn an der Düsseldorfer Straße. Dort können Freiberufler und Selbstständige voll ausgestattete Büroräume auf Zeit anmieten.
Abeln hat für seine OB-Kandidatur die Seite https://www.abeln-waehlen.de geschaltet. Bei Facebook ist er unter facebook.com/juergen.abeln präsent.
Abeln: Da möchte ich Ihnen widersprechen. Ich glaube schon, dass es Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Wenn ich OB werde, würde ich hier einiges ändern. Ich bin jemand, der Herausforderungen liebt. Ich habe mich vor 13 Jahren selbstständig gemacht. Ich war von meiner Idee felsenfest überzeugt, hab mir eine Strategie festgelegt und habe bis heute Kunden in 52 Ländern gewonnen. Ich glaube, dass wir für unsere Stadt viel tun können. Zwar ist der Handlungsspielraum durch den finanziellen Rahmen eingeschränkt. Aber man kann was tun, muss was tun. Schauen Sie allein auf die Kennzahlen: Wir haben allein in der Verwaltung mehr Mitarbeiter pro Einwohner als in anderen Städten und dementsprechend höhere Personalkosten. Dennoch hat man immer wieder den Eindruck, dass Leistungen eingespart werden. Warum ist das so? Da muss man mal rangehen, die Verwaltung auf Effizienz und Kundenfreundlichkeit trimmen.
Erstmals politisch eingemischt haben Sie sich kurz vor dem Bürgerentscheid zum Erhalt der VHS in der Müga. Sie haben damals dazu aufgefordert, gegen die Bürgerinitiative zu stimmen, um Zeit zu gewinnen für die Entwicklung eines tragfähigen Konzeptes für ein Bürgerbegegnungszentrum an Ort und Stelle. Wie würden Sie die VHS-Frage nun lösen?
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Der Bürgerentscheid ist ja da. Also muss man ihn umsetzen. Die Frage ist, wie setzt man ihn um. Den 22-Millionen-Plan zur Sanierung werde ich sofort vom Tisch nehmen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass das die günstigste und einzige Lösung ist. Es gibt drei Säulen, auf denen man es neu gestalten kann. Erste Frage: Was ist der Anspruch, was ist Wunsch, was gibt es an Alternativen, an Kompromissen, die man eingehen kann? Dafür würde ich auch den Architekten Teich in das Gebäude lassen. Er hatte angeboten, ein kostenloses Gegengutachten zu erstellen. Zweitens: Wo können wir noch Unterstützung holen? Gibt es neben Fördertöpfen zum Denkmalschutz noch andere Förderprogramme? Drittens: in die Vermarktung gehen, um Geld von Dritten zu akquirieren. Etwa zu sagen, das Forum heißt jetzt Lieschen-Müller-Forum. Bei Stadien ist das ja auch gang und gäbe.
„Finanzexperte. Macher. Kein Politiker“. So werben Sie für sich. Warum braucht Mülheim einen parteiunabhängigen OB?
Das eine ist, dass einer mal von draußen herangeht, der nicht in diesem Betrieb, der seit Jahren und Jahrzehnten besteht, schon drin ist. So hat man eher die Chance, Strukturen zu ändern. Das zweite ist: Weil wir nach der Wahl keine Partei haben werden, die auch nur annähernd eine Mehrheit hat. Ich gehe davon aus, dass SPD, CDU und Grüne eher gleichauf sein werden.
Woher nehmen sie den Glauben daran, dass es funktionieren könnte, dass ein unabhängiger OB Jürgen Abeln ohne feste Basis im Stadtrat gestalten könnte?
Ich glaube, dass ich eher gestalten kann als ein Kandidat einer Partei, da ich mit wechselnden Mehrheiten arbeiten kann. Ich habe keinen Fraktionszwang, muss also keine Rücksicht auf eine Partei nehmen und habe auch keine natürliche Opposition.
In Saarn haben Sie großflächige Wahlwerbung für sich platziert. Wie finanzieren Sie Ihren Wahlkampf?
Ich muss alles aus meiner eigenen Tasche bezahlen. Ich habe niemanden, der mir den Wahlkampf finanziert. Eine Wahlkampfkostenerstattung gibt es nicht.
Wie viel Geld haben Sie eingeplant?
Eine fünfstellige Summe.
Sie haben jüngst für Aufsehen gesorgt mit einer Forderung, mehr gegen Filz und Korruption in der Stadt tun zu wollen. Wo sehen Sie belastbare Fakten für Ihre Behauptung, es existiere diesbezüglich „ein Mülheimer System“?
Dafür will ich die Meldestelle einrichten, damit dies geprüft werden kann. Aus eigener Erfahrung mit Ämtern, aber auch aus vielen Gesprächen heraus habe ich den Eindruck, dass wir diese Meldestelle brauchen. Wenn sich da nie jemand melden würde und wir durch interne Revision merken, da ist nichts, ist es ja super. Ob das aber eintrifft, werden wir sehen.
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Noch mal: Sie haben eine steile These aufgestellt. Sie haben von einem „Mülheimer System“ gesprochen, als wenn Sie belastbare Beweise hätten, dass es dieses gibt.
Ja, da stehe ich auch zu. Ich bin überzeugt davon, dass es das gibt. Korruption ist nicht nur der Geldkoffer. Das meine ich auch nicht. Korruption ist es auch, wenn jemand ein besonderes Recht zugesprochen bekommt oder gegen jemand Bestimmtes etwas nicht gemacht wird, obwohl es hätte passieren müssen – weil er jemanden kennt. Ich sage Ihnen mal ein konkretes Beispiel: Ich habe das Ordnungsamt darüber informiert, dass ein Anhänger auf einem Gehweg steht, der auch Schulweg ist. Die Kinder konnten nur über die Straße daran vorbeigehen. Wenn das Ordnungsamt dann hinfährt und mir sagt, der Besitzer brauche den Anhänger da und der Anhänger, statt umgestellt zu werden, so noch vier Tage stehen bleibt, dann kann mir keiner erzählen, dass da nicht irgendwo was nicht stimmt. In jeder anderen Stadt wäre er abgeschleppt worden.
Ihren Schwerpunkt setzen Sie auf die Entwicklung einer familien- und seniorengerechten Stadt. Was wollen Sie da konkret bewerkstelligen als OB?
Wir brauchen Strukturen, die dem hohen Altersdurchschnitt der Bürger gerecht werden. Viele Senioren fühlen sich beim ÖPNV alleine gelassen. Busse etwa warten nicht aufeinander. Alle Busse fahren sternförmig in die Innenstadt, man ist dadurch von einem Stadtteil in den anderen eine Dreiviertelstunde unterwegs. Wir müssen barrierefreier werden und mehr auf die Bedürfnisse dieser Gruppe eingehen. Wir brauchen auch Projekte gegen die Vereinsamung. Es gibt in Großbritannien sogar ein Ministerium dafür, das sich viele Dinge überlegt hat, die wir relativ einfach kopieren könnten. Mein Lieblingsbeispiel ist die „Parkbank zum Quatschen“, die man auszeichnen könnte. Jeder kann sie ansteuern. Vielleicht sitzt da ja schon ein anderer. Das ist eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen.
Mehr Qualität in der Kita-Betreuung, mehr Plätze in Kita und Offenem Ganztag, mittelfristig keine Kitagebühren, ein Kindercafé und Jugendzentren in jedem Stadtteil – in Ihrem Programm listen Sie diese kostenträchtigen Vorhaben auf. Sie verschweigen aber, woher das Geld kommen soll.
Grundsätzlich brauchen wir für Mülheim eine Strategie. Wie soll diese Stadt eigentlich in zehn Jahren aussehen? Momentan kann ich keine Strategie feststellen. Meine Strategie ist, dass wir den Trend der Überalterung und damit auf längere Sicht ein Sterben der Stadt verhindern, indem wir die Familie als den strategisch wichtigen Punkt aufnehmen. Wir wollen, dass die Familien mehr Kinder bekommen und Familien aus anderen Städten zu uns ziehen. Idealerweise Familien aus der Mittelschicht, so dass wir auch mehr Steuereinnahmen generieren und mehr Kaufkraft in die Stadt bringen. Die zweifellos kostenträchtigen Maßnahmen können wir als Lockmittel für diese Familien einsetzen. Wir müssen unsere Ausgaben nach einer Strategie auszurichten.
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Was wollen Sie selbst zur Haushaltssanierung beitragen, wenn die Altschuldenhilfe vom Land ausbleibt? Sie haben angedeutet, beim Rathaus-Personal sparen zu wollen.
Nein, das Personal, das wir durch Effizienzsteigerung einsparen können, können wir in anderen Bereich einsetzen, um mehr Leistungen für den Bürger anbieten zu können. Auf der Einnahmenseite, so glaube ich, können wir noch Potenziale heben im Bereich Tourismus. Wir haben mit dem Ruhrtalradweg und zusätzlich dem Radschnellweg ein großes Pfund, mit dem wir wuchern können.
Von der Stärkung des Tourismus profitiert aber nicht sofort der Kämmerer. Die Effekte für den Haushalt wären doch eher marginal.
Bei der Gestaltung der Einnahmen, siehe Grund- oder Gewerbesteuer, sind wir an vielen Punkten schon so weit, dass wir über eine Schmerzgrenze hinaus sind. Wir müssen uns da auf Dinge konzentrieren, wo wir auf indirektem Wege Geld in die Stadt bekommen. Etwa durch die Stärkung des Tourismus oder die Entwicklung einer familienfreundlichen Stadt, mit der wir neue Bürger in die Stadt locken, die Steuern zahlen. Oder wir stärken Gewerbegründungen und Start Ups.
Wo sehen Sie Sparpotenziele?
Wir könnten viele der Entscheidungsträger besser darüber informieren, wo die Ausgaben tatsächlich hinfließen. Keiner kann exakt sagen, warum diese Stadt diese exorbitanten Kosten hat, obwohl sie sich hinsichtlich der der Demografie- und Infrastruktur von anderen Kommunen im Ruhrgebiet nicht sonderlich unterscheidet, im Gegenteil in einigen Bereich sogar besser aufgestellt ist als andere. Ich würde Transparenz schaffen. Teilweise trifft der Rat Entscheidungen, deren finanzielle Auswirkungen nicht klar sind.
Der ÖPNV ist Mülheims selbst zu verantwortender Schuldentreiber. Was wollen Sie tun, um das zu ändern? In Ihrem Programm findet sich nur die Forderung nach einem neuen Liniennetz mit Ringbuslinie und Düsseldorf-Express.
Auch da wieder beide Seiten: die Einnahmen und die Ausgaben. Ich glaube, dass wir die Einnahmen steigern können, wenn wir den ÖPNV attraktiver machen. Etwa mit dem Schnellbus nach Düsseldorf. Es gibt einen Bus nach Düsseldorf. Der braucht aber selbst von Saarn 70 Minuten. Da setze ich mich nicht rein. Auto, Radverkehr und ÖPNV sind miteinander zu verzahnen. Wir sind ja eine sehr autolastige Stadt. Ich bin der Meinung, dass jeder Bürger frei wählen können müsste: Fahre ich mit dem Auto, dem Rad, dem Bus oder dem Zug? Die Auswahlfreiheit habe ich im Grunde gar nicht, weil die Fahrpläne ungünstig sind. Radständer an den Bushaltestellen wären nötig, um mit dem Rad zur Haltestelle und von dort zur Arbeit weiterfahren zu können. Fahrgemeinschaften könnte man durch Park-and-ride-Parkplätze fördern und so weiter. . .
Wo sparen im Ruhrbahn-Betrieb?
Da werde ich mir noch einen detaillierten Überblick verschaffen. Ich glaube, wir müssen noch mal genau schauen, was die Kostentreiber sind und wie die Kosten ohne bedeutende Qualitätsverluste zu senken sind. Alles muss analysiert werden. Was mit dem „Netz 23“ vorgeschlagen wurde, einfach ein Drittel der Fahrleistung zu kappen, ist jedenfalls kontraproduktiv, weil ich damit auch gleich viele Fahrgäste vergrätze. Das wäre ein Teufelskreis, wenn ich in diese Richtung gehe.
Es liegen aber doch zig Gutachten vor, die aufzeigen, wo was im Argen liegt, angefangen beim riesigen Verwaltungsapparat der Ruhrbahn bis hin zur teuren Schienen- und Tunnelinfrastruktur oder zig Leerfahrten auf Strecken, wo kaum einer zusteigt. Problem: Mit der Fusion mit der Essener Evag hat sich Mülheim auf einiges den Zugriff verbaut.
Da darf man sich nicht zu schade sein, Entscheidungen auch wieder zurückzunehmen. Besser einen Schlussstrich ziehen und eine Entscheidung treffen, die uns für die Zukunft mehr bringt. Ein Grundübel ist aber auch im ÖPNV, dass wir keine Strategie haben, wo wir hinwollen. Wenn man keine Strategie hat, kann man auch auf kein Ziel hinarbeiten. Es muss nach der Wahl darum gehen, eine Strategie zu entwerfen, auf die sich die Politik auch einigen kann. Und noch was zur Transparenz: Jeder Bürger und jeder Entscheidungsträger muss wissen, was zum Beispiel die Fahrt vom Friedhof in die Innenstadt pro Fahrgast aus welchen Gründen kostet. Damit jeder sieht, wie auf einzelnen Strecken der Zuschussbedarf ist. Die Gutachten müssten alle öffentlich gemacht werden.
Sie schlagen vor, die Leineweberstraße testweise für den Zweirichtungsverkehr zu öffnen. Blockiert ist dies aktuell allein durch die Fördermittel für die autonome Straßenbahntrasse. Die Stadt müsste Millionen an Fördermitteln zurückzahlen, sollten über die Schienen auch Autos rollen. Oder wollen Sie die Alleebäume fällen?
Diese Vereinbarung kenne ich nicht – und die Bäume würde ich auf jeden Fall stehen lassen. Ich glaube aber, dass wir die Erreichbarkeit der Innenstadt verbessern müssen. Und das schaffen wir nicht, indem wir eine Hauptverkehrsachse als Einbahnstraße belassen.
Noch mal: Sie kommen hier mit einer Forderung, da jubelt mindestens halb Mülheim. Aber es kostet die Rückzahlung von Förder-Millionen oder die Alleebäume. Ist das nicht populistisch?
Das mit den Fördermitteln werde ich überprüfen. Aber es stellt sich doch die Frage, was man eigentlich will. Da sind wir wieder bei der Strategiefrage. Die Leineweberstraße als Einbahnstraße ist eins der größten Übel unserer Innenstadt. Leute von außerhalb sind verloren. Die Frage ist doch: Möchte ich lieber ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken ohne Ende? Das Zurückzahlen von Fördermitteln ist, gesamtwirtschaftlich gesehen, eine Rechte-Tasche-Linke-Tasche-Problem. Man muss mit dem Fördergeber noch mal sprechen, ob solche Regelungen Sinn machen. Ich wäre da sehr kämpferisch, um zumindest einen Kompromiss zu finden. Es kann ja nicht sein, dass das Land in Kauf nimmt, dass einzelne Städte wie Mülheim in der finanziellen Lage verbleiben, in der sie jetzt sind.
Sie wehren sich vehement dagegen, Ihnen im Vorfeld schon jede Chance für die Wahl abzusprechen. Wo sehen Sie Ihren Rückhalt?
Ich habe in den vergangenen Monaten mit vielen Leuten gesprochen und viel Zustimmung und Zuspruch erhalten. Der Stillstand hier in der Stadt ist auch durch die politische Situation bedingt. Ich glaube, dass jemand wie ich, der von außen kommt und mit einem anderen Erfahrungsschatz von draußen draufguckt auf das ganze Geschehen, die Strukturen ändern kann. Genau so jemand wird gebraucht für diese Stadt.