Mülheim. .

Die von Planungsdezernent Peter Vermeulen zugesagte tabulose Prüfung der Innenstadt-Verkehrsführung ist abgeschlossen – und kommt zu dem Schluss: Nur wer mit zusätzlichen Staus leben kann, sollte auf die Idee kommen, Leineweberstraße und/oder den Tunnel unter der Kurt-Schumacher-Platte am Forum für den Zweirichtungsverkehr zu öffnen.

Die Politik hat die Abschlusspräsentation aus dem Amt für Verkehrswesen und Tiefbau schon seit Frühsommer in den Händen, laut Vermeulen hat sich bisher aber noch keine Fraktion die zehn Alternativen zur Verkehrsführung von den Fachleuten des Technischen Rathauses erläutern lassen bzw. ist mit Rückfragen auf das Amt zugekommen. Vielleicht liegt es an der Sommerpause, vielleicht auch daran, dass die Materie nicht so unkompliziert ist, wie es manch einem scheint. „Die Komplexität“, sagt Vermeulen, der sich als fachlich nicht qualifizierter Dezernent selbst erst einmal die Zusammenhänge der Verkehrsströme nahebringen lassen musste, „die Komplexität ist in der Bevölkerung kaum vermittelbar.“

Zwischen T-Kreuzung Dicks­wall/Tourainer Ring und Berliner Platz, zwischen Kaiserplatz und Kreuzung Eppinghofer/Parallelstraße haben die Verkehrsplaner alles durchleuchtet, was denkbar wäre, sind aber zum Ergebnis gekommen, dass alleine schon die ohnehin hoch belastete Kreuzung am Berliner Platz kaum noch mehr Verkehr vertragen könnte. Verkehrsplaner Roland Jansen sagt, bei einer Öffnung der Leineweberstraße sei in jedem Fall eine schlechtere Verkehrsqualität zu prognostizieren, bei vier der zehn Varianten gar der Infarkt. Geprüft hatte sein Amt den Zufluss von allen bzw. einzelnen Straßen vom Kaiserplatz aus. Untersucht wurde dabei auch ein Kreisverkehr am Kaiserplatz und eine Öffnung im Verlauf der Leineweberstraße auf zwei Fahrspuren, damit bei einer möglichst kurzen Grünphase möglichst viele Autos über die belastete Kreuzung huschen könnten.

Vier Varianten, so wertet die Stadt, seien machbar, zumindest in den Hauptverkehrszeiten sei dann aber mit Staus zu rechnen. „Die Politik muss eine nicht einfache Entscheidung treffen“, sagt Vermeulen. Möglicherweise komme sie zu dem Ergebnis, dass man mit Staus in den Hauptverkehrszeiten leben könne, weil Ortskundige sich zu Hauptverkehrszeiten darauf einstellen und auf die heute schon vorhandenen (Um-)Wege über Dicks­wall und Tourainer Ring ausweichen könnten.

Die vier laut Verwaltung hierfür geeigneten Varianten für eine Öffnung der Leineweberstraße: a) Zufluss von Eppinghofer und Kaiserstraße, b) nur von der Kaiserstraße, c) nur vom Dickswall, d) nur von Dickswall und Kaiserstraße. Alle möglichen Varianten bedingen laut Prüfung einen zweispurigen Abfluss der Fahrzeuge am Berliner Platz.

Die Stadt bringt etwas anderes in die Diskussion: die Verlegung des unterirdischen Busbahnhofs am Hauptbahnhof und die Öffnung des Tunnels dort für den Individualverkehr.

Was die städtischen Verkehrsplaner in der Innenstadt für möglich halten und was nicht – folgend eine Übersicht.

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© WAZ

Leineweberstraße. Ohne Umbau könnte kein Verkehr gen Schlossbrücke durchgeleitet werden. Drei Möglichkeiten gibt es laut den Verkehrsplanern: a) Wenn der Ost-West-Verkehr über die Bahntrasse rollen würde, müsste der Individualverkehr dennoch kurz vor dem Berliner Platz ausscheren, acht Alleebäume müssten weg (Kosten: 740 000 Euro, ohne Berücksichtigung etwaiger Rückforderungen von Fördermitteln für die Beschleunigung der Straßenbahn an dieser Stelle). b) Eine Fahrspur neben der Baumreihe würde den Gehweg nur noch 1,50 bis 2 Meter breit sein lassen. Zwischen den Bäumen wäre noch Platz für Parkplätze, auch für Anlieferverkehr (800 000 Euro). Die neue Aufenthaltsqualität? Laut Verkehrsplaner Roland Jansen„eine Katastrophe“. c) Die komplette Baumreihe an der Nordseite der Straße wird für eine separate Fahrbahn gefällt (940 000 Euro). Vermeulen rechnet mit Bürgerprotest.


Kaiserplatz.
Die Zufahrt auf die Leineweberstraße über Eppinghofer, Kaiserstraße und Dickswall würde laut Verkehrsprognose in der Spitze 530 Fahrzeuge pro Stunde auf der Leineweber bedeuten – das führe zu einer Überlastung, selbst wenn man die Leineweber zum Berliner Platz hin auf zwei Fahrspuren öffne. Am ehesten denkbar, so die Stadt, sei die Öffnung der Leineweber für Verkehr aus der Kaiserstraße. Bis zu 330 Fahrzeuge pro Stunde rollen dann auf den Berliner Platz zu. Für den Individualverkehr sei diese Variante „wirkungsneutral“. Für die Straßenbahnen bringe sie am Kaiserplatz Nachteile. Überdies denkbarer Zufluss zur Leineweberstraße, aber zu Hauptverkehrszeiten werden Staus vorhergesagt, zusätzlich Nachteile für den ÖPNV: a) Zufluss über Kaiser- und Eppinghofer Straße (425 Fahrzeuge), b) gedrosselter Zufluss nur über den Dicks­wall, c) Zufluss nur über Kaiserstraße und – wiederum gedrosselt – über den Dickswall.

Dickswall. Soll die Leineweberstraße über den Dickswall erreicht werden, müsste an der T-Kreuzung Dicks­wall/Tourainer Ring die Geradeaus-Fahrspur am Dickswall verlängert werden, zurzeit ist dort nur Platz für zwei, drei Pkw. Würde bedeuten, dass der Parkstreifen an der nördlichen Fahrbahn fast komplett weggenommen werden müsste. Denkbar, so Dezernent Vermeulen, sei auch eine nur zeitliche Freigabe zu Schwachverkehrszeiten, etwa zwischen 19 und 6 Uhr – aber davon hätte der Handel ja nichts.

Eppinghofer Straße. Eine zusätzliche Öffnung des Tunnels unter dem Kurt-Schumacher-Platz am Forum für Verkehr Richtung Norden hält die Stadt bei in der Spitze prognostizierten 450 Fahrzeugen pro Stunde weder bei einem Kreisverkehr noch bei einer Ampelkreuzung für machbar. Insbesondere gibt Jansen zu bedenken, dass der Süd-Nord-Verkehr schnell zur Überlastung der Eppinghofer Straße im Bereich zwischen Hauptbahnhof und Aktienstraße führen würde. „Trotzdem könnte man es machen“, sagt Vermeulen. Die Staus zu Spitzenstunden würden wohl für einen „Hygieneeffekt“ sorgen, sagt er. In der Hauptverkehrszeit würden die Kraftfahrer die Durchfahrt wohl nach ersten Negativerfahrungen meiden, „aber es könnte eine gute Option in Nebenverkehrszeiten sein“.


Bustunnel. Perspektivisch geht die Stadt mit einer anderen Idee in die politische Diskussion. Sie schlägt vor, den unterirdischen Busbahnhof in einigen Jahren barrierefrei vor die Hauptpost zu verlegen und den Tunnel freizugeben für den Autoverkehr. Der könne dann weiter über die Bahn- und Friedrich-Ebert-Straße zur Schlossbrücke rollen. „Ein Langfristprojekt“, sagt Jansen.

Dezernent Peter Vermeulen stellt nach dem Studium der möglichen Optionen fest: „Die Verkehrsführung ist erstaunlich gut durchdacht, ist aufgrund ihrer Komplexität wie ein Sudoku höchsten Schwierigkeitsgrades. Aber sie ist nicht akzeptiert. Weil zu viele Verbindungen abgeschnitten sind.“

Vermeulen, von Haus aus Kulturmanager, hat sich von den Verkehrsplanern seines Hauses überzeugen lassen, dass die Leineweberstraße nicht komplett freizugeben sei („Wir haben keine Lösung gefunden“). Er appelliert daher an Politik und Bürger, die Fertigstellung des noch nicht abgeschlossenen Verkehrsumbaus mit ebenerdigem Alleenring (Tourainer Ring/Klöttschen) abzuwarten. „Es braucht eine Festigkeit im Konzept.“ Über den Alleenring seien später sämtliche Parkflächen der City gut erreichbar.

Dennoch will Vermeulen nicht ausschließen, dass doch am einen oder anderen Schräubchen zu drehen oder zumindest etwas auszuprobieren ist, wenn der Alleenring als klar konzipierte Umgehungsstraße möglichst 2016 zu Ende gebaut ist. „Wir kriegen hier aber keine autogerechte Stadt mehr“, sagt er. „Die Innenstadt ist mit dem Auto erreichbar, aber es hat seine Tücken. Es ist die Frage: Welche sind annehmbar? Und wie viel Stau wollen wir uns in der Innenstadt leisten?“

Seine Fachleute, so Vermeulen, hätten nun alle Alternativen präsentiert, nun müsse die Politik entscheiden. Er hoffe, dass darüber nicht der große Streit ausbreche. „Das ist kein Stoff für Wahlkämpfe.“