Mülheim. Zuletzt noch gab er sich wild entschlossen, die tief zerstrittene Mülheimer SPD als Parteichef befrieden zu wollen. Jetzt gibt Cem Aydemir auf.
Eingeweiht war dem Vernahmen nach nur ein ganz enger Kreis an Vertrauten, als Cem Aydemir am Dienstagabend bei einer eilig einberufenen Sondersitzung des erweiterten Parteivorstandes in der Begegnungsstätte Feldmann-Stiftung in Styrum seine Erklärung abgab: Aydemir stellt seine Ambitionen zurück, am 28. September für den SPD-Parteivorsitz zu kandidieren. Der kommissarische Parteichef plädiert derweil für einen radikalen Wechsel in der Führung von Partei und Fraktion.
„Zeit für einen Neuanfang“ – so titelte Aydemir seine Erklärung, die am Dienstagabend nach Vorstandssitzung per Mail an alle Parteimitglieder ging. Seinen Rückzieher von der im Januar angekündigten Kandidatur begründet Aydemir mit dem parteiinternen Streit um den Umgang mit der seit einem Jahr schwelenden Affäre um Oberbürgermeister Ulrich Scholten – dem gewählten Parteivorsitzenden, der sein Parteiamt seit dem Start der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn im September 2018 ruhen lässt und zwischenzeitlich auch seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur verkündet hatte.
Aydemir: Wir müssen uns ändern und annähern
„Alle müssen spätestens nach der Europawahl und dem blamablen Scheitern beim Versuch, den Oberbürgermeister abzuwählen, verstanden haben, dass wir uns ändern und annähern müssen“, so Aydemir. In Mülheims SPD sieht Aydemir weiter „eine absolute Patt-Situation“ im Streit der Lager. Sämtliche Versuche des Parteivorstandes, die Situation unter seiner Führung zu befrieden, seien wirkungslos geblieben, bilanzierte Aydemir für die vergangenen Monate.
Sich selbst traut Aydemir nicht mehr zu, den Konflikt in Partei und Fraktion zu lösen. Er spricht von „Vorbehalten und unverrückbaren Ablehnungen“, die ihm im Unterbezirk entgegengebracht werden.
Partei-Vize: Neuanfang nur mit neuen Köpfen an der Spitze von Partei und Fraktion
Seine Ambition, Mülheims SPD zu führen, sei „so stark wie nie zuvor“, erklärte Aydemir am Dienstag zwar. „Doch ein glaubwürdiger Neuanfang für die Mülheimer Sozialdemokratie kann nur mit neuen, überzeugenden Köpfen an der Spitze von Partei und Fraktion gestartet werden.“
Aydemir geht also voran. Er fordert gleichzeitig aber auch andere auf, ebenfalls Platz zu machen für einen Neuanfang – und nennt namentlich Fraktionschef Dieter Spliethoff, Fraktionsgeschäftsführer Claus Schindler und OB Ulrich Scholten. Nur mit neuen Köpfen könne Mülheims SPD eine stabile Zukunft aufbauen. Seinen Rückzug Ende September von der Parteispitze sieht der 42-Jährige nur als „ersten wichtigen Schritt“.
Plädoyer für einen Generationenwechsel
Bis September will Aydemir weiter für eine Versöhnung ringen. Für die Zeit danach hofft er auf einen Generationswechsel in Partei und Fraktion. „Ich bin sicher, dass die nachfolgende Generation klüger, besonnener und friedvoller handeln wird, als Dieter Spliethoff, Claus Schindler, Ulrich Scholten und ich dies getan haben.“
Aydemir selbst sagte im Gespräch mit der Redaktion, sich selbst öffentlich auf keine Namen festlegen zu wollen, geht es um eine mögliche Kandidatur um den SPD-Parteivorsitz. Vorerst darf munter spekuliert werden, wer in stürmischer See das Selbstvertrauen aufbringt, das Ruder in die Hand zu nehmen.
Wer könnte im September Kandidat für den Parteivorsitz sein?
Hinter vorgehaltener Hand wurden schon in der Vergangenheit einige Genossen gehandelt, denen es zumindest von Teilen der der Partei zugetraut würde, die schwierige Herausforderung anzunehmen, weil sie während der OB-Affäre nicht den harten Frontalkurs gefahren haben sollen. Dann war von Rodion Bakum und Jan Vogelsang als Vertraute der Aydemir-Fraktion ebenso die Rede wie von Sascha Jurczyk, der zur Gruppe derer zählt, die den OB schon früh zum Rückzug hatten bewegen wollen.
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