Mülheim. . Mülheims Partei-Vize Silvia Richter ruft ihre SPD zur Versöhnung mit sich selbst auf. Thomas Kutschaty sieht aber keinen Grund zur Selbstaufgabe.

Mit einem Parteivorsitzenden, der wegen des Ermittlungsverfahrens gegen ihn sein Amt seit Monaten ruhen lässt, optimistisch ins neue Jahr zu gehen, fällt schwer. „2018 war nicht das Jahr der Sozialdemokratie, erst recht nicht das Jahr der Mülheimer SPD“, versuchte die stellvertretende Parteivorsitzende Silvia Richter am Freitagabend beim Neujahrsempfang ihrer Partei im Franky’s am Güterbahnhof zumindest den Schlussstrich zu setzen. Dabei wurde klar: Nicht nur die hiesigen Genossen sind auf der Suche nach der verlorenen Identität.

OB Ulrich Scholten, als Parteivorsitzender auf Stand-by-Modus gesetzt, ist am Freitagabend zur Nebenrolle verdammt. Er lässt es sich aber nicht nehmen, beim Empfang von Partei und Fraktion im Eingangsbereich als Letzter in der Reihe mit den stellvertretenden Parteivorsitzenden Richter und Cem Aydemir sowie Fraktionschef Dieter Spliethoff die Gäste zu begrüßen, teils mit herzlicher Umarmung.

Vize-Parteichefin ruft zur „Versöhnung mit sich selbst auf“

Als die Partei auf dem Podium auf die Herausforderungen des neuen Jahrs blickt, sitzt Scholten still lauschend bei Weißwein und Wasser an einem der vorderen Tische. Als Partei-Vize Cem Aydemir ihn als Ersten der höherrangigen Genossen begrüßt, gibt’s: höflichen Applaus. Derweil schwört Richter die Genossen von der Bühne aus ein, nach dem Jahr der Katastrophen in Stadt und Bund wieder Vorbild zu sein in Sachen Gerechtigkeit und Solidarität. „2019 wird unser Jahr“, sagt sie. Mit Blick auf die Europawahl seien alle demokratischen Kräfte gefordert, um Populisten und Nationalisten die Stirn zu bieten. Für die SPD gehe es 2019 auch „um die Versöhnung mit sich selbst“.

Kam als prominenter Hauptredner nach Mülheim: der Chef der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Kutschaty.
Kam als prominenter Hauptredner nach Mülheim: der Chef der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Kutschaty. © Michael Dahlke

Gastredner Thomas Kutschaty, Chef der SPD-Landtagsfraktion, schließt dort an, will die SPD wieder näher an die Menschen rücken sehen. Wir müssen deutlicher machen, wofür die Sozialdemokratie steht – auch für die Zeit nach der Großen Koalition“, so der Essener. Beste Bildung für alle Kinder, auskömmliche Löhne und faire Arbeitsbedingungen, eine soziale Absicherung im Alter – das sollten Leitmotive für eine SPD-Politik im Jahr 2019 sein. Kutschaty fordert Gebührenfreiheit für alle Kita-Jahre, dass ein 40-Stunden-Job ohne staatliche Aufstockung zum Leben reicht (höherer Mindestlohn), eine Gegenmedikation für „die Risiken und Nebenwirkungen von Hartz IV“, die bei den Menschen Abstiegsängste ausgelöst hätten.

Spliethoff will ans ÖPNV-Netz „mit Fingerspitzengefühl“ ran

Er will eine Kindergrundsicherung. Im Kampf gegen schlechte Arbeitsverhältnisse müsse die SPD wieder als Betriebsrat auftreten, es bedürfe einer Rentengarantie weit über das Jahr 2025 hinaus. Wenn sich die SPD wieder auf ihre Grundwerte besinne, werde sie auch wieder mehr Wähler erreichen, ist sich Kutschaty sicher.

Als letzter Redner nimmt Fraktionschef Spliethoff Mülheim in den Blick. Er verteidigte die satte Grundsteuer-Erhöhung, um an anderer Stelle (Kita, OGS) Standards halten zu können, mahnt finanzielle Hilfen für die Kommunen an. In der Haushaltspolitik habe sich Mülheim „auf den richtigen Weg“ gemacht. Die interfraktionelle Arbeitsgruppe müsse aber „am Ball bleiben“. Im ÖPNV müsse es Einsparungen geben. Das Netz sei „mit Fingerspitzengefühl“ effizienter zu gestalten, „ohne unzumutbare Angebotseinschränkungen“. Spliethoff räumt in diesem Zusammenhang Fehlentscheidungen auch der SPD ein. Die Verkehrskonzepte der 70er-Jahre hätten sich als falsch erwiesen.

Die SPD auf Korrekturkurs, auf der Suche. Auf einem der Stehtische liegen rote Kugelschreiber, halb so lang wie die übliche Handelsware. Ein Genosse schnappt ihn sich, bitter schmunzelnd: „Ein 15-Prozent-Kugelschreiber. . .“