Mülheim. . Mülheims Planungsdezernent spricht sich vehement gegen eine weitere Versiegelung in grünen Randbereichen aus. Zwei Großprojekte gibt es aber.

Essen und Bottrop planen mit der „Freiheit Emscher“ auf 70 Hektar Land gleich einen ganz neuen Stadtteil, Duisburg will mit dem Projekt „6 Seen Wedau“ 3000 neue Wohneinheiten schaffen. Mülheims Baudezernent Peter Vermeulen tritt derweil auf die Bremse, was die Erwartung anbetrifft, in der Stadt ähnlich opulente Projekte aufzurufen. Es gibt zwar zwei visionäre Vorhaben, die aber sind mit allerlei Restriktionen behaftet.

Vermeulens Haltung ist bekannt, auch wenn der Dezernent damit immer wieder in der Politik, auch bei der Wirtschaft aneckt: Keine weitere großflächige Versiegelung an Rändern der aktuellen Siedlungsstrukturen mehr, ist sein Credo. „Wir können auskommen mit dem, was wir haben“, sagte er dieser Tage und verwies auf die Klimadebatte: „Wir haben schon genug Störungen im Gleichgewicht bewirkt, haben ein riesen Insektensterben, irgendwann sterben die Vögel. . . Wir können nicht so weitermachen wie bisher.“

Vermeulen: Innenverdichtung soll Vorrang haben

Verdichtung im Innenbereich soll Vorrang haben: Hier der Entwurf für die autofreie Siedlung im Dichterviertel.
Verdichtung im Innenbereich soll Vorrang haben: Hier der Entwurf für die autofreie Siedlung im Dichterviertel.

Vermeulen setzt auf die Strategie der Erneuerung auf bestehenden Baulandflächen. Innenverdichtung könne es noch geben, Wachstum in der Höhe statt in der Fläche. Insbesondere sei es an der Zeit, die „Chance“ zu ergreifen, „Billigarchitektur aus der Nachkriegszeit zu ersetzen. Wir stehen vor einer riesigen Umwandlung. Da kann Mülheim gewinnen“, so der Dezernent mit Blick auf erste Projekte hiesiger Wohnungsbauunternehmen. Die SWB etwa gilt als Vorreiterin mit ihren Projekten in Oberdümpten und auf der Heimaterde, wo Altbestand verschwindet und neue, gemischte Quartiere entstehen.

Kleinere Neubaugebiete mit 35 bis maximal 50 Wohneinheiten, wie sie etwa für den alten RSV-Sportplatz an der Rudolf-Harbig-Straße in Heißen oder als autofreie Siedlung an der Scheffelstraße im Eppinghofer Dichterviertel schon geplant sind, werden nach Einschätzung Vermeulens auch in naher Zukunft in Mülheim geschaffen.

Masterplan für Flughafen-Nachnutzung soll her

Zwei Großprojekte sind aber doch in der Bearbeitung: die Masterplanung für die Nachnutzung des Flughafen-Areals in Partnerschaft mit der Stadt Essen sowie Mülheims Vision, zur Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) im Jahr 2027 eine Grüne Mitte präsentieren zu können.

Die drei städtebaulichen Skizzen für eine Nachnutzung des Flughafen-Areals, die in Worksops erarbeitet worden sind.
Die drei städtebaulichen Skizzen für eine Nachnutzung des Flughafen-Areals, die in Worksops erarbeitet worden sind. © Funke Mediengruppe

Zu den Planungen am Flughafen hatte Vermeulen jüngst erst seine Quintessenz aus den Warnungen des Klimagutachtens gezogen: „Wir wissen jetzt, dass wir mit der Fläche behutsam umgehen müssen, vielleicht auch behutsamer, als wir ursprünglich gedacht haben.“ Die Klimagutachter hatten eindringlich davor gewarnt, eine derart üppige Bebauung vorzusehen, wie es in Workshop-Runden skizziert worden war (siehe Grafik). Die Kaltluftzufuhr zu Rumbachtal und Innenstadt drohe abgeschnitten zu werden, hieß es. Insbesondere das 30 Hektar große Teilstück im Nordosten des Flughafens sei freizuhalten.

7000 neue Bewohner auf Flughafen-Areal in Raadt?

Dabei hatten Stadtplaner, Politiker und sonstige Mitstreiter der Workshop-Runden nach der Maßgabe, die Flughafen-Fläche zu jeweils rund einem Drittel für Wohnen, Gewerbe und Grün zu nutzen, gar skizziert, im Freiraum-Gürtel von Raadt bis zu 7000 Menschen ein Zuhause und rund 2000 Menschen einen Arbeitsplatz geben zu können. Die politisch initiierte Masterplanung wird weitergehen – was am Ende rauskommen wird, ist aber völlig unklar.

Die Vision von einer neuen Grünen Mitte in Mülheim 

Die Vision, der Vermeulen offensichtlich mehr Bedeutung zumisst, ist das IGA-Projekt der Grünen Mitte Mülheims. Diese soll sich herausbilden in einer Ausdehnung von der Dohne auf der rechten Ruhrseite, über die Dohneinsel und das ehemalige Industriegelände der Lederfabrik Lindgens hinaus bis hin zum Areal der Brauerei-Ruine Ibing und zum Steinbruch Rauen. Vermeulen schwebt vor, „den gesamten Bereich verantwortlich, und zwar naturräumlich so zu gestalten, dass wir dort zeigen können, was das Image unserer Stadt ist“: dass es in Innenstadtnähe Naturerholungsräume gebe.

Die historischen Gebäude der Lederfabrik Lindgens bleiben zum Teil erhalten.    
Die historischen Gebäude der Lederfabrik Lindgens bleiben zum Teil erhalten.     © Volker H. Flecht

Es gibt um die potenziellen Bauflächen in dieser „Grünen Mitte“ schon konfliktgeladene Debatten, man denke an den Denkmalstreit um das alte Kesselhaus samt Schornstein auf dem Lindgens-Areal. Jürgen Steinmetz vom Investor SMW (Sparkasse, Mülheimer Wohnungsbau) betonte am Donnerstag noch einmal, dass man den Erhalt der alten Bausubstanz wirtschaftlich nicht für zumutbar halte. Dennoch war den Investoren nichts anderes übrig geblieben, als den aktuell neun beteiligten Architekturbüros für den städtebaulichen Wettbewerb zur Aufgabe zu machen, ein neues Quartier mit integriertem Kesselhaus zu entwerfen.

Lindgens: Neun Büros arbeiten am städtebaulichen Konzept

In der vergangenen Woche hat laut Steinmetz ein Auftaktkolloqium mit den Wettbewerbsteilnehmern stattgefunden, es gab eine Ortsbegehung, die Eigentümer standen parat, um offene Fragen zu beantworten. Mit ersten Ideen zur städtebaulichen Entwicklung vor Ort rechnet Steinmetz schon „in den nächsten Wochen“. Im Sommer soll möglichst ein Ergebnis stehen, auf das ein Bebauungsplanverfahren aufsetzen könnte.

Während Steinmetz es weiter nicht für ausgeschlossen hält, dass zur Realisierung von 200 Wohneinheiten (davon ein Drittel sozialer Wohnungsbau) Kesselhaus und Schornstein noch fallen werden, ist Baudezernent Vermeulen weiter der festen Ansicht, dass die Denkmal-Substanz erhalten bleiben sollte. „Es gibt wunderbare Beispiele, wie prägende Bauwerke in ein Neubau-Konzept eingebunden werden können“, sagt er. Der Baudezernent glaubt auch nicht, dass die Obere Denkmalbehörde sich so leicht vom Gegenteil überzeugen lassen wird.

An der Dohne will RWW sein Pumpwerk aufgeben

Ein Baubeginn noch im Jahr 2020 zu erwarten, sei optimistisch, so Vermeulen. Auf der anderen Ruhrseite, zwischen Dohne und Leinpfad, plant Wasserversorger RWW für die Zeit, wenn er dort sein Pumpwerk aufgibt. Erste Pläne für eine bis zu sechsgeschossige, terrassenförmige Bebauung samt Tiefgaragen sind im städtischen Gestaltungsbeirat durchgefallen. Es wird im Hintergrund aber weiter am Bauprojekt gearbeitet.

Auch hier schwebt Vermeulen „eine städtebauliche Entwicklung mit Augenmaß“ vor, die auch der sensiblen Lage an der Ruhr gerecht wird. Wieder auf die andere Ruhrseite der „Grünen Mitte“. In einer Art Geheimkommando versucht das Planungsdezernat seit Längerem schon mit der Familie Rauen auszuloten, wie das 30 Hektar große Steinbruch-Gelände städtebaulich zu nutzen sein könnte. Hochwertiges Bauland vermarkten zu können, ist das eine.

Schützenswerte Geologie und Fauna im Steinbruch

Vom Steinbruch Rauen aus hat man einen tollen Blick auf das Ruhrtal.
Vom Steinbruch Rauen aus hat man einen tollen Blick auf das Ruhrtal. © Mirco Stodollick

Doch das geologisch wertvolle Gelände hat sich im jahrelangen Dornröschenschlaf auch zu einem Schutzraum entwickelt, wo sich besondere Fauna und Flora breitmachen konnte. Für die IGA gibt es Ideen, das außergewöhnliche Geotop in einer Art Museum für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Bleibt als letzte offene Baustelle der „Grünen Mitte“ das alte Brauerei-Gelände Ibing an der Holzstraße. Auch hier sollten, sobald es industrielle Nutzungen im Umfeld zulassen würden, neue Wohnbauten möglich gemacht werden. Die Voraussetzungen liegen seit einigen Jahren vor, Planungsdezernent Peter Vermeulen äußert sich jedoch zurückhaltend zu den Chancen, dass der Duisburger Großvermieter Henning Conle als Eigentümer alsbald in eine Umsetzung geht.

„Der Eigentümer hat bisher noch niemanden gefunden, der bereit ist, ihm einen Ertrag zu bringen“, so Vermeulen. Das Problem: Die Natur hat die Brache erobert. Ein Abriss der Ruine im Naturraum dürfte kostspielig werden wegen nötigen Maßnahmen zum Artenschutz und zum Ausgleich für zerstörerische Eingriffe in die „Natur“. Ein wenig Hoffnung hat Vermeulen aber doch, rechnet er damit, dass vor Ort der Grundstückswert steigen wird, wenn im Umfeld das Lindgens-Areal bebaut ist. In diesem Fall würde sich ein Abriss eher rechnen. Doch die Entwicklung bei Lindgens wird bekanntlich noch Jahre auf sich warten lassen.

>> VERWALTUNG PRÜFT RUND 40 IGA-PROJEKTE

Der Auftrag der Politik ist erteilt: Die Verwaltung soll für rund 40 Projekte prüfen, ob sie zur Internationalen Gartenbauausstellung umzusetzen sind. Eines davon ist die „Grüne Mitte“.

Weitere herausragende Projekte sind die „Floating Homes“ (Wohnhäuser auf der Ruhr), die Vision von einem begrünten Hochhaus in der City und ein Badeschiff für die Ruhr.