Herne. Eine der bedeutendsten deutschen Theaterschauspielerinnen der Gegenwart kommt aus Herne. Und wie tickt sie so? Lina Beckmann im WAZ-Interview.

Gar nicht so einfach, einen Interviewtermin mit der Hernerin Lina Beckmann zu bekommen. Die WAZ erreicht die viel beschäftigte Theaterschauspielerin und „Polizeiruf“-Kommissarin telefonisch nach einer Probe am Hamburger Schauspielhaus, an dem sie seit Jahren große Erfolge feiert.

Ich habe mal im Spielplan nachgezählt: Zwischen dem 20. Januar und dem 23. Februar sind Sie am Hamburger Schauspielhaus in sieben unterschiedlichen Stücken zu sehen. Ist das für Sie ein normales Pensum oder eine absolute Ausnahme?

Lina Beckmann: Es ist keine absolute Ausnahme, aber es ist schon viel … . Als ich Anfängerin war, war das noch schlimmer, doch damals waren die Rollen kleiner. Jetzt sind die Rollen und die Verantwortung größer, das kostet deutlich mehr Kraft. Man muss sich bei der Vorbereitung stärker fokussieren. Aber es sind alles schöne Stücke, auf die ich mich sehr freue.

Allein das fast vierstündige Drama „Richard the Kid & the King”, für das Sie 2022 den Theaterpreis Faust gewonnen haben, und das Ein-Personen-Stück „Laios“ sind ja schon wahnsinnige Kraftakte.

Das stimmt. Wir achten darauf, dass die beiden Stücke nicht direkt hintereinander und auch nicht so häufig im Monat aufgeführt werden. Es ist einerseits toll und ein Geschenk, solche Stücke zu haben. Gleichzeitig ist es wahnsinnig aufreibend. Danach ist man sehr erschöpft.

Lina Beckmann (42) ist eine der besten deutschen Bühnenschauspielerinnen der Gegenwart.
Lina Beckmann (42) ist eine der besten deutschen Bühnenschauspielerinnen der Gegenwart. © Schauspielhaus Hamburg | Lina Strempel

Die Kritiken für „Laios“ waren durch die Bank euphorisch. Ist das für Sie von Bedeutung? Oder ist die direkte Reaktion des Publikums das Maß aller Dinge?

Die Reaktion des Publikums ist das absolute Maß aller Dinge; sie kann einen auch über schlechte Kritiken hinwegtrösten. Man sagt sich dann: Das ist eine Meinung, aber im Saal sitzen 800 Menschen, die das toll finden. Ich gewöhne es mir auch gerade ab, Kritiken zu lesen.

Warum?

Es ist manchmal schwierig, das wieder aus dem Kopf zu kriegen. Es gibt aber Stimmen, die mir sagen: Lies das mal, das ist schön.

Also eine Art Filter?

Genau, das hilft mir sehr. Ich habe das zum Beispiel beim „Polizeiruf“ so gehandhabt. Man liest manchmal Sätze, die weh tun oder irritieren. Ich kriege sie dann nicht mehr aus dem Kopf und habe damit lange zu tun. Das will ich vermeiden.

Bezogen aufs Theater kann ich mich nicht daran erinnern, in den vergangenen Jahren eine schlechte Kritik über Lina Beckmann gelesen zu haben. Sie?

Bei „Laios“ war das tatsächlich nicht der Fall. Bei „Richard“ und anderen Stücken gab es das aber immer wieder mal. Das soll auch so sein, weil ich ja auch eine Geschmackssache bin. Wenn jemand sagt, „ich kann mit der nichts anfangen“, dann ist das in diesem Beruf total in Ordnung und Part of the Game.

„So eine Aufgabe habe ich in meinem Leben noch nie bekommen und werde ich in meinem Leben nie wieder bekommen“ : Das sagte Lina Beckmann 2022 über ihre Rolle im fast vierstündigen Drama „Richard the Kid & the King“.
„So eine Aufgabe habe ich in meinem Leben noch nie bekommen und werde ich in meinem Leben nie wieder bekommen“ : Das sagte Lina Beckmann 2022 über ihre Rolle im fast vierstündigen Drama „Richard the Kid & the King“. © Schauspielhaus Hamburg | Monika Rittershaus

„Laios“ ist in Hamburg eins von fünf Stücken des von Intendantin Karin Beier inszenierten Antiken-Projekts „Anthropolis“. Kritik und Publikum waren von allen Inszenierungen sehr angetan.

Wir sind alle froh, dass das so angenommen wird. Karin Beier hat mit „Anthropolis“ alles auf eine Karte gesetzt – und es ist aufgegangen.

Die Beckmanns, also Sie und Ihre Geschwister Maja, Till und Nils, werden als Herner oder Wanne-Eickeler Schauspielfamilie bezeichnet. Ihr Geburtsort ist jedoch Hagen, weshalb in diversen Berichten auch schon mal von der „Hagener Schauspielerin Lina Beckmann“ die Rede ist. Klären Sie uns bitte auf!

Meine Mama lebte damals mit meinem Papa in Dortmund, und in Hagen soll es eine sehr gute Frauenklinik gegeben haben. Ich bin dann dort aber in einer Art Abstellkammer zur Welt gekommen, weil kein Zimmer frei war. Wir sind ganz schnell wieder nach Dortmund zurückgekehrt und haben dann in Herne und Recklinghausen gelebt. Ich bin also keine Hagenerin, sondern dort nur geboren.

Wenn Sie gefragt werden, woher Sie kommen: Was antworten Sie dann?

Ich sage: Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Meine Lieblingsstadt ist Bochum, weil dort sehr viel passiert ist. Mein Kind ist dort geboren, und ich hatte dort eine tolle WG mit meinen Geschwistern. Aber natürlich habe ich auch besondere Erinnerungen an meine Kindheit in Herne und Wanne-Eickel, an den Kanal und die Halden. Das ganze Ruhrgebiet ist melancholisch aufgeladen mit sentimentalen Kindheitserinnerungen.

Unbestritten dürfte dagegen sein, dass in Herne und konkret an der Hiberniaschule die Geburtsstunde der Schauspielerin Lina Beckmann geschlagen hat. Oooder?

Das kann sogar Wanne-Eickel für sich in Anspruch nehmen (lacht).

Wo alles anfing: die Hiberniaschule an der Holsterhauser Straße.
Wo alles anfing: die Hiberniaschule an der Holsterhauser Straße. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Wie kam es dazu?

Die Theatersparte war an der Hiberniaschule stark integriert. Ich war aber ein eher schüchternes Kind und habe mich nicht auf Rollen gestürzt. In der 8. Klasse habe ich in Shakespeares „Sturm“ die Rolle des Luftgeists Ariel bekommen und bin das ganz naiv angegangen. Ich habe mich bei den Proben wie in einem Rausch gefühlt. Ich glaube, bis dahin hatte mir nichts in meinem Leben so viel Spaß gemacht. Ich sagte mir: Wie kann es so etwas Tolles geben? Ich wollte unbedingt weitermachen.

Und wie ging es dann weiter?

In der 10. Klasse habe ich erneut eine größere Rolle übernommen und dieses Glücksgefühl noch stärker empfunden. Ich bin dann von der Schule abgegangen und habe in Bochum am „Theater Total“ gespielt. Dort hat mir jemand gesagt, dass man Schauspiel studieren und es zum Beruf machen kann. Das war mir vorher nicht bewusst gewesen, weil ich mir keine Gedanken darüber gemacht hatte. Ich habe mich in Bochum beworben und bin sofort genommen worden. Der Rausch hat dann nicht mehr aufgehört. Bis heute.

Sie haben mal am Bochumer Schauspielhaus mit Ihrer älteren Schwester Maja in „Titanic“ in der Eve-Bar zusammen auf der Bühne gestanden. Inzwischen zählt Maja als Gast auch zum Ensemble des Hamburger Schauspielhauses. Kann man dort in Zukunft auch mal ein Stück mit Lina und Maja Beckmann sehen?

Für die kommende Spielzeit wird darüber nachgedacht, aber mehr kann ich dazu derzeit nicht sagen.

Mit Ihrem Mann Charly Hübner haben Sie bereits häufiger in Hamburg auf der Bühne gestanden, das letzte Mal liegt allerdings schon einige Jahre zurück. Ist hier auch etwas in Planung?

Nein. Das ist derzeit etwas schwierig, weil Charly so viele andere Projekte hat. Wir haben aber neulich festgestellt, dass wir große Lust haben, wieder gemeinsam zu spielen.

Lina Beckmann und ihr Mann Charly Hübner im WDR-Film „Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?“
Lina Beckmann und ihr Mann Charly Hübner im WDR-Film „Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?“ © Svenja von Schultzendorff

Sie arbeiten seit 2007 mit der Intendantin Karin Beier - zunächst in Köln, seit 2013 in Hamburg – und spielen häufig unter ihrer Regie. Was schätzen Sie an ihr?

Ich schätze ihre Art, ein Theater und Regie zu führen. Ich habe es immer sehr genossen, ein Teil ihres Ensembles zu sein. Wir sind sehr verbunden miteinander, seit sie mich aus Zürich „gefischt“ hat. Karin Beier und auch die Regisseurin Karin Henkel waren und sind sehr wichtige Frauen für meine Theaterarbeit. Dass ich in der Arbeit so wachsen und erwachsen werden konnte, hing aber auch an Kolleg*innen.

Karin Beier hat in Hamburg einen Vertrag bis 2025 und anschließend eine Option auf insgesamt drei weitere Jahre. Haben Sie Pläne für die Zukunft?

Es ist erst einmal, wie es ist. Uns gefällt es derzeit gut in Hamburg. Mein 15-jähriger Sohn geht hier noch zur Schule, wir wohnen gemeinsam mit Charly und Maja in einer WG.

„Fischte“ Lina Beckmann einst aus Zürich und holte sie nach Köln: Intendantin Karin Beier, hier bei einer Probe in Hamburg.
„Fischte“ Lina Beckmann einst aus Zürich und holte sie nach Köln: Intendantin Karin Beier, hier bei einer Probe in Hamburg. © Schauspielhaus Hamburg | Thomas Aurin

Könnten Sie sich denn vorstellen, eines Tages mal ans Bochumer Schauspielhaus zurückzukehren?

Na klar. Das ist das schönste Haus der Welt.

Sie haben 2009 mit ihren Geschwistern das Projekt „Spielkinder“ gegründet und sind seitdem auch immer wieder in Herne aufgetreten, zuletzt 2019 im Alten Wartesaal im Bahnhof. Kann sich Herne Hoffnung auf ein neuerliches Heimspiel der Beckmanns machen?

Das ist ein Herzensprojekt. Es wird aber immer schwieriger, sich für ein neues Programm die Zeit zu nehmen. Ich hatte mal die krude Idee, ein Tanzprojekt mit den „Spielkindern“ zu machen. Aber dazu ist es bisher leider nicht gekommen.

„Die Spielkinder“ kurz nach der Gründung: (von links) Lina, Till, Nils und Maja Beckmann.
„Die Spielkinder“ kurz nach der Gründung: (von links) Lina, Till, Nils und Maja Beckmann. © Kulturbüro

Von der Bühne zum Fernsehen: 2021 haben Sie die Rolle der Kommissarin Melly Böwe im ARD-Krimi „Polizeiruf 110“ übernommen, praktisch als Nachfolgerin Ihres Mannes Charly Hübner. Es gibt Schauspielerinnen und Schauspieler, die dem Theater den Rücken kehren, um nur noch Film und Fernsehen zu machen. Wäre das für Sie eine Option?

Stand heute würde ich dem Theater immer den Vorrang geben. Mein Herz schlägt deutlich stärker für die Theaterarbeit. Ich habe so viel Lust und so viel Kraft in mir, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, das Theater komplett aufzugeben. Beim Drehen ist der Funke bislang nicht komplett übergesprungen, ich habe mich selbst noch nicht richtig gefunden.

Sie sind im Fernsehen und im Kino auch immer wieder mal in Nebenrollen zu sehen – zuletzt in Bjarne Mädels „Sörensen fängt Feuer“ oder auch in „Sophia, der Tod und ich“, dem Regiedebüt von Charly Hübner. Steht hier etwas Neues an?

Ich habe fürs ZDF den Film „Alles gelogen“ gedreht, die Hauptrolle spielt Bastian Pastewka. Ansonsten bleibt derzeit zwischen „Polizeiruf“ und Theater kaum noch Zeit, etwas Anderes zu machen.

Es heißt, dass die Beckmanns einst in Wanne-Eickel ohne Fernseher aufgewachsen sind. Gilt das auch heute noch?

Lustigerweise hatten wir bis vor Kurzem keinen. Als Maja in die WG eingezogen ist, war ihr Einstandsgeschenk ein Fernseher. Und wer wirklich nie davorsitzt, ist Maja (lacht).

Schalten Sie bei den Erstausstrahlungen der „Polizeiruf“-Krimis ein?

Ich habe mit meinem Sohn inzwischen die Tradition, dass wir uns den „Polizeiruf“ gemeinsam anschauen. Er ist auch mein schärfster Kritiker.

Die Neue: 2022 wurde Lina Beckmann (re.)  TV-Kommissarin. Im „Polizeiruf 110“ spielt sie an der Seite von Anneke Kim Sarnau.
Die Neue: 2022 wurde Lina Beckmann (re.) TV-Kommissarin. Im „Polizeiruf 110“ spielt sie an der Seite von Anneke Kim Sarnau. © NDR | Christine Schroeder

Schauen Sie sich auch andere Filme oder Serien an?

Ich schaue mir gerne Serien an, die mir empfohlen worden sind. Und ich gucke mir Filme an, die ich im Kino verpasst habe.

Was hat Sie denn zuletzt beeindruckt?

„1670“, eine polnische Historienserie. Und „Leave the World Behind”, ein Endzeitthriller mit Julia Roberts und Ethan Hawke. Beides läuft auf Netflix.

>>> Zur Person: Polizeiruf und Pudel

  • Lina wer? Für Nicht-Theatergänger dürfte sich diese Nachfrage spätestens 2022 erledigt haben, als Lina Beckmann TV-Kommissarin wurde im Rostocker „Polizeiruf 110“ an der Seite von Anneke Kim Sarnau. Am 17. Dezember 2023 lief die vierte Folge „Nur Gespenster“, am 25. Februar ist bereits ihr nächster „Polizeiruf“ zu sehen. Titel: „Diebe“. Ein weiterer Krimi sei bereits abgedreht worden, Drehaufnahmen für zwei weitere stünden im Frühjahr und im Sommer an, berichtet Lina Beckmann.
  • Ihr schauspielerisches Handwerk lernte sie unter anderem am Studiengang Schauspiel Bochum der Folkwang-Hochschule Essen. Nach Gastauftritten unter anderem am Schauspielhaus Bochum und an den Wuppertaler Bühnen wechselte sie 2005 ans Schauspielhaus Zürich und von dort 2007 ans Schauspiel Köln. Dem Ensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg gehört sie seit 2013 an.
  • Für ihre Theaterrollen hat sie zahlreiche bedeutende Preise erhalten, zuletzt 2022 den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ für „Richard the Kid & the King“.
  • Die 42-Jährige lebt mit ihrer Familie und Pudeldame Maggie im Hamburger Stadtteil Othmarschen.