Köln. .

Karin Beier hat das Kölner Schauspielhaus zurück in die erste Theaterliga des Landes gebracht und mit dem erfolgreichen Protest gegen den Abriss des Schauspielhauses ein kulturpolitisches Zeichen gesetzt. Zur Eröffnung der neuen Spielzeit hat ihr Elfriede Jelinek ein Stück geschrieben.

Vermutlich ist das Büro von Karin Beier das einzige Intendanten-Büro der Republik, in dem eine Kinderschaukel hängt. Dispositionspläne und Espressomaschine sucht man vergebens, stattdessen gibt es großformatige Fotografien einer lachenden Vierjährigen. Momina ist allgegenwärtig im Arbeitsalltag ihrer Mutter. Auch wenn die Chefin des derzeit erfolgreichsten deutschen Theaters momentan im Probenstress steckt.

Am Freitag eröffnet Beier die Spielzeit mit einem Dreiteiler von Elfriede Jelinek: „Das Werk/Im Bus/Ein Sturz“ beschäftigt sich unter anderem mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Ein gewaltiges Thema, ein gewaltiger Textbrocken, den die Regie führende Intendantin seit April mit „radikalem Zugriff“, aber auch mit „allergrößtem Vergnügen“ zu bändigen versucht.

„Mama, du sollst nie wieder ,mmm’ zu mir sagen“

Karin Beier beherrscht das Timing, nicht nur auf der Bühne. Um zehn geht’s auf die Probe, danach ins Büro. Die Zeit von 17 bis 21 Uhr gehört ihrer Tochter, danach wird zuhause weitergearbeitet. Und trotzdem hat Momina unlängst gemahnt: „Mama, du sollst nie wieder „mmm“ zu mir sagen.“ Dabei gab es für ein nachdenkliches „mmm“ zuletzt viele Gründe, trotz der enormen Erfolge des Vorjahres.

Die Kritiker von „Theater heute“ kürten Köln zum „Theater des Jahres“. Gleich drei Produktionen wurden im Mai zum Berliner Theatertreffen eingeladen, dem Bestentreffen der Branche. Darunter Beiers hochgelobte Theater-Adaption des Ettore-Scola-Films „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“, diese fast tonlose Unterschichten-Erkundung hinter Wohncontainerglas.

Eigentlich könnte die 44-Jährige sich mal zurücklehnen, doch die Zeit des Sanierungskampfes steckt ihr immer noch in den Knochen. Monate haben die Kölner gegen den Abriss des Schauspielhauses protestiert und den Ratsbeschluss am Ende mithilfe eines Bürgerbegehrens gekippt. Die für Beier zuletzt „bis zur Sinnlosigkeit” abgespeckten Neubau-Pläne sind vom Tisch.

„Vielleicht ist der Stadt etwas Ähnliches wie Stuttgart 21 erspart geblieben“

Jelineks Dreiteiler, der vom visionären Bauen und von realen Katastrophen erzählt, von menschlicher Hybris und der Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, scheint das Stück der Stunde in einem Land, das gerade seine Protestkultur wiederentdeckt. „Als die Identifikation der Bürger mit dem Haus so groß wurde, konnten wir ja nicht mit „Maria Stuart“ eröffnen“, sagt Beier. „Man muss thematisch dran bleiben.“

Die gebürtige Kölnerin hat das zuletzt in die Mittelmäßigkeit abgedriftete Schauspielhaus nicht nur an die Spitze der deutschsprachigen Theater zurückgeführt. Mit ihr hat das Haus auch eine neue, kulturpolitische Bedeutung erlangt. Kein Wunder, dass Beier nach all den Stadtrat-Schlachten in der nächsten Spielzeit über das Schwerpunktthema Demokratie nachdenkt. Letztlich, findet sie, könnte die Kölner Politik doch froh sein, dass der Theater-Abriss verhindert wurde. „Wenn die Bagger in diesen Tagen angerollt wären, dann wäre hier was losgewesen. Vielleicht ist der Stadt etwas Ähnliches wie Stuttgart 21 erspart geblieben.“

Aber richtig dankbar zeigt sich die Stadtpolitik nicht. Und trotz aller Erfolge rollt ihr auch keiner den roten Teppich aus, im Gegenteil. Der Etat wurde gekürzt, derzeit wird über die Zukunft der Studiobühne verhandelt. Noch sei es zu früh, „in Kampfposition zu gehen“, sagt Beier, die ihren Vertrag bis 2014 verlängert hat. Aber man glaubt der agilen Theaterfrau, die schon als Studentin ein Ensemble leitete, dass sie „kein Theater leiten muss, um glücklich zu sein. Ich könnte auch eine Weile auf Mallorca leben oder in Wien.“ Matthias Hartmann, einst Bochumer Intendant und nun Hausherr der Wiener Burg, hat gleich angerufen, als es mit dem Neubau-Ärger losging: „Du kannst immer kommen.“

Talente werden abgeworben wie in der Bundesliga

Doch derzeit fühlt sich Beier in Köln „wahnsinnig gut aufgehoben. Das Publikum schätzt ihren aufregenden, manchmal auch gewagten Spielplan. Der Erfolg habe aber auch seinen Preis. „Man muss konkurrenzfähig sein, um die guten Leute nach Köln zu holen. Das hat was mit Produktionsbedingungen zu tun. Wenn ein Regisseur eine Live-Band und einen Lichtdesigner braucht, und man nur abwinken kann, dann geht der eben nach Berlin, Hamburg oder Wien.“

Überhaupt sei das „Leute-Festhalten“ eine schwierige Intendanten-Disziplin. „Wenn wir Jungschauspieler zum Blühen bringen, kommen Thalia oder Burgtheater gleich mit dem Einkaufswagen vorbei. Wie in der Bundesliga.“ Sorgen, die der 1. FC sich kaum machen muss. Champions League spielt in Köln derzeit nur das Schauspielhaus.