Herne. Auf dem Herner SPD-Parteitag wurde nicht nur gewählt: Welche Pläne der Vorsitzende hat, welche Rolle das Derby spielte, wer heimlicher Star war.
Zahlreiche geheime Abstimmungen musste die SPD am Samstag ab 9 Uhr bei ihrem Wahlparteitag über die Bühne bringen, diverse Grußworte und Rechenschaftsberichte abhaken sowie Anträge diskutieren und beschließen. Und das alles unter höchstem Zeitdruck, denn: Ab 15.30 Uhr stand schließlich das mit Spannung erwartete Revierderby zwischen dem VfL Bochum und Schalke 04 auf dem Programm. Trotzdem blieb im Kulturzentrum noch Zeit für Analysen, Inhalte, Zielvorgaben und Attacken auf politische Gegner.
Mit einer Videobotschaft schlug Oberbürgermeister Frank Dudda – er konnte aufgrund dienstlicher Verpflichtungen nicht teilnehmen – zu Beginn gleich mal einen Pflock ein: „An den Sozialdemokraten führt in Herne kein Weg vorbei. Das gilt vom Karneval bis zum Sportverein.“ An diesem Punkt setzte anschließend ein spürbar nervöser Hendrik Bollmann im ersten Rechenschaftsbericht nach seiner Wahl zum Vorsitzenden im August 2022 an.
Auch interessant
Die Partei habe in Herne viel erreicht, sagte der 40-Jährige. Und das, was der OB und die SPD-Ratsfraktion an Aufbruchstimmung erzeugt hätten, sei bewundernswert. „Darauf können wir stolz sein. Aber wir sind eben noch lange nicht fertig“, so der Stadtverordnete. Die Folgen der zahlreichen Krisen seien nicht spurlos an der Gesellschaft vorbeigegangen. „Die Verunsicherung sitzt mittlerweile tief“, sagte Bollmann und unternahm fortan den Versuch, so viele Themen, Probleme und gesellschaftliche Gruppen wie möglich einzubringen.
Herner SPD-Vorstand will im Horsthauser Problemkiez tagen
Arbeit, Schule, Soziales, Generationenpolitik und die Unterstützung der Quartiere rief er auf. Die Bedeutung des Dialogs und des Miteinanders hob Bollmann dabei immer wieder hervor und verwies auf die Erfolge diverser neuer Gesprächsformate der SPD. Der neue Vorstand werde demnächst „demonstrativ“ im Problemkiez Feldherrenviertel in Horsthausen tagen, kündigte er an. Als weitere neue Elemente versprach er unter anderem einen jährlichen Frauenempfang sowie Diskussionen und Veranstaltungen zum Komplex „Arbeitswelt von heute und morgen“, die in diesem Jahr zwischen dem 1. und 31. Mai stattfinden sollen. Ihm sei sehr wichtig, die alten Bande zwischen SPD und Gewerkschaften neu zu beleben, so Bollmann.
Das Thema Klimawandel nutzte er für einen Seitenhieb auf die Grünen: „Ihnen reicht es, in der Klimaschutzdebatte recht zu haben.“ Man müsse aber die Klimafrage und die Soziale Frage zusammendenken: „Klimaschutzpolitik muss am Ende mehrheitsfähig sein.“ Auch gegen die CDU setzte er Spitzen. Die CDU-geführte Landesregierung lasse nun schon im siebten Jahr arme Kommunen wie Herne „ausbluten“, eine Altschuldenlösung sei nicht in Sicht. Die Verantwortung der SPD-geführten Bundesregierung klammerte Bollmann bei diesem Thema übrigens aus.
Kontroverse zu Überziehungsgebühren in der Herner Stadtbibliothek
Und sonst? Gesprächsthema Nummer 2 war am Rande des Parteitags – Platz 1 ging unangefochten ans Revierderby – das miserable Wahlergebnis der stellvertretenden Vorsitzenden Michelle Müntefering (42). In Abwesenheit kam die an Corona erkrankte Bundestagsabgeordnete ohne einen Gegenkandidaten auf (gemessen an den anderen Ergebnissen) miserable 62,1 Prozent. Da nützte auch ihre vor der Abstimmung eingespielte Videobotschaft nichts, in der sie um „Solidarität“ warb.
Auch interessant
So etwas wie der heimliche Star des Parteitags war dagegen Andreas Jansen (36). Der Vorsitzende des Ortsvereins Holsterhausen kandidierte erstmals für den Vorstand und wurde schließlich mit dem zweitbesten Ergebnis aller zwölf Beisitzerinnen und Beisitzer gewählt. Entscheidend dazu beigetragen hatte seine Vorstellungsrede mit der Schilderung seiner Aufsteigergeschichte vom ungelernten Bauarbeiter aus einem niedersächsischen Dorf („Ich habe für 6,18 Euro in der Stunde Scheiße gefressen.“) bis hin zum Abteilungsleiter des DGB in NRW. Ein fulminanter Beitrag, der in das persönliche Fazit mündete: „Ich hab’ erfahren, wie es ist, wenn man den Glauben an sich selbst verliert und eine Partei hat, die sagt: ‘Digga, hab’ Respekt vor dir selbst, alle Menschen sind gleich viel wert.’“
+++ Politik in Herne – Lesen Sie auch: +++
Fürsorgliche Grüne: „FDP Herne, alles okay bei dir?“
Politik erteilt Rondell für Herner Partnerstädte eine Absage
Forderung: Herne soll Bürgermeister-Bild im Rathaus abhängen
Zurück zum Revierderby, Digga: Die Hoffnung des Parteichefs (und VfL-Dauerkarteninhabers) Hendrik Bollmann, den Parteitag bis etwa 13.30 Uhr über die Bühne zu bringen und damit einen entspannte Anreise an die Castroper Straße zu ermöglichen, erfüllte sich dann doch nicht. Dass erst kurz vor 15 Uhr Schicht war, lag auch an der Kontroverse, die durch einen Antrag der Jusos sowie der Ortsvereine Sodingen und Herne-Mitte zur Stärkung der Stadtbücherei ausgelöst wurde. Die darin erhobene Forderung, Überziehungsgebühren bei der Medien-Ausleihe nach dem Vorbild Schwedens und New Yorks abzuschaffen, wurde nach längerer Debatte von einer großen Mehrheit des Parteitags kassiert.
Epilog: Um 17.17 Uhr mutierte der Wahlsieger Bollmann zum Verlierer und S04-Anhängerin Müntefering doch noch zur Gewinnerin. Das Revierderby endete mit einem 2:0-Sieg Schalkes – so wie es Hernes alter und neuer Schatzmeister Olaf Semelka gut sechs Stunden zuvor prophezeit hatte.