Herne. Wie ist die Abwärtsspirale im Herner Feldherrenviertel zu stoppen? Ein Stadtvorschlag stößt bei Bezirkspolitikern auf Kritik. Was gefordert wird.

Kann ein neues Baugebiet am Rande des Feldherrenviertels maßgeblich dazu beitragen, die Abwärtsspirale des Horsthauser Problem-Quartiers zu stoppen? Die Bezirksvertretung Sodingen meint: Nein – und widerspricht damit der Stadt. In der jüngsten Sitzung wurde zudem kritisiert, dass die Ratsfraktionen von SPD und CDU Zusagen nicht eingehalten hätten.

Konsens im Bezirk: Wohnbebauung löst Probleme im Quartier nicht

Zur Erinnerung: Die Schaffung eines neuen Wohngebiets mit Öffnung zum Wasser ist ein zentraler Punkt in der von der Stadt erstellten Quartiersanalyse. Diese und weitere Punkte sollen zur „sozialen Stabilisierung“ und zur „Aufwertung“ des Feldherrenviertels beitragen. Ausgeguckt hat die Stadt eine Fläche zwischen Horsthauser Straße und dem Rhein-Herne-Kanal und insbesondere einen Teil des dortigen Grabelands (siehe Grafik). Eine Bebauung hätte aus Sicht der Verwaltung gleich mehrere positive Aspekte: Die niedrige Quote an Wohneigentum würde steigen, neue, besser verdienende Menschen würden ins Viertel ziehen, was wiederum das gesamte Quartier aufwerten würde.

Ob in Beiträgen von SPD, CDU, Grünen und „Bündnis Deutschland - WfH“ oder von Bürgerinnen und Bürgern – selten gab es zuletzt im Bezirk einen so breiten Konsens: Die Auswirkungen eines neuen Baugebiets auf den Kern des Feldherrenviertels gingen gegen Null, so der Tenor. Der Einfluss wäre eher gering, die Veränderungen vor allem statistischer Natur, sagte beispielsweise Klaus-Dieter Gülck (Grüne). Bezirksbürgermeister Mathias Grunert (SPD) brachte es so auf den Punkt: „Wenn man eine Quartiersanalyse macht und am Ende kommt nur ein Neubaugebiet dabei raus, dann kann man es auch lassen.“

„Einfluss ist eher gering“: Grünen-Bezirksfraktions-Chef Klaus-Dieter Gülck.
„Einfluss ist eher gering“: Grünen-Bezirksfraktions-Chef Klaus-Dieter Gülck. © Hartmut Bühler

Stadtplaner Peter Rogge versuchte dagegen zu halten. Durch „guten Städtebau“ könne man die Effekte eines Neubaugebiets auf das angrenzende Feldherrenviertel erhöhen, zum Beispiel durch Wegeverbindungen. Und: „Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen“, sagte er mit Verweis auf weitere Inhalte und Handlungsoptionen in der Quartiersanalyse.

Diese bot auch noch an einigen anderen Stellen Anlass zu Skepsis bis Ablehnung, zum Beispiel hinsichtlich der Aussagekraft der von der Stadt durchgeführten schriftlichen Umfrage bei 500 der insgesamt 3000 Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels. Planer Rogge räumte ein, dass die Rücklaufquote von 16 Prozent „nicht so glorreich“ sei und Menschen mit Migrationshintergrund wohl kaum erreicht worden seien. Das könne bei solchen Befragungen immer mal dazu führen, dass Rassismus „durchschimmere“ und Ausländer pauschal „als Problem“ dargestellt würden.

Detlef Biewald (SPD) ist erschüttert über das große Armutsrisiko für Kinder im Feldherrenviertel.
Detlef Biewald (SPD) ist erschüttert über das große Armutsrisiko für Kinder im Feldherrenviertel. © SPD

Jenseits der Wohnbebauung und der Umfrage fand die Quartiersanalyse im Bezirk jedoch Zustimmung als wichtiger Baustein für die künftige Arbeit. Er sei erschrocken über einige Ergebnisse, sagte der SPD-Bezirksverordnete Detlev Biewald (SPD). Als Beispiel nannte er die hohe Leerstandsquote im Viertel, die große Zahl der Problemhäuser und vor allem das Armutsrisiko von über 45 Prozent für Kinder. Sein Fazit: „Ein Gesamtkonzept ist erforderlich. Das Quartier muss von innen heraus erneuert werden. Einzelmaßnahmen reichen hier nicht aus.“

Die Möglichkeiten der Bezirksvertretung seien sehr begrenzt, erklärte SPD-Bezirksfraktions-Chef Ernst Schilla. „Wir sind ja nur Zuarbeiter und können den Finger in die Wunde legen.“ Der Rat mit all seinen Fraktionen müsse mehr tun als bisher und „eine Koalition fürs Feldherrenviertel“ bilden. Bezirksbürgermeister Grunert erinnerte daran, dass die Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU (Udo Sobieski und Bettina Szelag) der von Bürgern und Politikern gegründete „Zukunftsinitiative Feldherrenviertel“ vor der Kommunalwahl 2020 Unterstützung für die Einrichtung eines Stadtteilbüros mit Quartiersmanager gegeben hätten. Umgesetzt worden sei das nicht.

Eine für die „große Lösung“ (Grunert) nötige finanzielle Förderung könnte nach Einschätzung der Bezirksvertretung durch ein Stadtumbauprogramm erfolgen. Dass Horsthausen mit dem Feldherrenviertel von 1997 bis 2001 schon einmal Aufnahme in ein solches Projekt (Soziale Stadt) gefunden hat, ist nach Einschätzung der Stadt kein Ausschlussargument. „Formal spricht aus unserer Sicht nichts dagegen“, so Stadtplaner Rogge.

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Dass der Handlungsbedarf auch aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner groß ist, unterstrich im Bezirk ein Beitrag von Margret Grzesiak: „Ich wohne seit 71 Jahre in Horsthausen. So, wie es in den vergangenen Jahren bergab gegangen ist, das habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt.“ Dies sehe nicht nur sie so: „Viele Menschen wohnen nicht mehr gerne hier“, sagte die Anwohnerin der Blücherstraße.