Herne. Muss Herne das Bild eines Bürgermeisters wegen dessen Rolle im NS-Regime abhängen? Wer das fordert, wie Stadt, Politik und Angehörige reagieren.
„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“ heißt ein Roman des bekannten Schauspielers Joachim Meyerhoff (55). Die Verfilmung des Bestsellers ist Ende Februar bundesweit in den Kinos angelaufen. Mit Blick auf Meyerhoffs 1970 verstorbenen Großvater Hermann und dessen Rolle in der Herner Stadtverwaltung während der Nazi-Diktatur hegt Udo Jakat einen ganz anderen Wunsch.
Der pensionierte Lehrer aus Herne möchte, dass es endlich so wird, wie es sich seiner Meinung nach mit Blick auf die Verstrickung Hermann Meyerhoffs im NS-Regime gehört. Heißt: Für Jakat ist es unangemessen, Meyerhoff im Rathaus noch immer die Ehre zu erweisen. Nichts anderes tut die Stadt aus Sicht des Mitglieds der DGB-Geschichtswerkstatt, indem sie ein Gemälde mit dem Porträt des langjährigen Bürgermeisters im Sitzungszimmer 212 hängen lässt. In einer offiziellen Bürgereingabe an die Politik fordert er deshalb, dass das Bild entfernt werden soll.
Unstrittig ist laut Quellenlage, dass Meyerhoff vor der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 der Zentrumspartei angehörte, aber niemals Mitglied der NSDAP war. Dieser Umstand dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass die britische Militärregierung ihn schon am 21. April 1945 in Herne als ersten Bürgermeister einsetzte.
Den Weg ins Ruhrgebiet hatte der Jurist in den 20er-Jahren gefunden: 1927 wurde der gebürtige Göttinger in Herne zweiter Bürgermeister und blieb dies bis 1945. Unter den Nazis übernahm er 1939 auch das Amt des Stadtkämmerers und führte von 1942 bis 1943 sogar die Geschäfte des Oberbürgermeisters. Nach dem Krieg und der knapp zweijährigen Amtszeit als Bürgermeister unter der Militärregierung wurde Meyerhoff im März 1947 zum Oberstadtdirektor gewählt. Am 31. Mai 1953 wurde der damals 65-Jährige in den Ruhestand versetzt.
Wann genau die Verwaltung damit begonnen hat, Meyerhoff und weitere Stadtobere in Öl zu verewigen, ist nicht bekannt. Übermittelt ist: 1973, also kurz vor der Städteehe mit Wanne-Eickel, endete diese Tradition. Insgesamt sieben von unterschiedlichen Künstlern erstellte Gemälde zieren noch immer die holzvertäfelten Wände des Sitzungszimmers 212, das von der Verwaltung vor allem für Pressekonferenzen und Sitzungen genutzt wird. Das Porträt Meyerhoffs stammt von dem Künstler Hans-Jürgen Schlieker.
Und wie kam es 50 Jahre danach zur Intervention Udo Jakats? Den endgültigen Anstoß lieferte die WAZ Herne mit einer „Chronik“. In dieser Rubrik auf der Lokalseite 2 berichtete die Lokalredaktion unter der Überschrift „Ehrung für Meyerhoff“ kurz und knapp, dass dieser sein 25-jähriges Dienstjubiläum bei der Stadt gefeiert habe. Jakat ärgerte sich – nicht zum ersten Mal. Er erinnerte sich daran, dass er einst als sachkundiger Bürger für die SPD in Vorberatungen im Sitzungszimmer 212 unter dem Gemälde Meyerhoffs gesessen und schon damals Anstoß an dieser Form der Würdigung genommen habe. Nach Gesprächen mit Mandatsträgern entschied er sich, diesmal aktiv zu werden.
Herner Bürger verweist auf „Judenhäuser“ und Zwangssterilisationen
Vor 70 Jahren „wurde Hermann Meyerhoff für seine Verdienste um die Stadt Herne von Robert Brauner, einem Verfolgten des Nazi-Regimes, geehrt, obwohl er aus heutiger Sicht stark in dem Geflecht des Nazi-Regimes verstrickt war“, schreibt Jakat in seiner Bürgereingabe und führte mehrere Punkte an. So habe Meyerhoff beispielsweise gewusst oder mit veranlasst, dass in der Herner Innenstadt „Judenhäuser“ eingerichtet worden seien, in den Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens interniert, später zum Bahnhof getrieben und in die KZ transportiert worden seien.
Der Bürgermeister sei auch darüber informiert gewesen, dass im Gesundheitsamt 800 Verfahren zur Zwangssterilisierung eingeleitet worden seien und der Medizinalrat Meyer mindestens 183 Menschen aus Herne in Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen habe, die dann später in Tötungsanstalten innerhalb des Euthanasieprogramms ermordet worden seien, berichtet Jakat, der zum Thema Euthanasie umfangreiche Recherchen für Herne durchgeführt hat und in diesem Jahr dazu ein Buch veröffentlichen will. Außerdem habe er nichts gegen das Niederbrennen der Herner Synagoge unternommen. Diese und weitere Punkte verböten es, dass Meyerhoff durch die Aufnahme in die Gemäldegalerie auch noch geehrt werde, so der 79-Jährige zur WAZ.
Die Bezirksvertretung Herne-Mitte, an die Jakat sich zunächst gewandt hatte, verwies den Antrag in den Ausschuss für Bürgerbeteiligung. Von dort wurde er dann weitergegeben an den Ältestenrat, einem inoffiziellen Beratungsgremium des Rates, dem Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen und der Oberbürgermeister angehören. Die fachliche Expertise für eine Entscheidung von Verwaltung und Politik solle Hernes Stadthistoriker Ralf Piorr liefern, berichtet Stadtsprecher Patrick Mammen.
Auf Anfrage der WAZ beziehen drei Enkel des Bürgermeisters – Joachim Meyerhoff, sein Bruder Hermann Meyerhoff und Camilla Hölzer – Stellung zu der in Herne entbrannten Debatte. „Mein Bruder, meine Cousine und ich erwarten eine objektive und sachliche Prüfung der Vergangenheit unseres Großvaters durch die Stadt Herne und den Ältestenrat“, schreibt Hermann Meyerhoff, der beim ARD-Sender RBB Leiter der Programmplanung und Koordination ist. Sie wünschten sich eine Entscheidung „auf der Basis von Fakten und nicht auf der Basis einer Vorverurteilung“.
Es mache den Anschein, dass im Bürgerantrag auch Vermutungen angestellt würden. Behauptungen wie zum Beispiel, dass der Großvater eine Bücherverbrennung durch die Nazis nicht verhindert habe, müssten belegt werden, so Hermann Meyerhoff. Sie beschäftige auch die Frage, warum ihr Großvater nicht in der NSDAP war. „Wollte oder durfte er nicht? Welche Rolle haben dabei seine jüdischen Vorfahren gespielt?“ Und: Ihnen erscheine bei der Prüfung seiner Vergangenheit auch wichtig, warum er nach 1945 wieder in ein hohes Amt gekommen sei. „Haben die Alliierten seine Vergangenheit nicht sorgfältig überprüft? Mit welchem Ergebnis?“
Historiker: Meyerhoff verdrängte sein „pronazistisches Engagement“
Fragen, mit denen sich nun Hernes Stadthistoriker Ralf Piorr auseinandersetzen muss. Ein ganz neues Thema ist Meyerhoffs Wirken in der NS-Zeit für ihn und andere Historiker allerdings nicht. Zuletzt widmete er sich in seinem 2020 veröffentlichten Buch „1933. Der Weg in die Diktatur in Herne und Wanne-Eickel“ in einem längeren Absatz dem früheren Bürgermeister auf differenzierte Weise. Piorr führt unter anderem an, dass Meyerhoff große Propagandaauftritte gemieden habe und sich nach dem Krieg während der Phase der Entnazifizierung geweigert habe, „Persilscheine“ für ehemalige Kollegen auszustellen. Auch von den Verfolgten des NS-Regimes sei keine Kritik an ihm laut geworden.
Im Ruhestand habe er 1963 eine „beeindruckende Verwaltungsstudie“ über Herne in der Zeit des Nationalsozialismus vorgelegt. Seine eigene Rolle habe er darin jedoch nicht problematisiert. Piorr bezieht sich dabei auch auf einen Beitrag des Historikers Michael Zimmermann aus dem Jahr 1991. Dieser stellte unter anderem fest, dass Meyerhoff das eigene „pronazistische Engagement“ verdrängt habe. Und: Die Herner Stadtverwaltung habe unter ihrem Bürgermeister und Kämmerer Hermann Meyerhoff „mit ihrem vorgeblich sachrationalen Handeln mehr zur Funktionstüchtigkeit des NS-Regimes beigetragen als die Masse der NSDAP-Parteigenossen“, so Zimmermann.
Ralf Piorr arbeitet zurzeit an einer Stellungnahme für den Ältestenrat. Ein Termin für die nächste Sitzung dieses Gremiums stehe noch nicht fest, erklärt die Stadt.