Herne. Die Herner Agentur für Arbeit geht bei der Jobvermittlung neue Wege. Sie veranstaltete ein Speeddating auf dem Riesenrad des Weihnachtszaubers.

Eine Fahrt mit dem Riesenrad bietet wunderbare Aussichten auf die Landschaft, am Freitag hat sie noch etwas anderes geboten: eine Aussicht auf einen neuen Job. Die Agentur für Arbeit bat Unternehmen und Bewerber zu einem Job-Speeddating auf dem Riesenrad des Cranger Weihnachtszaubers.

Anna-Lena Schütze vom Arbeitgeberservice der Agentur würde auf einer Kirmes eine ausgezeichnete Rekommandeurin abgeben. „Wer möchte zur Diakonie?“ oder „Wer möchte im Lager arbeiten?“ ruft sie immer wieder ihrem Publikum zu. Das Publikum sind in diesem Fall Menschen, die eine Arbeitsstelle suchen. Über 100 haben sich für diese ungewöhnliche Aktion angemeldet, 15 Unternehmen ebenso. Um miteinander ins Gespräch zu kommen, steigen sie gemeinsam in eine Gondel des weißen Riesenrads und drehen ein paar Runden.

Agentur-Chef: Unternehmen suchen händeringend Mitarbeiter in allen Bereichen

Die Agentur für Arbeit will an diesem Vormittag in erster Linie Menschen in leicht erlernbare Tätigkeiten vermitteln, denn: Vom vielzitierten Fachkräftemangel kann man langst das „Fach“ streichen. „Der Arbeitsmarkt hat sich komplett gedreht, Unternehmen suchen händeringend in allen Bereichen“, weiß Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Bochum und Herne. Inzwischen seien es die Unternehmen, die sich bei den Arbeitskräften bewerben müssen.

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Dass es dennoch - gerade im Veranstaltungsort in Herne - immer noch viele Menschen ohne Beschäftigung und eine hohe Langzeitarbeitslosigkeit gibt, liegt an dem, was Arbeitsmarktexperten als „Matching“ bezeichnen. Die Anforderungen des Jobs passen nicht zu den Bewerbern. In dieser Hinsicht ist die Wanne-Eickelerin Jacqueline Schmidl ein klassisches Beispiel: Die 29-Jährige ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern, ein Sohn ist pflegebedürftig. Qualifizierter Hauptschulabschluss, eine Lehre, die sie wegen der Schwangerschaft abbrechen musste - da sind die Chancen auf eine Beschäftigung gering. Bis zu 80 Bewerbungen habe sie seit Jahresbeginn geschrieben. Sie habe das Gefühl, dass sie immer aussortiert worden sei, wenn die Firmen gelesen haben, dass sie vier Kindern hat. „Ich will aber trotz allem wieder Fuß, fassen, ich will weg vom Jobcenter“, sagt Schmidl im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion.

Jacqueline Schmidl und Tedi-Bezirksleiter Sadik Hasanic nahmen in der Riesenrad-Gondel ersten ungezwungenen Kontakt auf.
Jacqueline Schmidl und Tedi-Bezirksleiter Sadik Hasanic nahmen in der Riesenrad-Gondel ersten ungezwungenen Kontakt auf. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Deshalb hat sie große Hoffnungen auf das Speeddating in luftiger Höhe gesetzt. Vielleicht hat sie am Ende der Veranstaltung den Rundenrekord aufgestellt. Mit sieben Arbeitgebern hat sie gesprochen. Das Format sei super. Die Atmosphäre sei viel lockerer, es gebe eben kein Büro und keinen Schreibtisch, der für Distanz sorgt.

Neuauflage auf der Cranger Kirmes ist wahrscheinlich

Vielleicht bekommt Schmidl als Weihnachtsgeschenk einen neuen Arbeitsvertrag. Denn das Date mit dem Discounter Tedi verlief vielversprechend, das bestätigen auch die beiden die beiden Bezirksleiter Sadik Hasanic und Joshua Korzeniowsky. Sie schildern, wie groß die Nachfrage nach Mitarbeitern ist. Auf der Herner Bahnhofstraße betreibt Tedi vier Filialen, „allein dafür haben wir zurzeit acht offene Stellen“, so Hasanic. Doch die Zahl der Bewerbungen sei übersichtlich. So haben die Tedi-Bezirksleiter ihre Chance auf der Herner Winterkirmes gesucht und Runde um Runde gedreht auf der Suche nach neuen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern.

Wie dramatisch sich der Arbeitsmarkt gewandelt hat, fasst Ralf Körner in einem Satz zusammen. „Man findet gar keinen mehr!“ Da mutet seine Teilnahme am Speeddating wie pure Verzweiflung an. Körner, der in Herne einen Heizungs- und Sanitärbetrieb führt, blickt längst nicht mehr auf Lebensläufe und Zeugnisse. „Die Leute müssen einfach Lust haben.“ Zwei Kandidaten scheinen die nötige Lust zu haben. Auch Körner lobt das ungewöhnliche Format, „aber ein paar Sitzkissen wären gut gewesen. Die Kunststoffsitze sind ganz schön kalt“.

Die Kirmes als Jobbörse? Die Idee dazu hatte Carsten Bielefeld NRW-Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in der SPD. Und sie scheint schon Nachahmer zu finden. Duisburg habe schon Kontakt zu ihm aufgenommen und wolle auch das große Rad drehen, so Bielefeld. Agentur-Chef Neukirchen-Füsers bezeichnet die Herner Premiere als Erfolg, man brauche solche Events, um Aufmerksamkeit zu erregen. Er kann sich sehr gut eine Neuauflage vorstellen. Wann? Na klar, zur Cranger Kirmes!

Angaben der Agentur für Arbeit haben die Unternehmen bei der Aktion eine Reihe von interessanten Kandidaten kennengelernt, die für eine feste Anstellung in Frage kämen. So habe das Unternehmen M-Concept Krankentransport acht Gespräche geführt, und alle acht Bewerber seien sehr interessant gewesen.