Bochum. Viele offene Lehrstellen, wenige Bewerber. Die Arbeitsagentur Bochum sucht Azubis künftig auch im Ausland. Sonst werde die Lücke noch größer.

Die Corona-Pandemie ist noch nicht überwunden. Aber was ihre Auswirkungen auf den Ausbildungsmarkt betrifft, verbuchen Arbeitsagentur, Schulen, Verbände und Messeveranstalter im dritten Jahr einen wichtigen Punktsieg. „Wir konnten die Schülerinnen und Schüler des aktuellen Jahrgangs wieder gut erreichen“, sagt Frank Neukirchen-Füsers, Chef der Arbeitsagentur Bochum. Und das zeigt Wirkung.

Nur noch 97 junge Leute in Bochum ohne Ausbildungsplatz

Nur 97 Bewerberinnen und Bewerber stehen zur Zeit ohne Lehrstelle da. Das ist der niedrigste Stand in den vergangenen Jahren. Viele junge Leute seien beraten worden, viele konnten sich im Dickicht der weit verzweigten Ausbildungsmöglichkeiten informieren und auch wieder Praktika absolvieren. Allerdings fehlen auch junge Leute der vorangegangenen Schulentlassjahrgänge, die weder eine Ausbildung begonnen noch bei der Agentur vorstellig geworden sind.

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„Viele Jugendliche tauchen in der Statistik gar nicht auf. Von ihnen wissen wir nicht, wo sie geblieben sind und was sie machen“, so Stefan Marx, Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Ruhr Mark. Zu befürchten sei, dass sie auch später keine Ausbildung mehr absolvieren. Marx fordert, es müssten mehr Lehrstellen „auch für schwächere Jugendliche angeboten werden“. Fakt sei, so Agenturchef Neukirchen-Füsers: „Uns fehlen die Altbewerber, die wir in der Vermittlung jetzt noch mit anbieten können.“ Sein dringender Appell: „Bitte meldet Euch.“

So viele offene Ausbildungsplätze wie lange nicht mehr

So kommt es auch, dass noch nie in den vergangenen zehn Jahren in Bochum so viele Ausbildungsplätze unbesetzt waren. 490 Lehrstellen sind noch zu haben – doppelt so viele wie noch vor einem Jahr. Das heißt: Auf jede Bewerberin und jeden Bewerber kommen fünf Stellen. Das ist gut für die Bewerber, längst ist Bochums Ausbildungsmarkt ein Bewerbermarkt. Das ist aber schlecht für die Wirtschaft und ihre Entwicklung. Die Schere geht weiter auseinander, zumal mit 2394 das höchste Ausbildungsstellenniveau der vergangenen Dekade erreicht ist.

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Unternehmen müssen sich umstellen

Auch ein attraktiver Arbeitgeber und Ausbilder wie die Stadt muss sich strecken. 149 Azubis hat sie für sich gewinnen können, 180 hätte sie gerne gehabt. „Wir hätten so viele eingestellt, wenn wir sie gefunden hätten“, so Sozialdezernentin Britta Anger.

Vor allem zwei Botschaften waren bei der Bilanz zum Ausbildungsjahr 2021/22 zu hören: Unternehmen

972 Lehrstellen allein im Ruhr-Handwerk

Das Ruhr-Handwerk kommt nach Einschätzung von Kreishandwerksmeister Michael Mauer auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung nach. Es hat 972 jungen Menschen den Einstieg in eine qualifizierte Berufsausbildung ermöglicht.

Er appelliert an Firmen, in ihrem Ausbildungsengagement nicht nachzulassen. „Nur durch eine aktive Nachwuchsförderung und zeitgemäße Ansprache potenzieller Jugendlicher kann jedes Unternehmen seinen qualifizierten Mitarbeiterstamm langfristig sichern.“

müssen sich umstellen und noch viel mehr um Schulabgänger werben als bisher, so Dirk W. Erlhöfer (Arbeitgeberverbände Ruhr) und Michael Bergmann (Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet). Denn: Die Konkurrenz ist so groß wie lange nicht. Und: Alle Schüler müssen zum bestmöglichen Abschluss gebracht werden.

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Arbeitsagentur sucht künftig Azubis im Ausland

Aber selbst wenn das gelingen sollte, z.B. auch mit dem Angebot der Teilzeitausbildung, „wird das zahlenmäßig nicht ausreichen“, so Arbeitsagenturchef Neukirchen-Füsers. Da gut 30.000 Menschen in den nächsten zehn Jahren den Arbeitsmarkt verlassen, muss der Blick von Firmen und Vermittlern über die Grenzen gehen. „Wir müssen uns auch im Ausland umschauen.“ Dieser Aufgabe werde sich die Arbeitsagentur im nächsten Jahr intensiv widmen. Die diskutierte Neufassung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes könnte es ermöglichen, „junge Leute im Ausland anzuwerben, um hier eine Ausbildung zu machen“. Das geschehe bislang zwar schon in Einzelfällen, wie etwa im Pflegebereich, sei aber ein mühsames Unterfangen und längst nicht ausreichend.

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Dabei wäre der Ausbildungsmarkt ohne junge Menschen aus dem Ausland schon jetzt in einer noch viel größeren Schieflage. Allein 260 Bewerber auf eine Lehrstelle haben einen Fluchthintergrund. „Tendenz steigend“, so Neukirchen-Füsers. „Hätte es 2015 die Fluchtbewegung nicht gegeben, würden diese 260 auch noch fehlen.“ Wie überhaupt Ausländer schon jetzt einen gehörigen Anteil auf dem Ausbildungsmarkt haben. „Insgesamt haben 526 Menschen einen ausländischen Pass, die sich um eine Ausbildung bemühen. Das ist immerhin ein Viertel aller Bewerber. Dieses Thema wird uns auch zukünftig noch stärker bewegen.“