Herne. Unternehmer und Genosse: Der Herner Carsten Bielefeld spricht über das fehlende Gewicht Selbstständiger in der SPD und plädiert für die Groko.

Unternehmer in der SPD? Ja, die gibt’s. In Herne mit Carsten Bielefeld sogar einen mit besonderem Stellenwert – ist er doch Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen (AGS) und Mitglied im AGS-Bundesvorstand. WAZ-Redakteur Lars-Oliver Christoph sprach mit dem 53-Jährigen über seine Partei, Versäumnisse in der Pandemie, Olaf Scholz und die Grünen, persönliche Enttäuschungen und mehr.

Sie scheuen sich in der Regel nicht, Kritik an Ihrer Partei zu äußern. Sagen Sie doch erst einmal: Was gefällt Ihnen zurzeit in der SPD so richtig gut?

Carsten Bielefeld: Richtig gut finde ich die Arbeit, die Kanzlerkandidat Olaf Scholz zurzeit leistet. Richtig gut finde ich, dass wir in Herne sehr gute Politiker wie Alexander Vogt und Hendrik Bollmann haben und vor Ort nah am Bürger sind.

Olaf Scholz? Findet Sozialdemokrat Carsten Bielefeld richtig gut.
Olaf Scholz? Findet Sozialdemokrat Carsten Bielefeld richtig gut. © dpa | Sven Hoppe

Gibt es auch etwas Positives über die SPD in NRW zu sagen?

Nach der Wahl von Thomas Kutschaty zum SPD-Landesvorsitzenden sehe ich Fortschritte. Bei der Unterstützung seines Vorgängers Sebastian Hartmann waren wir als AGS etwas zurückhaltender. Er war uns nicht offensiv genug.

Stichwort Pandemie. Wie haben Bundes- und Landesregierungen die Unternehmen bisher durch die Corona-Krise gebracht?

Im Großen und Ganzen recht gut, zumindest was die aufgelegten Programme angeht. Was die Umsetzung betrifft, muss man in einigen Bereichen allerdings von einer Katastrophe sprechen.

Zum Beispiel?

Das fängt in NRW an. Bei der Ersthilfe hieß es zunächst: Sie kann von jedem frei genutzt werden. Eine Woche später hieß es dann, dass sie nur für Betriebsausgaben verwendet werden darf, womit fast 60 bis 70 Prozent der antragstellenden Unternehmen den Großteil wieder zurückzahlen mussten. Die WAZ hat ja berichtet, dass sich eine Initiative dagegen wehrt. Die AGS NRW wird das unterstützen.

Und auf Bundesebene unter Beteiligung der SPD?

Unser Finanzminister Olaf Scholz hat gute Programme entwickelt und gutes Geld zur Verfügung gestellt. Wie man aber immer wieder liest, sind erst 40 bis 45 Prozent der Mittel abgerufen worden, auch wenn einige Ministerien etwas anderes behaupten. Die Hürden sind für viele Unternehmen aber zu hoch, weil viele Kriterien nicht erfüllbar sind.

Was kritisieren sie außerdem?

Es sind Vergleichszeiträume herangezogen worden, die am Anfang der Pandemie gepasst haben, inzwischen aber nicht mehr. Das liegt daran, dass hier Menschen wirtschaftspolitisch agieren, die niemals im wirklichen Berufsleben mit solchen Problematiken zu tun hatten. Wir haben als AGS in NRW und im Bund darauf hingewiesen, dass viele Unternehmer durchs Raster fallen. Uns wurde von Bund und Land Abhilfe versprochen, doch die Reaktion war: Null.

Sind Sie in diesem Punkt enttäuscht von Ihrer Partei?

Als Juniorpartner in einer großen Koalition im Bund ist die SPD in einer schwächeren Position. Als Unternehmensvertreter wünsche ich mir allerdings von meiner Partei viel mehr Aggressivität.

Sie sind selbstständig und verkaufen Mini-Kräne in ganz Europa. Wie hat die Pandemie Sie persönlich getroffen?

Anfangs war es kein Problem, weil wir volle Auftragsbücher hatten. Es gab nur einige Verzögerungen bei der Lieferung. Existenzbedrohend war das nicht, aber es war zeitweise nervig.

Die Wocheninzidenz ist zurzeit stabil auf niedrigem Niveau, anderswo wütet aber bereits die Delta-Variante. Haben Sie Angst vor einer vierten Welle?

Definitiv. Sie kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Man muss ja nur nach England schauen, wo die Zahlen explodieren. Viele Menschen können die massiven Lockerungen nicht nachvollziehen. Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger dafür ist, für längere Zeit Einschränkungen wie die Maskenpflicht beizubehalten. Das gilt auch für mich. Wir sind eigentlich auf einem guten Weg und sollten das nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen.

Die bisherigen Erfolge der Pandemiebekämpfung dürften nicht aufs Spiel gesetzt werden, warnt Carsten Bielefeld.
Die bisherigen Erfolge der Pandemiebekämpfung dürften nicht aufs Spiel gesetzt werden, warnt Carsten Bielefeld. © SWK

Drehen wir mal am ganz großen Rad: Wie beurteilen Sie als Unternehmer grundsätzlich die Wirtschaftspolitik in Deutschland?

Man sollte bei der Wirtschaftspolitik differenzieren. Wir haben zu wenig Förderung für Kleinunternehmer und wir haben relativ üppige Fördertöpfe für große Unternehmen, die in neue Technologien investieren. Besonders am Herzen liegt mir der Umgang mit den Einzelunternehmern. Erst durch die Corona-Krise wurde sichtbar, dass viele sozial nicht abgesichert sind und allein auf weiter Flur stehen. Und von diesen Kleinstarbeitgebern mit ein oder zwei Angestellten und Solo-Selbstständigen gibt es einige Millionen. Sie werden politisch von keiner Partei abgeholt und schweben häufig im freien Raum. Wir werden uns mit der ASG künftig stärker damit beschäftigen.

Die SPD war von den vergangenen 23 Jahren rund 19 Jahre in Regierungsverantwortung. Weisen Kleinstunternehmer, aber auch andere gesellschaftliche Gruppen nicht zurecht darauf hin: Warum habt Ihr nicht mehr für uns getan?

Natürlich, das ist ein Problem. Und das ist auch der Punkt, bei dem wir als AGS in der SPD den Finger in die Wunde legen. Gleichzeitig gilt aber auch: Die Partei muss mehr in die Offensive gehen und darstellen, was sie bisher getan und erreicht hat. Die Öffentlichkeitsarbeit ist sehr schlecht.

Die Öffentlichkeitsarbeit liegt in der Verantwortung der Parteispitze, womit wir bei den Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind. Sie sind bei der Urwahl des Führungsduos überraschend von Olaf Scholz und Klare Geywitz abgerückt und auf dieses Duo umgeschwenkt …

… was ich mittlerweile bereue. Die Politik von Esken und Walter-Borjans ist in den Grundzügen nachvollziehbar, aber nicht wirtschaftsorientiert. Und das zwischenzeitliche Rumgeeiere bringt uns nicht weiter. Olaf Scholz hat eine klare Linie und kann sich wesentlich besser positionieren.

Carsten Bielefeld bereut, dass er 2019 bei der Urwahl für den SPD-Vorsitz das Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken gewählt hat.
Carsten Bielefeld bereut, dass er 2019 bei der Urwahl für den SPD-Vorsitz das Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken gewählt hat. © Stefan Arend

Für nicht wenige Genossen führt nach der Bundestagswahl kein Weg daran vorbei, in die Opposition zu gehen. Für Sie auch?

Nein. Wir Unternehmer in der SPD sind dafür, in der Regierung zu bleiben. Wir denken anders: Man überlässt einem Konkurrenten doch nicht das Feld. Und wie hat schon ein bekannter Sozialdemokrat gesagt? Opposition ist Mist. Es wäre besser, in einer Koalition mitzuregieren – auch mit der CDU/CSU. Die große Koalition war und ist nicht schlecht für unser Land.

Halten Sie eine Koalition mit der Union auch rechnerisch nach dem 26. September 2021 für möglich?

Ja. Mein Fokus liegt auf unserem Kanzlerkandidaten. Die Grünen sind aktuell im freien Fall. Ich hoffe, dass am Tag der Wahl einige wegen Olaf Scholz doch noch bei uns ihr Kreuz machen. Wo ich aber noch mal einhaken muss: Ein Bekenntnis gegen Rot-Rot-Grün und konkret gegen die Linkspartei würde uns einige Prozentpunkte zusätzlich einbringen. Viele Menschen wählen meiner Einschätzung nach die SPD nicht, weil sie sich nicht von der Linken distanziert. Wir sind in der SPD derzeit links genug und haben hier einen großen Flügel, wir brauchen nicht noch die Linkspartei on top.

Ist denn die Stimme der AGS in der SPD laut genug, um hier durchzudringen?

Nein. Die Unternehmer werden in der SPD zu wenig gehört. Die Partei hat einen relativ großen Mitgliederschwund; wir sind bundesweit gerade noch bei 400.000 Mitgliedern. Davon sind allerdings rund 48.000 Mitglieder Unternehmer. Das entspricht einem Anteil von rund 12 Prozent, was sich aber nicht in Partei und Programm niederschlägt. Wir fühlen uns als Randgruppe, die zwar akzeptiert, aber nicht eingebunden wird.

Mit welchen Folgen?

Das führt derzeit zu großem Unmut und auch zu Austrittsdrohungen zahlreicher Genossen. Was mich und andere in der AGS ein wenig positiv stimmt: Im Falle einer Niederlage bei der Bundestagswahl wird es in der SPD zwangsläufig zu einem großen Umbruch und massiven Veränderungen auf Bundes- und Landesebene geben. Ich gehe davon aus, dass wir dann mehr Einfluss bekommen. Der SPD sollte bewusst sein: Eine Partei, der Wähler die Wirtschaftskompetenz absprechen, kann noch so gut und sozial aufgestellt sein – ihr wird am Ende niemals die Führung einer Regierung zugetraut. Bei Gerhard Schröder hat das noch geklappt, danach ging es nur noch um Arbeitnehmer, Gewerkschaft und Betriebsräte – und es ging bergab.

Andere Genossen entgegnen: Es wird zu wenig für diese Klientel getan.

Das Grundproblem ist: Wir schreien laut für Menschen, die wenig haben. Das ist auch vollkommen in Ordnung und entspricht unserem sozialdemokratischen Anspruch. Wenn man sich allerdings nur noch um diese Schiene kümmert, muss man sich nicht wundern, wenn man nur noch von einer 10-Prozent-Gruppe gewählt wird. Wir verlieren die Mitte aus dem Blick.

Die Grünen sehen sich zurzeit einer Kampagne ausgesetzt, an der die Springer-Presse maßgeblich beteiligt ist – zum Beispiel mit dieser Schlagzeile: Die meisten Menschen in Deutschland haben Angst vor einer Kanzlerin Annalena Baerbock. Fürchten Sie sich auch?

Wir brauchen eine Partei wie die Grünen, die sich schon immer für die Umwelt eingesetzt hat. Die Umweltziele der Grünen sind jedoch aus meiner Sicht wirtschaftspolitisch nicht umsetzbar. Das gilt allerdings auch für SPD oder CDU. Das von Deutschland gesetzte Ziel in Sachen Klimaneutralität ist eine der größten Unwahrheiten überhaupt. Jeder Bürger, der sich ein wenig mit der Materie auskennt, weiß, dass das nicht funktionieren kann.

Sie sind im Mai bei der Neuwahl des Herner SPD-Vorstands als Beisitzer durchgefallen, obwohl Sie als AGS-Chef in NRW viel Gewicht einbringen könnten. Hat Sie das persönlich enttäuscht?

Das hat mich sehr enttäuscht.

Der alte und neue geschäftsführende Vorstand der Herner SPD: (v.li.) Michelle Müntefering, Alexander Vogt, Hendrik Bollmann und Olaf Semelka. Carsten Bielefeld fiel im Mai bei der Wahl der Beisitzer überraschend durch.
Der alte und neue geschäftsführende Vorstand der Herner SPD: (v.li.) Michelle Müntefering, Alexander Vogt, Hendrik Bollmann und Olaf Semelka. Carsten Bielefeld fiel im Mai bei der Wahl der Beisitzer überraschend durch. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Worauf führen Sie das Ergebnis zurück?

Auch hier gilt: Unternehmer sind in der SPD geduldet, manchmal sogar unerwünscht. Wenn eine Volkspartei den Anspruch hat, ein Abbild und Spiegel der Gesellschaft zu sein, dann müssen auch Unternehmer in Vorständen vertreten sein. Darüber hinaus gäbe es auch die Möglichkeit für einen Vorstand, für diesen Anspruch einzutreten. In Herne war das diesmal offenbar nicht der Fall.

Auch interessant

Italien und der HTC

Als Europameister wünsche ich mir…

Italien.

An der Spitze der SPD sollte nach der Bundestagswahl stehen ...

Keine Frage: Olaf Scholz.

Die Basketballerinnen des HTC werde in der nächsten Bundesligasaison …

Ich hoffe: Meister!

Der perfekte deutsche Bundeswirtschaftsminister wäre ...

Ich wünsche mir, dass Scholz Kanzler wird. Vielleicht übernimmt er dann beide Ämter.

Die SPD erhält bei der Bundestagswahl …

20 Prozent.

>>> Zur Person

Carsten Bielefeld führt seit 2019 die SPD-Selbstständigen in NRW. In die Partei ist der 53-Jährige erst im Jahr 2014 eingetreten.

Der frühere Basketballer lebt mit Familie und Hund in Holthausen.