Herne. Die Bilanz des Ausbildungsjahrs in Herne glänzt mit historischen Bestwerten. Noch nie waren so wenig Bewerber unversorgt. Das sind die Gründe.

Es ist nur wenige Jahre her, da geriet die Bilanz des Ausbildungsjahrs in Herne zu einer unerfreulichen Angelegenheit. Zu wenige Unternehmen boten Lehrstellen an, zu viele junge Menschen gingen beim Rennen um einen Ausbildungsplatz leer aus. Dieses Bild hat sich deutlich gewandelt, bei der Präsentation der Zahlen fiel gar der Begriff vom Wunder.

In der Tat berichtete Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit, von Zahlen, die „etwas ganz Besonderes“ seien. So seien von den 1405 Bewerberinnen und Bewerbern, die bei der Agentur registriert waren, bis zum Stichtag am 30. September lediglich 44 unversorgt, ein Rückgang um 58,5 Prozent! Das sei einer der niedrigsten Werte überhaupt, so Neukirchen-Füsers. Rein statistisch seien sogar alle Bewerberinnen und Bewerber versorgt, denn in Herne gebe es einen hohen Anteil schulischer Ausbildungen, etwa im Bereich der Pflege der beiden Herner Krankenhausgruppen.

Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit, konnte für das Ausbildungsjahr Bestmarken verkünden.
Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit, konnte für das Ausbildungsjahr Bestmarken verkünden. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

115 Lehrstellen sind noch unbesetzt

Auf der anderen Seite haben Herner Unternehmen der Agentur 926 Ausbildungsstellen gemeldet, auch dies sei ein historischer Höchstwert. Aktuell sind noch 115 Lehrstellen unbesetzt. Der Agentur-Chef nannte mehrere Gründe für diese Trendumkehr. Einerseits habe das sogenannte „Matching“ zwischen Bewerberinnen und Bewerbern und Unternehmen gut funktioniert, was daran lag, dass es große Schnittmengen zwischen den Top-Ten-Wunschberufen und den Top Ten der angebotenen Stellen gegeben habe. Andererseits erreiche die Agentur nach Corona wieder Bewerber, etwa mit Jobbörsen oder Speeddatings. Der dritte Faktor wird das Geschehen in Zukunft immer stärker bestimmen: der demografische Wandel. Die Babyboomer gehen in den Ruhestand, doch es rücken nicht genug junge Kräfte nach.

Längst ist diese Erkenntnis bei den Verbänden angekommen. Michael Bergmann, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet, berichtete von einem Plus von mehr als 13 Prozent abgeschlossenen Ausbildungsverträgen in den IHK-Berufen. Angesichts der Tatsache, dass sich der Arbeitsmarkt zu einem Bewerbermarkt gewandelt habe, in dem sich Unternehmen intensiv mit der Anwerbung von Fachkräften beschäftigen müssen, sei klar: „Nur wer ausbildet, sichert die Zukunft seines Unternehmens.

„Wer nicht ausbildet, hat keine Zukunft“

Dirk W. Erlhöfer, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen, drückte es umgekehrt aus: „Wer nicht ausbildet, hat keine Zukunft.“ Unternehmen müssten sich „fit und sexy“ machen, um an geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu kommen. Manche Unternehmen müssten sichtbarer werden, die Teilnahme an Jobbörsen werde nicht mehr ausreichen. Schon beim Azubi-Speeddating in Herne hatten mehrere Unternehmen im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion bestätigt, dass sie sich inzwischen eigentlich bei den jungen Menschen bewerben. Erlhöfer war es auch, der das Wunder von Herne ausrief, „und das muss noch nicht das Ende sein. Der Standort Herne kann sich jetzt sehen lassen.“

Oberbürgermeister Frank Dudda: Herne bietet mehr Chancen als früher.
Oberbürgermeister Frank Dudda: Herne bietet mehr Chancen als früher. © FUNKE Foto Services | Kim Kanert

Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda sprach von tollen Zahlen, die man früher nicht für möglich gehalten habe. Herne böte mehr Chancen als früher und könne sich als Stadt der Ausbildung betrachten. Auch mit Blick auf das Thema Ausbildung sei es wichtig, um jeden Betrieb in der Stadt zu kämpfen.

Kreishandwerksmeister: Wir müssen Eltern über das Handwerk aufklären

Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath richtete seinen Blick - nicht zum ersten Mal - auf die Eltern des potenziellen Auszubildenden. Sie hätten maßgeblichen Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder, das Handwerk genieße dabei nicht den Stellenwert, den es verdiene. Er kündigte für das kommende Jahr eine Reihe an, bei die Kreishandwerkerschaft die Eltern an bestimmten Schulen über das Handwerk aufkläre. Drath geht sogar noch weiter: „Eigentlich müssten die Eltern Praktika machen.“

DGB-Geschäftsführer Stefan Marx lenkte - wie auch Neukirchen-Füsers - den Blick auf die Alt-Bewerberinnen und Bewerber, die in den Corona-Jahren statt eine Ausbildung zu beginnen, einen Job angenommen hätten. Diese dürften nicht verloren gegeben werden.

In drei bis vier Jahren wird es einen Bewerbermangel geben

Einigkeit herrscht darüber, dass der demografische Wandel gerade auf dem Ausbildungsmarkt in den kommenden Jahren zu einem bestimmenden Faktor wird. „Wir haben in drei bis vier Jahren nur noch eine begrenzte Zahl an Bewerberinnen und Bewerbern, deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie man neue Potenziale hebt“, so Neukirchen-Füsers. Eine Alternative sei, junge Menschen aus dem Ausland zu gewinnen. Dudda verknüpfte diesen Weg mit einer politischen Forderung. Es müssten Sprachmodule in die Ausbildung integriert werden.

>>> DIE VERMITTLUNG GEHT WEITER

■ Jugendliche, die noch einen Ausbildungsplatz suchen, können sich bei der Agentur für Arbeit unter 0800 4555500 oder melden.

■ Arbeitgeber, die noch Azubis suchen, können sich unter 0800 4555520 oder melden.