Herne. Eine gigantische Grippewelle trifft derzeit Kinder hart. Die Lage sei derzeit schlimmer als bei Corona, sagt eine Herner Kinderärztin.
- Viele Kinder in Herne sind derzeit krank.
- Kinderärzte sind deshalb völlig überlastet.
- Eine Kinderärztin sagt: „Es ist eine wirkliche Katastrophe“.
Tagelang hohes Fieber fesseln derzeit viele Kinder und Jugendliche ans Krankenbett. Die Kinderärzte sind völlig überlastet, der Fiebersaft in Herne sehr schwer erhältlich. „Es ist wirklich eine Katastrophe“, fasst Kinderärztin Dr. Anja Schulenburg die aktuelle Situation zusammen. „Es ist eine gigantische Influenza-Welle, wie wir sie seit Jahren nicht mehr hatten.“ Die Situation sei viel schlimmer als zu Corona-Zeiten, die Kinder viel kränker als bei Corona.
„Alle Untersuchungen, die nicht zwingend notwendig sind, müssen wir derzeit absagen“, sagt die Obfrau der Herner Kinderärzte. Das sei nicht nur in ganz Herne, sondern landesweit so. Es seien ganz viele virale Infekte unterwegs. „Es ist eine unglaublich hohe Influenza-Welle da – ungewöhnlich früh – und der RS-Virus geht um, woran vor allem die ganz kleinen Kinder schwer erkranken“, so Dr. Schulenburg. Hinzu kämen die normalen Erkältungsinfekte mit Bronchitis, Mittelohrentzündung und Halsschmerzen.
Herner Kinderärztin: „Sowas hab ich in 18 Jahren nicht erlebt“
Die Zahl der infizierten Kinder sei „unglaublich hoch“. „Ich mache den Job seit 18 Jahren und an solche Tage wie in den letzten eineinhalb Wochen kann ich mich wirklich kaum erinnern“, sagt die Herner Kinderärztin. Allein am Montag seien 380 Kinder bei ihr in der Kinderarztpraxis in Herne-Mitte gewesen. „Da ging wirklich gar nichts mehr.“
Warum es in diesem Jahr so schlimm ist, könne sie nicht sicher sagen. Vermutungen lägen nahe, dass Kinder die Infekte „nachholen“, die sie in den vergangenen zwei Jahren unter den Corona-Hygienebedingungen und mit Masken nicht hatten. Die Immunsysteme seien nicht gestärkt worden. Sicher sei das aber nicht. „Es trifft auch Erwachsene, aber eher selten, sondern viel mehr Kinder und Jugendliche jeden Alters.“
Bitte: Eltern sollen Fieber „auch mal aushalten“
Wegen der angespannten Situation bittet die Kinderärztin die Eltern, Fieber und Husten auch mal auszuhalten. Es müsse nicht immer gleich ein Arzt aufgesucht werden; auch zu Hause könne durch Hausmittel therapiert werden. Warnsignale seien hingegen folgende: „Wenn das Kind nichts mehr trinkt, wenn es nicht mehr richtig Luft bekommt, ein Pfeifen hat, dann sollten sie zum Abhorchen kommen.“ Die Eltern sollten auf ihr Bauchgefühl hören. So lange ein Kind trotz Fieber zumindest etwas esse und trinke und vielleicht zwischendurch sogar mal etwas spiele, sei kein Anlass zur Sorge. Generell gelte, je kleiner die Kinder, umso eher müsse man zum Arzt gehen.
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Drei, vier Tage hohes Fieber sei an sich kein Problem. Selbst bei 41 Grad Fieber, könne zunächst geschaut werden, ob die Temperatur mit Fiebersaft runtergeht. Dabei beobachtet sie derzeit ein großes Problem: „Fiebersaft zu bekommen ist in Herne gerade eine Katastrophe“, so Schulenburg. „Es ist russisches Roulette, ob man in der Apotheke welchen bekommt.“ Häufig müssten die Eltern quer durch die Stadt fahren, um überhaupt Fiebersaft zu bekommen, so die Kinderärztin. Auch Antibiotika seien zum Teil nicht mehr zu bekommen. Sie selbst könne in der Praxis aber auch keine Medikamente rausgeben, dafür hätten sie selbst nicht genug. „Das machen wir nur in Ausnahmen bei den ganz, ganz Kleinen.“
Es besteht keine Attest-Pflicht für Schulen
Ein weiteres Anliegen: Das Thema Attest sollte mit den Schulen diskutiert werden. Viele kranke Kinder säßen zum Teil zwei Stunden bei ihr in der Praxis, würden dadurch auch nicht gesünder, nur um ein Attest für die Schule zu bekommen. Die Kinderärztin betont: „Das Schulgesetz besagt nicht, dass Kinder am vierten Tag eine Attest-Pflicht haben. Es besteht keine Attest-Pflicht.“ Sie hofft, dass die Schulen in der derzeitigen Situation den Eltern auch vonseiten der Schule offiziell die Möglichkeit geben, die Kinder selbst zu entschuldigen.
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Denn eines stehe fest: „Der Virusinfekt, diese Grippe, dauert länger als drei Tage“, so Schulenburg. Und danach sollte das Kind auch lieber noch zwei Tage länger zu Hause bleiben, um sich vollständig zu erholen, empfiehlt die Kinderärztin. Denn sonst stecke sich das Kind ganz schnell mit dem nächsten Virus an. „Wir haben ganz viele Kinder, die seit Anfang Oktober schon sechs Mal hier waren“, so Schulenburg. Sie hätten den einen Infekt gerade durch, dann komme schon der nächste.
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„Die Belastung in den Kinderarztpraxen ist viel schlimmer als in Corona-Zeiten“, so die Obfrau der Herner Kinderärzte. Bei Corona hätten die Kinder nicht so lange hohes Fieber gehabt. Es seien richtig, richtig kranke Kinder dabei – vor allem mit Lungenentzündungen. Die Lage in den Kinderkliniken sei so angespannt, dass sie schon Kinder nicht mehr überweise, wo sie es sonst gerne gemacht hätte, so Schulenburg. Nun lässt sie die Eltern das Kind stattdessen mehrmals am Tag in der Praxis vorstellen. Sie rät Erwachsenen, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Bei Kindern sollte hingegen nur bei Indikation gegen Grippe geimpft werden.
Das Telefon stehe seit Tagen nicht mehr still. Die sechs Leitungen, die die Kinderarzt-Praxis hat, seien meist ausgelastet. Sie bittet Eltern, im Zweifel persönlich in der Praxis vorbeizukommen, um einen Termin auszumachen. Oder, wenn möglich, die schwierige Zeit mit dem Kind zu Hause durchzustehen.