Herne. „Wir morden gerne in Herne“ heißt eine Sammlung mit Kurzkrimis. Welche Tatorte ausgewählt wurden und warum nur ein Herner Autor vertreten ist.

Der Titel ist schon (fast) ein Verbrechen, aber rein inhaltlich gibt er durchaus die Richtung vor: „Wir morden gerne in Herne“ heißt eine Anthologie mit Krimi-Kurzgeschichten über (zum Großteil) in dieser Stadt verübte fiktive Morde.

Kalter (Krimi-)Kaffee

In der Kriminalistensprache könnte man vielleicht von einem „Cold Case“ sprechen. Denn: „Wir morden gerne in Herne“ ist bereits vor drei Jahren in 400er-Auflage im kleinen Bielefelder Dirk-Laker-Verlag erschienen. Der Band ist damals am Tatort Herne allerdings weitgehend unbeachtet geblieben und auch bei der WAZ Herne unterm Radar geflogen. Zum Thema wurde das Taschenbuch nun erst anlässlich des 125-jährigen Stadtjubiläums (siehe unten).

Lynchen in München

Großen Lokalkolorit atmen längst nicht alle der 13 Kurzgeschichten, was beim Blick auf die Autoren allerdings nicht überrascht. Mit Karl-Heinz Abraham, dem früheren Chef des Herner Wohnungsvereins, hat nur ein „echter“ Herner Kriminelles beigesteuert. Einige der zwölf Autorinnen und Autoren leben immerhin im Ruhrgebiet, andere kommen aus Hamburg, Freiburg oder sogar aus Luxemburg und der Schweiz. Beim Lesen drängt sich bisweilen der Eindruck auf, dass die Verbindung zu Herne vor allem aus Recherchen auf Google oder Google-Maps bestanden hat. Krimi-Sammlungen aus Städten und Regionen bilden einen Schwerpunkt des Dirk-Laker-Verlags, der unter anderem auch Bände über Hamburg („Hamburger morden anders“), München („Lynchen in München“) und Roth („Tod in Roth“) herausgebracht hat.

Acht lokale Tatorte aus „Wir morden gerne in Herne“: Nicht alle Beiträge der Anthologie mit Krimi-Kurzgeschichten haben Lokalkolorit.
Acht lokale Tatorte aus „Wir morden gerne in Herne“: Nicht alle Beiträge der Anthologie mit Krimi-Kurzgeschichten haben Lokalkolorit. © funkegrafik nrw | Anda Sinn

Bielefelder Verlag startete Aufruf

Und was sagt der Bielefelder Verleger über die Entstehungsgeschichte seines Herne-Krimis? „2019 kam die Idee auf, eine Anthologie von Ruhrgebietskrimigeschichten zu veröffentlichen. Nach langem Überlegen und kläglichen Versuchen, einen einprägsamen Titel zu einer Stadt im Ruhrgebiet zu machen, fiel der Fokus auf Herne, und so entstand der Titel des Buches“, erklärt Dirk Laker auf Anfrage. Er habe damals einen Aufruf gestartet, worauf sich „illustre Krimischreiber und -schreiberinnen“ gemeldet hätten.

Tatort Teutoburgia

Unter den „illustren Krimischreibern“ war mit Karl-Heinz Abraham auch ein Debütant. „Mein Bruder hat mich auf den Aufruf hingewiesen“, berichtet der 72-jährige Rentner. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er sich nur in der Herner Schreibwerkstatt von ID 55 als Autor versucht und auch noch nichts veröffentlicht. Innerhalb von zwei Wochen habe er seine Kurzgeschichte („Mord in der Bergmannsiedlung“) verfasst und sie beim Verlag eingereicht – mit Erfolg.

Seine Story siedelte Abraham im Jahr 1955 vor allem in der Teutoburgia-Siedlung an. „Dort bin ich aufgewachsen.“ Im Mittelpunkt steht ein Mord an einem (fiktiven) Vertragsspieler des SV Sodingen, der sich in seiner damaligen Blütezeit mit den großen Clubs des deutschen Fußballs messen durfte. Auch dieses Element hat einen biografischen Hintergrund: Abraham schnürte von 1969 bis 1974 selbst als Verteidiger und Mittelfeldspieler für die 1. Mannschaft des SVS die Stiefel. Illegale Wetten und (die damals strafbare) Homosexualität spielen eine große Rolle in Abrahams Kriminalfall.

Die ruhmreiche Zeit des SV Sodingen spielt (nicht nur) im Krimi-Beitrag von Autor Karl-Heinz Abraham eine große Rolle. Im Bild: der SVS 1952 beim Heimspiel der Oberliga West gegen Borussia Dortmund.
Die ruhmreiche Zeit des SV Sodingen spielt (nicht nur) im Krimi-Beitrag von Autor Karl-Heinz Abraham eine große Rolle. Im Bild: der SVS 1952 beim Heimspiel der Oberliga West gegen Borussia Dortmund. © Archiv Ralf Piorr

Das Stadtjubiläum

Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangte „Wir morden gerne in Herne“ vor wenigen Wochen durch das Herner Stadtjubiläum. Die Stadt kündigte an, dass am 27. September im Rahmen der 125-Jahr-Feier eine Lesung mit einem Autor des Krimi-Bandes – der Kamener Heinrich Peuckmann – in der Stadtbibliothek in Herne-Mitte stattfinden sollte. Die Betonung liegt auf „sollte“, denn: Die Veranstaltung musste aus „organisatorischen Gründen“ abgesagt werden.

Trotzdem drängt sich eine Frage auf: Warum wird anlässlich eines Stadtjubiläums nicht Herner Autorinnen und Autoren wie zum Beispiel Jan Zweyer oder der Lyrikerin Lina Atfah die Bühne bereitet? „Bei der Recherche nach einer möglichen Veranstaltung anlässlich des Stadtjubiläums ist uns diese Anthologie aufgefallen“, antwortet Stadtsprecher Patrick Mammen. Schauplatz des Buches sei Herne, „daher haben wir das Buch ausgewählt“. Co-Autor Heinrich Peuckmann sei am Wunschtermin verfügbar gewesen und somit engagiert worden. Und: Da die Stadtbibliothek kontinuierlich Herner Autorinnen und Autoren einlade, habe man sich zur 125-Jahr-Feier „auf den inhaltlichen Bezug zu Herne fokussiert“.

Dass sich die Story von Heinrich Peuckmann – er war jüngst als Geschäftsführer der deutschen Autorenvereinigung PEN einer der Hauptgegner des im Streit zurückgetreten Vorsitzenden Deniz Yücel – ebenfalls um Fußball dreht, ist kein Zufall. Er sei mit der 2020 verstorbenen Torwart-Legende Hans Tilkowski befreundet gewesen, berichtet der 73-Jährige der WAZ. „Seinetwegen war ich oft in Herne, ich kenne die Stadt also.“ Und: Er sei einst mit Tilkowski in Baku (Aserbaidschan) gewesen, wo es ein großes Denkmal von Tofiq Bachmarow gebe. Der Lininienrichter traf 1966 im WM-Finale Deutschland (mit Tilkowski) gegen England die Fehlentscheidung, die zum „Wembley-Tor“ führte. In Peuckmanns Kurzkrimi „Fußball und Feiern“ steht dann allerdings nicht Tilkowskis Club Westfalia Herne im Mittelpunkt, sondern wie bei Abraham der SV Sodingen.

Abgesagt: Die Veranstaltung mit Heinrich Peuckmann - hier 2017 bei einer Lesung in der Herner Martin-Opitz-Bibliothek - musste gestrichen werden.
Abgesagt: Die Veranstaltung mit Heinrich Peuckmann - hier 2017 bei einer Lesung in der Herner Martin-Opitz-Bibliothek - musste gestrichen werden. © WAZ | Sabrina Didschuneit

Epilog

Die „Herne-gerne“-Nummer ist durch, aber falls Dirk Laker oder ein anderer Verlag mal eine weitere Kurzkrimi-Sammlung aus bzw. über diese Stadt herausbringen will, hätten wir schon mal einen Vorschlag: „Jetzt wird’s kriminell und heikel in Herne und Wanne-Eickel“. Oder – muss es denn immer ein Reim sein – warum nicht „Sherlock Dudda“?

„Wir morden gerne in Herne“ (8,95 Euro; 207 Seiten) ist im Buchhandel zurzeit nicht erhältlich. Im Internet werden bisweilen Exemplare auf Amazon oder in anderen Portalen angeboten. Die Anthologie kann allerdings nach wie vor direkt beim Dirk-Laker-Verlag bestellt werden (dilav.de).