Herne. Die Stadt Herne feiert ihr 125-jähriges Jubiläum. Dazu ein Rückblick, Teil 2: Als Herne immer größer und der Verkehr immer dichter wurde.
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Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Kohle in Herne der Schlüssel zum Wiederaufbau. Subventioniert von den Milliarden-Krediten des Marshall-Plans wurden die Zechen-Anlagen modernisiert und neue Schächte abgeteuft. Zuhauf gingen junge Männer als Neubergleute unter Tage. „Ich kam 1947 von Pirna an der Elbe in den Westen. Auf dem Kölner Bahnhof sagte mir jemand: ‚Herne ist die Goldene Stadt! Da gibt es Arbeit und da gibt es Essen!‘ In Herne angekommen sind wir direkt zur Zeche Mont Cenis. Ich bekam die Markennummer 199. Am nächsten Tag bin ich sofort vor Ort zum Schüppen gekommen“, erzählte Gottfried Zechel, der schließlich 32 Jahre vor Kohle verbrachte.
Mit der Hochkonjunktur der Ruhrkohle begann die letzte große Wachstumsphase des Ruhrgebiets. In Herne entstanden zwischen 1949 und 1960 etwa 2700 Wohngebäude mit über 10.000 Wohnungen. In allen Stadtteilen wurden neue Schulen gebaut – die ersten seit mehr als 40 Jahren. Am Ende des Jahrzehnts war die bebaute Stadtfläche um fast ein Viertel gewachsen und Herne wies – hinter Wanne-Eickel – die zweithöchste Bevölkerungsdichte in der Bundesrepublik auf.
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Der neue Wohlstand war in jedem Haushalt spürbar. Selbst in den Zechensiedlungen gab man sich dem Konsum hin und üppige Wohnraumbuffets Marke „Gelsenkirchener Barock“ machten viele Wohnzimmer gemütlich. Die Konsumdemokratie erleichterte auch eine enorme soziale Leistung. Über Nissen-Hütten und Notquartiere fanden 16.000 Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in Herne eine neue Heimat, knapp 15 Prozent der gesamten Wohnbevölkerung.
1956 lebte in Herne jeder Zweite von der Kohle. Nur drei Jahre später warnte die IG Bergbau vor dem „wirtschaftlichen Stalingrad im Revier“. Mit allen Mitteln versuchte man, das Überleben der alten Industrie zu sichern. Aber wie an einer Perlenkette gezogen, folgten die Zechenstilllegungen: Julia (1961), von der Heydt (1964), Shamrock (1967), Mont Cenis (1973) und Friedrich der Große (1978). Traditionsreiche Zulieferbetriebe wie die Maschinenfabriken Beien und die Flottmann AG versanken in Tristesse.
Die Verwaltung übernahm mit der „Wirtschaftsförderungsgesellschaft“ (1965) die Initiative, neue Unternehmen wie die Bosch-Tochtergesellschaft „Blaupunkt“ anzusiedeln. Dabei stellten moderne Arbeitnehmerschichten andere Ansprüche an Freizeit, Bildung und Kultur. Der Typus Bergarbeiter, dem Kneipe und Fußballplatz schlichtweg reichten, war passé. „Attraktivitätssteigerung“ lautete fortan die Devise und mit dem Gysenberg, der 1970 als erster Revierpark des Ruhrgebiets eröffnet wurde, konnten erste Erfolge verbucht werden. Forsch hieß es in einer Imagebroschüre: „Überlegen Sie es sich gut, bevor Sie nach Herne kommen. Nachher wollen Sie gar nicht wieder weg?“
Verkehrswege wurden kräftig ausgebaut
Zum entscheidenden Veränderer des öffentlichen Raumes wurde der motorisierte Verkehr. Das Auto war das Symbol für Wohlstand und persönliche Freiheit. Während man in Herne im April 1950 gerade einmal 557 zugelassene Pkw zählte, waren es 1965 bereits 15.000. Die Bahnhofstraße war als Geschäfts- und Hauptverkehrsstraße hemmungslos überlastet und starb den Verkehrstod. Mit dem Bau der neuen Bundesstraße 51 (A 43) wurde der Durchgangsverkehr an der Stadt vorbeigeführt. Der umstrittene Emscherschnellweg (A 42) stellte die Ost-West-Verbindung her. Der Ausbau der innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen diente zur Verteilung des Verkehrs und als Zubringer für die Autobahnen. Es war ein unstrittiges Versprechen der Zeit: Kein Einwohner sollte zur nächsten Autobahn einen größeren Anfahrtsweg als 2,5 Kilometer haben.
Darüber hinaus wurden Transport und Verkehr zu bedeutenden Standortfaktoren der Region, deren traditionelle wirtschaftliche Pfeiler zu schwächeln begannen. Als Logistikdrehscheibe wollte man im europäischen Güter- und Wirtschaftsverkehr präsent bleiben.
Die Sanierung der City
Als Kontrapunkt zu der sich auflösenden Bindungskraft der Stadtteile sollte in der städtischen Mitte echte Urbanität geschaffen werden. Befeuert vom „Entwicklungsprogramm Ruhr“ wurden von 1970 bis 1976 über 400 Millionen DM in das zwölf Hektar große Sanierungsgebiet investiert. Architektonisch hielt die radikale Moderne Einzug – mit rohem Beton als Bau- und Gestaltungsmittel und seriellen vierkantigen Bauwerken, die bis heute den Charme von glattgeputzten Kästen mit der Zweckmäßigkeit von Raumcontainern versprühen. Das alte Dorf Haranni wurde pulverisiert und das Fundament der mittelalterlichen Dionysius-Kirche unter der „Südtangente“ erneut begraben. Über den spirituellen Ursprung des Gemeinwesens quälen sich bis heute die Fahrzeuge im Rhythmus der Ampelanlage.
Mit dem 32 Millionen DM teuren Kulturzentrum und den Wohntürmen des Architekten Gerd Baschek fand die neue City 1976 ihren Abschluss. Stadtplaner Manfred Leyh schwärmte: „Wer jetzt durch Herne 1 geht, sieht, wovon wir geredet haben. Er kann es begreifen, was wir unter einem modernen, menschengerechten Herne verstehen.“ Jahrzehnte später kommentierte Baudezernent Jan Terhoeven den Kahlschlag mit gebotenem Zynismus: „Ein Wahnsinn. Was der Zweite Weltkrieg nicht geschafft hatte, hat damals die Städtebauförderung erledigt“.
Unter dem Motto „Viel Geschichte. Unsere Zukunft.“ feiert die Stadt Herne ihr 125-jähriges Jubiläum. Der Historiker Ralf Piorr schaut in drei Teilen für die WAZ zurück auf die Stadtgeschichte. Heute: Teil 2. Es folgt: Teil 3.