Herne. . Unter dem Dach des Vereins schreiben Menschen im Rentenalter auf, was sie über ihr Leben und die Welt denken. Jetzt ist ein Buch erschienen.
„Schreiben ist wie Wandern in den Bergen. Schöne Aussichten, tiefe Abgründe, blauer Himmel und Gewitter.“ Der Mann, der dies formuliert hat, ist kein Literat. Adolf Klein, 80 Jahre alt, hat als technischer Angestellter sein Brot verdient. Sich mit Worten auseinanderzusetzen hat der Wanne-Eickeler erst in der Schreibwerkstatt des Vereins ID 55 gelernt, die er mit seiner Frau Ingrid regelmäßig besucht. Vor knapp zwei Jahren hat sich die Werkstatt unter der Leitung der Herner Lektorin und Historikerin Anette Pehrsson gegründet. Jetzt liegen die ersten Texte der bisher zwei Schreibwerkstatt-Gruppen in gedruckter Form vor: „Fundstücke“ heißt das Buch, erschienen in der Edition ID 55 des gleichnamigen Vereins, der zum „anders alt werden“ ermuntert.
Lebensabschnitte betrachtet
Zu Beginn erkundeten die Teilnehmenden die eigene Lebensgeschichte und ließen die großen Lebensabschnitte Revue passieren. Diese Spurensuche führte sie in die Kindheit und Jugend, zur Berufswahl und Familiengründung, zu Lebensthemen und Wendepunkten. Der Aufbau des Buches orientiert sich daran. Sieben Kapitel sind auf diese Weise entstanden, von „Kinderjahre“ über „Übergänge und Abschiede“ bis „Anders alt werden“.
Mal auf einer halben Seite, mal auf zwei Seiten lassen die Schreibenden den Leser teilhaben an ihren Erinnerungen. Erika Strohmeyer etwa, aufgewachsen in Witten, berichtet vom Alltag in der Bäckerei ihrer Eltern. Dieter Kurrat, Jahrgang 1933, schreibt über seine Kindheit in Ostpreußen, die durch den Krieg ein jähes Ende fand. Und wie Ursula Lupazewski mit ihrer Klassenkameradin Domschke die ersten Zigaretten abseits des Klosterinternats rauchte, ist ebenfalls nachzulesen. „Die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte ist nicht rückwärtsgewandt“, schreibt dazu Anette Pehrsson in ihrer Einführung, „sondern lässt die Schreibenden den Blick nach vorne richten und Deutungsmacht über die eigene Lebensgeschichte gewinnen.“ Neben der klassischen Erzählung nutzen die Schreibenden auch freiere Formen: Knappe Gedichte halten Gedanken fest zu Themen wie „Freiheit“, „Schönheit“ oder den Jahreszeiten.
Ergänzt werden die Texte durch Aufnahmen von Arne Pöhnert, der beide Gruppen bei den Treffen fotografiert hat. Außerdem hat der Verlag drei Prominente um einen kurten Gastbeitrag gebeten - NRW-Ministerin Barbara Steffens, Oberbürgermeister Frank Dudda und Ex-Vizekanzeler Franz Müntefering.
Geplant sei nun auch eine Lesung, kündigt Susanne Schübel an, Mitbegründerin des Vereins ID 55. Außerdem will die Schreibwerkstatt mit dem Seniorenstudiengang der TU Dortmund kooperieren und denkt daran, Kontakte zu Flüchtlingen aufzunehmen, die auch ihre Geschichte niederschreiben könnten.
„Fundstücke“ ist in der Edition ID 55 des Verlags JournalistenBüro Herne erschienen. Herausgeber ist der Verein ID 55. Es kostet 9,90 Euro und ist im Buchhandel erhältlich.
Das Buch enthält „Texte, Bilder und Ideen einer Generation, die anders alt werden will“. Die Schwarz-weiß-Fotos stammen u.a. von Arne Pöhnert und sind bei den Gruppentreffen entstanden.
Wer in die Schreibwerkstatt einsteigen will - eine dritte Gruppe ist in Gründung - kann sich unter HER 99 49 60 informieren.