Herne. Auf Grund der Preisexplosion in der Baubranche droht Herne ein Einbruch beim Wohnungsbau: Erste Unternehmen haben Projekte auf Eis gelegt.
Die vergangenen Jahre haben offenbart: In Herne gibt es eine große Nachfrage nach neuem Wohnraum. Und einen großen Bedarf: Laut einer Studio des Landes müssten pro Jahr 280 bis 320 Wohnungen gebaut werden. Doch vor dem Hintergrund drastisch gestiegener Baukosten und einer möglichen Rezession droht Herne ein Einbruch beim Wohnungsbau.
17 barrierefreie Wohnungen in Röhlinghausen
Das Röhlinghauser Immobilien- und Architekturbüro Dominik hat sich trotz der schwierigen Lage entschlossen, an der Fichtestraße 17 barrierefreie und energieeffiziente Wohnungen zu errichten. Der Rohbau startet in diesen Tagen. Angesichts der explodierenden Energiepreise setzt auch Architekt Peter Dominik auf Wärmepumpentechnik und Photovoltaik. Er hofft, dass die 63 Quadratmeter großen Wohnungen im Spätsommer des nächsten Jahres fertiggestellt sind. Allerdings sei es fraglich, ob er den ursprünglich kalkulierten Quadratmeterpreis von acht Euro angesichts der gestiegenen Baukosten werde halten können. Die Angebote für den erweiterten Rohbau etwa hätten sich innerhalb eines halben Jahres um 15 Prozent erhöht. Und bei der Gesamtkalkulation sei ihm noch zugute gekommen, dass sich das Grundstück schon in seinem Besitz befand.
Während Dominik gerade zu bauen beginnt, biegt der Wohnungsverein mit seinem Projekt an der Augustastraße auf die Zielgerade ein, vor wenigen Tagen schauten sich Interessenten für die 23 Wohnungen des zweiten Bauabschnitts im Rohbau um. Angesichts der enormen Baukostensteigerungen - trotz zuvor ausgehandelter Verträge - habe der zweite Bauabschnitt Kopfschmerzen bereitet, so Vorstandsvorsitzende Sonja Pauli im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Denn aus Gerechtigkeitsgründen habe der Wohnungsverein die Miethöhe des ersten Bauabschnitts (10,29 Euro pro Quadratmeter) auch im zweiten Abschnitt gehalten. Auch habe die Genossenschaft keine Abstriche bei der Qualität gemacht, um die Kosten zu dämpfen.
Die Augustastraße offenbart die große Nachfrage nach frischem und energieeffizientem Wohnraum. Ohne jegliches Marketing habe es 86 Bewerber für die 23 Wohnungen gegeben. Das müsste eigentlich für den Wohnungsverein das Signal sein, weitere Projekte zu planen. Doch davon könne keine Rede sein, so Pauli. Die Genossenschaft habe schöne und freie Grundstücke, doch angesichts der Baukostensteigerung fange sie gar nicht erst an zu kalkulieren. Als Genossenschaft stehe man für „faire und leistungsgerechte Mieten“. Doch diese seien zurzeit nicht möglich. Pauli ist überzeugt, dass Bauprojekte gestoppt werden, „wir selbst werden die Zeit aussitzen“.
Eins dieser gestoppten Projekte könnte die Bebauung des ehemaligen Fußballplatzes an der Nordstraße sein. Dort plant die Wohnungsgenossenschaft Herne-Süd (WHS) den Fortuna-Park mit 40 Wohnungen. Als das Projekt vor ziemlich genau einem Jahr präsentiert wurde, bezifferte WHS-Vorstand Klaus Karger die Investitionssumme auf rund zwölf Millionen Euro. Doch nun sagt Karger im Gespräch mit der WAZ, dass die Pläne angesichts der Kostensteigerungen nicht so umgesetzt werden können, wie sie vorgestellt worden sind. „Wir müssen abwarten, wie sich die Kosten und Förderbedingungen in den nächsten Monaten entwickeln“, so Karger. Man werde allerdings das Bauantragsverfahren in Gang setzen, weil dies eine gewisse Zeit in Anspruch nehme und eine Baugenehmigung zwei Jahre Gültigkeit habe.
Bereits im Bau sind die Wohnungen am Westbach. Und mit Blick auf die Kosten würden ihm mittlerweile die Haare zu Berge stehen, so Karger. Vor einem Jahr habe man lediglich einen Vertrag mit dem Rohbauunternehmer geschlossen, die Ausschreibungen für die anderen Gewerke seien danach Schritt für Schritt erfolgt. Teilweise würden gar keine Angebote mehr abgegeben. Für eine Leistung seien zwölf Betriebe angefragt worden, einer habe reagiert. Und dessen Angebot habe weit über der Vorkalkulation gelegen. Ergebnis: Die ursprünglich anvisierte Investitionssumme von 28 Millionen Euro sei nicht zu halten. Karger: „Die Kosten rennen einem weg.“ Noch kalkuliert die WHS mit einem Quadratmeterpreis von elf Euro. Ob das zu halten ist? Ungewiss. Die Frage sei, wie hoch man mit dem Preis gehen könne, damit dieser in Herne noch bezahlbar sei und zumindest eine kleine Rendite übrig bleibe und die Genossenschaft nicht drauf zahle.
Bereits vor zwei Jahren war es in der Herner Wohnungswirtschaft Konsens, dass bei einem Neubau der Quadratmeterpreis bei zehn Euro liegen muss, damit ein Projekt wirtschaftlich ist. Inzwischen wird dieser Wert zwischen 13 und 14 Euro angesetzt.
Herner Immobilienexperte hält Kurzarbeit in der Baubranche für möglich
Der Herner Immobilienexperte Dirk Leutbecher sieht die Immobilienwirtschaft in einem „perfekten Sturm“. Neben den Baukostensteigerungen würde die Zinssituation immer schwieriger. Man wisse gar nicht, ob Banken in der Zukunft noch Kredite zur Verfügung stellen werden. Dort gebe es angesichts des Ukrainekrieges inzwischen eine Zurückhaltung. Und es stelle sich die Frage, ob die Nachfrage nach Wohnraum anhalte, denn auch die Mieter seien verunsichert.
Leutbecher weiß durch seine vielfältigen Kontakte in die Branche, dass bereits einige Projekte auf „Pause“ gestellt worden seien. Und das führe mittelfristig - also im nächsten Jahr - womöglich zur Kurzarbeit in der Baubranche, weil niemand mehr baue. Der Verband der Bauindustrie geht sogar von einer steigenden Zahl an Insolvenzen in der Baubranche aus. Leutbecher vermutet, dass sich der Einbruch nicht nur auf den Wohnungsbau reduziert.
Doch es gibt auch Ausnahmen. So plant Höckmann Immobilien nach dem Umbau der Heitkamp-Villa und des alten Verwaltungsgebäudes auf dem Areal in Wanne-Süd den Bau von drei Mehrfamilienhäusern. Er gehe frisch voran und habe mit so viel Luft kalkuliert, „dass es passt“, sagt Stephan Höckmann. Er denke antizyklisch.